Permanente Regierungskrise - Ist Scholz reif für die Vertrauensfrage? 

Ein mit dem Baseballschläger durch den Bundestag geprügeltes Heizungsgesetz würde spätestens an den Ländern scheitern. Dennoch blasen die Grünen es zur Machtfrage auf, als ob das Überleben des Erdballs davon abhinge. Dabei hat Olaf Scholz gar keine eigene Mehrheit mehr für diesen radikalen Umbauplan aus dem Hause Habeck.

Lässt sich vom Experten erklären, wie so eine Heizung eigentlich funktioniert: Bundeskanzler Olaf Schol (r.) / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Sicher, leicht ist das nicht, vor allem im Moment, aber dennoch: Stellen wir uns Die Grünen einmal in einem – zugegeben waghalsigen – Gedankenspiel als schlaue Partei vor, vielleicht sogar als kluge. Was würden schlaue, vielleicht sogar kluge Grüne in dieser Lage tun, in der sie sich selbstverschuldet befinden? Zunächst würden sie ein, zwei Tage innehalten und bilanzieren, wie es wieder einmal so weit kommen konnte, alleine gegen den Rest der Welt zu stehen, am selben Tag, an dem den Klimaklebern die Konten gesperrt werden und die Webseite abgestellt.  

Der Opfermodus, in den sie reflexhaft zu verfallen pflegen, ist da überhaupt nicht hilfreich. Das hätten schlaue, vielleicht sogar kluge Grüne mittlerweile begriffen. Und die moralische Aufladung eines Sachproblems, der zweite Reflex, erst recht nicht. Schlaue, vielleicht sogar kluge Grüne würden stattdessen mindestens endlich die Möglichkeit ins Kalkül ziehen, zu einem guten Teil selbst schuld zu sein an ihrer Bredouille, um dann in einem ergebnisoffenen (!) Brainstorming Ideen zu produzieren, wie sie das Beste aus der Situation machen.  

Diese Perspektivumkehr hätte einen gigantischen, von den Grünen aber regelmäßig ignorierten Vorteil: Wer nicht permanent Opfer ist von irgendwem und irgendwas, finsteren Mächten, bösen Freidemokraten, treulosen Sozis, skrupellosen Bild-Zeitungen, sondern selbst verantwortlich, der hat es viel eher selbst in der Hand, seine Lage zum Besseren zu wenden. Man nennt das Eigenverantwortung. Und diese Eigenverantwortung ist kein Teufelszeug, sondern im Gegenteil oft der Schlüssel zu einem besseren Leben, auch und besonders als Politiker. Nicht schlagartig, aber auf mittlere Sicht sehr wohl.    

Märtyrertum, wenn es für Argumente und Logik nicht reicht

In einem dritten Schritt könnte die Erkenntnis reifen, dass niemand mehr interessiert sein sollte an einem Heizungsgesetz, das in der Praxis dann auch tatsächlich funktioniert, ob 2024, 2027 oder wann auch immer. Was, viertens, allerdings den Vorsatz erfordert, die deutsche Bevölkerung, also jene Menschen, die schon länger hier leben, nicht zwingend rund um die Uhr immer verbissener als quasi natürliche Feinde des Planeten zu betrachten, die es bei jeder sich bietenden Gelegenheit maximal zu erziehen und zu bestrafen gilt. Auf diesem Trip sind sie nämlich härter denn je; entsprechend giftig reagieren sie auf jeden, der sie davon abzubringen versucht, und sei es nur mit Geduld und guten Worten.        

Spätestens an dieser Stelle scheitert unsere Phantasie an der Realität. Anstatt die Frage einer Einbringung des Gesetzes in das Plenum des Bundestages so zu bewerten, wie es vernünftig wäre, nämlich als nachrangig, blasen die Grünen es auf zur Machtfrage, als ob das Überleben des Erdballs von ihr abhinge. Sie wollen nach der Niederlage des verantwortlichen Ministers mit seiner Personalpolitik nun auf Biegen und Brechen einen Beweis ihrer Koalitionspartner, dass diese sie immer noch ernst nehmen und ihre Schwäche nicht ausnutzen.  

Das ist schon deshalb dämlich, als die unvermeidlichen Änderungen am Gesetzentwurf sich nach einer ersten Lesung ohne vorherige grundlegende Revision prominent und transparent vor aller Augen und Ohren abspielen würden. Will Robert Habeck, will die Fraktion dann ernsthaft jede einzelne Korrektur, im Ausschuss, in der Anhörung, in der Plenardebatte erneut zur ultimativen Demütigung aufblasen? Hoffen sie auf Mitleid und Märtyrertum, wenn es für Argumente und Logik nicht mehr reicht? Kann man machen, aber so sieht es dann halt auch aus. 

Die Grobmotorik dieser Partei ist schon deshalb völlig bekloppt, als Habeck selbst in der jüngsten Sitzung des Bundesrates erleben musste, wie ihm auch rot-grün und schwarz-grün, ja sogar grün-schwarz regierte Bundesländer die Leviten lasen. Ein mit dem Baseballschläger durch den Bundestag geprügeltes Heizungsgesetz würde spätestens an den Ländern scheitern, selbst wenn der Bundeskanzler seine ganze verbliebene Autorität zusammenraffte und die FDP im Bundestag zum Einlenken nötigte.  

Die Menschen haben Angst vor dieser Politik

Als da wäre etwa Olaf Lies, SPD-Wirtschaftsminister in Niedersachsen: „Wir müssen weg von dem verfestigten Eindruck, man wolle hier mit dem Kopf durch die Wand.“ Der Gesetzentwurf habe „zahlreiche Schwachstellen“. „Wir dürfen nicht erst etwas beschließen und dann Stück für Stück über Nachbesserungen die Fehler im System beheben.“ Viele Gespräche hätten „nicht früh genug stattgefunden“. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke will das Gesetz sogar gleich für drei Jahre aussetzen: „Zu wenig Bezug zur Lebenswirklichkeit.“  

Selbst wenn sie wollten: Olaf Scholz und sein Fraktionschef Rolf Mützenich hätten in ihrer eigenen Partei nach heutigem Stand gar keine Mehrheit für diesen radikalen Umbauplan aus dem Hause Habeck. Take it or leave it. 

 

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Damit fügt sich das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) ein in eine ganze Reihe von Vorhaben, die besonders den Grünen so besonders am Herzen liegen, dass nur politische Intensivtäter es wagen können, diese zu kritisieren oder gar vollständig in Frage zu stellen. Auch eineinhalb Jahre nach Vereidigung haben diese Leute immer noch nicht begriffen, dass ein Mandat von gerade einmal jedem neunten Wahlberechtigten für einen Totalumbau der Bundesrepublik schlicht nicht ausreicht, davon abgesehen, dass dieser auch nicht im mindesten vernünftig und erforderlich ist.  

Für die ganz große und gleichzeitige Transformation auf allen möglichen Feldern genügt ein Stimmenanteil von – um die Wahlbeteiligung bereinigt – 11,3 Prozent nicht, mögen sie sich auch noch so im Recht fühlen. Die Menschen haben Angst vor dieser Politik, denn sie ahnen, wenn Linke und Grüne davon reden, man müsse die „Bevölkerung mitnehmen“, dann sieht diese Bevölkerung anschließend ziemlich mitgenommen aus. Das Mandat der Grünen ist zu schwach auf der Brust. Das bis heute nicht zu respektieren, lässt ihr Scheitern fast zwangsläufig erscheinen, obwohl die Bewusstseinskorrektur ihre Aufgabe wäre und nicht die aller anderen.  

Verdammt viele Geisterfahrer hier

Stattdessen schauen sie ARD, schauen ZDF, hören einen ins Linksradikale abgedrifteten Sender namens Deutschlandfunk Kultur, lesen die linksgrünen Qualitätsmedien, lassen sich beflüstern von den von ihnen nun auch mit Millionen an Staatsknete gemästeten NGOs, Organe der alles andere als staatsfernen sogenannten Zivilgesellschaft, lassen sich rund um die Uhr bedauern und anfeuern und denken: Verdammt viele Geisterfahrer hier – gut, dass wir immer richtig abgebogen sind. Was nur leider nicht stimmt.        

Die Folgen einer solchen Selbstwahrnehmung sind geradezu grotesk. Die aus Rheinland-Pfalz stammende Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser dachte am Dienstag, es tritt sie (frei nach Hans Apel) ein Pferd, als die Grüne Christina-Johanne Schröder ihr klarmachte, dass ihre Fraktion als Revanche für die Vorbehalte der FDP gegenüber dem GEG nun im Gegenzug das fertig ausgehandelte Gesetz zur Erleichterung des Wiederaufbaus im Ahrtal blockiere und von der Tagesordnung dieser Sitzungswoche fernhalte.  

Die Novelle sollte ursprünglich am Freitag in dritter Lesung verabschiedet werden, aber die Grünen legen sich quer, um die FDP zu ärgern und die SPD samt Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Mainz gleich mit – ungeachtet der Tatsache, dass es hier keinerlei Dissens in der Ampelkoalition gibt. Mit Hilfe einer Neuformulierung von §246 c Baugesetzbuch soll eine Wiederaufbauklausel den Ländern die Möglichkeit geben, innerhalb eines Katastrophengebietes vom Baugesetzbuch des Bundes abzuweichen.  

Regierungskrise? Ja, bitte!

Daraus wird nun angesichts der verbleibenden Sitzungen des Bundesrates möglicherweise vor der Sommerpause nichts werden. Sandra Weeser: „Nur weil das GEG nicht schon diese Woche in den Bundestag kommt. Was können die Menschen im Ahrtal dafür? Erklären Sie das, Herr Habeck? Bin sehr wütend!“ Ein vergleichsweise nachrangiges Beispiel aus dem Maschinenraum des Bundestages ohne große öffentliche Aufmerksamkeit, das aber zeigt, auf welcher intellektuellen Ebene in dieser Koalition mittlerweile gegeneinander gearbeitet wird: Tiefkeller. 

Haben wir es also mit einer, so das gestern im Regierungsviertel off- und online meistgehörte Stichwort, handfesten Regierungskrise zu tun? Ja, aber der Neuigkeitswert ist nicht ganz so hoch wie vermutet. Denn das geht ja schon länger so. Auf fast allen wichtigen Feldern bis hin zum Haushalt 2024 und beim Thema einer als fundamental und überfällig geltenden Nationalen Sicherheitsstrategie steht der Bundeskanzler ohne eigene Mehrheit da.  

Eigentlich wäre Olaf Scholz fällig für eine Vertrauensfrage, aber die kann er sich sparen, denn er müsste sie – anders als vor gut 21 Jahren Gerhard Schröder mit Afghanistan / Bundeswehr / „Operation Enduring Freedom“ – gleich mit mindestens fünf Sachfragen verbinden. Und er stünde im Verneinungsfall ohne Plan B da, denn eine Auflösung des Bundestages und Neuwahlen kann er sich nicht leisten. Dann wäre er nämlich die längste beziehungsweise kürzeste Zeit Bundeskanzler gewesen.     

Es ist, wie es ist: In dieser Koalition passt nichts zusammen, weil vom ersten Moment an nichts zusammengepasst hat. Wenn die Grünen nicht ein Minimum an Vernunft annehmen, woher auch immer diese kommen soll, hilfsweise per Sonderopfer eines gewissen Münchners im Himmel, dann wird das nichts mehr. Oder wie eine überwiegend ungnädige Twitter-Community seit gestern frohlockt: Regierungskrise? Ja, bitte, unbedingt, damit das Elend möglichst schnell ein Ende hat.  

Doch diese drei Parteien, sie müssen zusammenhalten, weil sie schlicht keine Alternative haben, wollen sie nicht schon im zweiten Regierungsjahr Insolvenz anmelden.      

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