Schnelltest und Selbsttest - Jens Spahns große Luftbuchung

Mit einer massiven Ausweitung der Schnell- und Selbsttests wollen die Bundesregierung und der Bundesgesundheitsminister weitere Lockerungen der Corona-Restriktionen noch in diesem Monat ermöglichen. Doch bislang ist vollkommen unklar, ob und wie das realisiert werden kann.

Masken, Impfstoff, Tests: immer wieder zu wenig – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gerät immer weiter unter Druck / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bewegt sich derzeit auf sehr dünnem Eis. Sein nunmehr einjährigen Corona-Krisenmanagement ist von Pleiten, Pech und Pannen geprägt. Angefangen mit ausbleibenden Lieferungen von Schutzmasken und -kleidung, über die desolate Ausstattung der Gesundheitsämter und die weitgehend nutzlose Corona-Warnapp, bis hin zu immer neuen Volten bei der Test- und Impfstrategie. Nicht für alles kann man ihn persönlich verantwortlich machen. Seine in unserem föderalen System mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Amtskollegen in den Bundesländern haben sich größtenteils auch nicht mit Ruhm bekleckert.

Doch einer seiner größten Böcke war zweifellos seine Ankündigung vom 16. Februar, dass ab dem 1. März ausreichend Schnelltests zur Verfügung stehen würden, um alle Bürger flächendeckend und regelmäßig testen zu können, in Zentren, Arztpraxen und Apotheken. Nur wenige Tage später stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine komplette Luftbuchung handelte, die unter anderen Umständen einen Rücktritt oder einen Rauswurf aus dem Kabinett unausweichlich gemacht hätten. Das Versprechen wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel einige Tage später kassiert und Spahn musste kleinlaut einräumen, das sei wohl zu optimistisch gewesen. Kann man so sagen, denn zum Zeitpunkt seiner Ankündigung gab es weder ausreichend Zulassungen von entsprechenden Testkits noch verbindliche Lieferzusagen in den notwendigen Größenordnungen und flächendeckende Testkapazitäten.

Nun soll es also ab dem kommenden Montag so weit sein: Schnelltests überall und für alle war eine der Durchhalteparolen, die Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Nacht zum Donnerstag nach einer neunstündigen Bund-Länder-Konferenz zur weiteren Corona-Strategie ausgaben.

Doch kann das diesmal klappen? Wurden die vergangenen Tage dazu genutzt, die Voraussetzungen für die beträchtliche Ausweitung der Tests zu schaffen? Denn das ist schließlich einer der Eckpfeiler  der ebenfalls nach der Sitzung verkündeten, mehrstufigen Strategie zum Ausstieg aus dem Lockdown.

Gesundheitsministerium auf Tauchstation

Gerne hätten wir erfahren, wie viele Schnelltests im Rahmen der neuen Teststrategie bis Ende März benötigt werden und wie viele derzeit gesichert zur Verfügung stehen, also bereits an die entsprechenden Teststellen ausgeliefert wurden, beziehungsweise zur unmittelbaren Auslieferung bereitstehen oder wenigstens verbindlich mit festen Lieferterminen bestellt sind. Auch in Bezug auf die Testkapazitäten würden wir gerne wissen, wie der aktuelle Stand ist und was bis Ende März benötigt wird und umgesetzt werden kann.

Zu den Selbsttests für Laien, dem Shooting-Star der neuen Teststrategie, hätten wir ebenfalls gerne Genaueres gewusst, etwa in Bezug auf den Stand der Zulassungen, das vorhandene, gesicherte und benötigte Volumen sowie die Finanzierung. Ferner sind wir beim Studium der offiziellen Öffnungsstrategie auf einige Merkwürdigkeiten gestoßen. So heißt es dort in der Rubrik „4. Öffnungsschritt (frühestens ab 22. März)“, dass bei einem Inzidenzwert von 50-100 die Außengastronomie und einige Kultureinrichtungen öffnen können, mit Voranmeldung und „tagesaktuellem Schnell- oder Selbsttest“. Doch wie soll man bei einem Selbsttest die Tagesaktualität belegen? Muss man den Test vor Betreten eines Biergartens unter Aufsicht des Wirtes durchführen?

Die Antwort der Pressestelle des Bundesgesundheitsministeriums auf diese und noch einige andere,  präzise Fragen ist ein beredtes Zeugnis für den verluderten Umgang vieler Behörden mit dem Informationsanspruch der Presse und somit der Öffentlichkeit „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Hier finden Sie unsere aktuellen FAQs zu Tests: (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronatest/faq-schnelltests.html)“. Mehr nicht. In diesem teilweise stark veralteten Dokument wird keine der gestellten Fragen auch nur ansatzweise beantwortet. Weitere Versuche, vielleicht doch noch ein paar Informationen zu erhalten, versandeten in Warteschleifen oder wurden ignoriert.

Städte und Gemeindebund warnt vor Testeuphorie

Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte und Gemeindebundes (DstGB), war bereit, auf die Fragen einzugehen, konnte aber nur vage Angaben machen. Der Bedarf an Schnelltests sei „nicht genau absehbar“, und man baue auf die Zusicherung des Bundesgesundheitsministeriums, „dass kurzfristig 150 Millionen Schnelltests zur Auslieferung an Teststellen zur Verfügung stehen“, so Handschuh auf Cicero-Nachfrage. Angesichts bisheriger „Zusicherungen“ ist da gesunde Skepsis  angebracht. Bei seiner forschen Ankündigung, bereits ab 1. März flächendeckende Tests anbieten zu können, sei Spahn allerdings nur von einer „theoretischen Verfügbarkeit ausgegangen“, wovor man als Verband bereits früh gewarnt habe, meint Handschuh. Und „auch zum 8. März werden wir diese Situation noch nicht flächendeckend haben“.

Zu den Selbsttests hat der DstGB kaum Informationen, weder zu den verfügbaren Menge noch zum Bedarf. Von einer möglichen kostenfreien Abgabe für einzelne Kontingente sei nichts bekannt. Was die Aussagekraft dieser Selbsttests für mögliche Erleichterungen etwa bei Restaurantbesuchen betrifft, „kommt es auch auf die Ehrlichkeit der Bevölkerung an“.

Andere direkt und indirekt mit der Corona-Strategie befasste Behörden und Institutionen zeigten sich am Donnerstag und Freitag nicht sonderlich auskunftsfreudig. Man sei leider „nicht zuständig“ und verfüge auch nicht über die entsprechenden Informationen, hieß es seitens des Robert-Koch-Instituts und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung auf entsprechende Cicero-Anfragen. Ironie am Rande: Verwiesen wurde unisono auf die Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministeriums. Nicht aufgezählt sind dabei jene Anfragen, etwa bei Gesundheitsverwaltungen einiger Länder, auf die überhaupt nicht reagiert wurde und keine mündlichen Nachfragen möglich waren, weil die entsprechenden Kontaktstellen nicht besetzt waren. 

Apotheken haben kaum Testkapazitäten

So kann dann ein kleiner Spaziergang um den Häuserblock seines Wohngebiets manchmal wesentlich brauchbarere Rechercheergebnisse bringen. In zwei Apotheken zuckte man bedauernd mit den Schultern. Nein, man wisse nicht, wann und wie viele Schnell- und Selbsttests geliefert werden und wie die Tests organisiert und abgerechnet werden sollen. Bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) verwies eine Sprecherin gegenüber Cicero darauf, dass noch erheblicher Klärungsbedarf bestehe. Außerdem hätten ohnehin nur rund 10 Prozent der Apotheken die räumlichen und personellen Kapazitäten zur Durchführung der Tests. Und für die Selbsttests sei eine kostenlose Abgabe ihres Wissens nicht vorgesehen.

Diese sollen bereits ab morgen zunächst in einer Discounterkette und ab der kommenden Woche auch in großen Drogeriemärkten angeboten werden. Doch derzeit ist nicht ersichtlich, ob und welche Rolle sie bei der „mehrstufigen Öffnungsstrategie“ tatsächlich spielen können, zumal der derzeit kolportierte Endverbraucherpreis von rund fünf Euro pro Stück einer massenhaften regelmäßigen Nutzung im Wege steht. In Österreich gibt es dagegen bereits seit dem 1. März kostenlose Selbsttests, auch für regelmäßige Tests von Schülern.

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) warnt man vor überzogenen Erwartungen in Bezug auf die schnelle Einbeziehung niedergelassener Ärzte in die Teststrategie. Dies könnten die Praxen nicht selbstständig organisieren, sondern nur anhand  von Testbeschaffung und Beauftragung seitens der Länder oder Kommunen, so KBV-Sprecher Roland Stahl auf Cicero-Nachfrage. Über die tatsächlichen Kapazitäten für Schnelltests könne man derzeit noch keine Aussagen machen.

Vabanquespiel der Politik

Das alles erklärt wenigstens, warum man von den eigentlich Zuständigen keine Antworten erhält. Sie wissen es einfach nicht und wollen das natürlich nicht zugeben. Stattdessen gaukeln sie vor, dass es eine stimmige neue Teststrategie gebe, als Eckpfeiler eines belastbaren Stufenplans für allmähliche Lockerungen und Öffnungen. Und man beruft neben Spahn ausgerechnet den Skandal-behafteten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Co-Leiter einer entsprechende Task Force. Einen bunten Strauß von Ausreden, falls das doch nicht alles so klappt, wird man dann – bereits geschliffen ausformuliert – parat haben. Was das alles für die – ohnehin stark ramponierte – Glaubwürdigkeit der Politik in der Corona-getressten Bevölkerung bedeutet, scheint inzwischen vollkommen egal zu sein.

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