Verheerendes Echo auf RBB-Intendantenwahl - „Das war ein glatter Putsch der SPD“

Die Art und Weise, wie Ulrike Demmer zur neuen RBB-Intendantin gewählt worden ist, trägt zum weiteren Ansehensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei. Rufe nach Wahlwiederholung werden laut.

Noch-Interims-Intendantin Katrin Vernau (l.) mit der knapp gewählten Nachfolgerin Ulrike Demmer / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Die AfD lacht sich kaputt, die SPD genießt leise ihren Triumph, die Belegschaft des Senders ist verzweifelt, und die wenigen verbliebenen Freunde von ARD und ZDF greifen sich an den Kopf, wie ein Gremium den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine solche Vorlage liefern kann. Das ist die Lage am Wochenende nach einer Sondersitzung des Rundfunkrates, die einen neuen, überzeugenden Chef und damit Frieden und Zuversicht bringen sollte und stattdessen nun geeignet ist, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg das letzte Ansehen zu rauben und so den Rest zu geben.  

„Egal, wer es am Schluss werden wird – wir können hier unmöglich heute ohne neuen Intendanten herauskommen. Diese Blamage müssen wir uns ersparen.“ Das war nach dem neuerlichen Scheitern der letzten verbliebenen Kandidatin Ulrike Demmer im dritten Wahlgang, diesmal ohne jede Gegenkandidatin, in der wiederum hitzigen Debatte, ob es jetzt nicht langsam mal gut sei, das finale Argument, um am Freitagabend, nach dann bereits vierstündiger Sitzung, noch einen vierten Versuch dranzuhängen. Anders formuliert: Die hätten im Interesse der eigenen Gesichtswahrung zuletzt jeden gewählt. 

„Wer stoppt diesen politischen Inzest?“ 

Spätestens in diesem Moment kurz nach 17 Uhr wurde das Verfahren, das ursprünglich vorbildlich hatte ablaufen sollen mit Ausschreibung, maximaler Transparenz, Beteiligung der Belegschaft und allem demokratischen Pipapo, vollends zur Farce. Entsprechend giftig ab der Nacht zum Samstag die Kommentare in den Sozialen Medien. Beispiele: 

  • Jahrelang hochrangige Vertreterin der Presseabteilung der Merkel-Regierung, jetzt wird sie rbb-Intendantin. 
  • Die Anstalten sind nicht einmal mehr um die Fassade der Staatsferne bemüht.  
  • Der beste staatsferne Staatsfunk der Welt.  
  • Es gibt keine Alternative zur Abschaffung.  
  • Wer stoppt endlich diesen politischen Inzest? 

Ulrike Demmer war ab dem dritten Wahlgang alleinige Kandidatin. Trotzdem verfehlte sie mit 16 von 25 Stimmen wiederum die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Denn: Ihre Gegner im Rundfunkrat beließen es nicht bei Enthaltung oder Nichtteilnahme, sondern sie stimmten wie in den Stunden zuvor erneut ausdrücklich mit „Nein“, was alles sagt über ihre Meinung zu Verlauf und Ergebnis dieser Intendantensuche einer krisengeschüttelten Anstalt und der Qualität der letzten verbliebenen Kandidatin.  

Es galt, Gesichtsverlust zu verhindern 

In jeder seriösen Sitzung wäre das der Schlusspunkt gewesen: Genug der Versuche, es reicht. Nicht so in diesem Sender mit diesem Rundfunkrat mit diesem Vorsitzenden. Oliver Bürgel ließ ein viertes Mal wählen. Er wollte diese Personalie unbedingt durchsetzen. Er hatte sich so weit aus dem Fenster gelehnt, dass alles andere einen Gesichtsverlust bedeutet hätte. Den galt es zu verhindern.  

Also noch ein Wahlgang. Irgendwann musste es doch passen.  

Erneut erhielt Demmer lediglich 16 Stimmen (bei einer gesetzlichen Mitgliederzahl des Rundfunkrates von 30). Allerdings hatte eine Person, die zuvor nach allem, was man wissen kann, nicht für Demmer gestimmt hatte, die Sitzung kurz zuvor verlassen. Es handelte sich um Christian Amsinck, entsandt von den Unternehmensverbänden Berlin und Brandenburg und Mitglied der Findungskommission, womit seine personelle Linie als bekannt gelten musste: Maßgeblich sind fachliche Qualität und politische Unabhängigkeit der Person.  

Entscheidend am Ende: eine Nein-Stimme 

Amsinck hatte dem Vernehmen nach bereits zu Beginn der Sitzung angekündigt, dass er wegen eines dringenden Termins nicht viel länger als drei Stunden werde bleiben können. Damit musste jedem im Raum klar sein, dass ab diesem Zeitpunkt eine – wegen der Bestimmungen im Staatsvertrag absolut relevante und hier sogar entscheidende – Nein-Stimme gegen Ulrike Demmer fehlen werde. 

Im vierten Wahlgang stand es deshalb dann 16 Ja-Stimmen von 24, und die Zweidrittelmehrheit war erstmals erreicht – obwohl sich das Ausmaß der Zustimmung zu ihr nicht verändert hatte. Und: Nach menschlichem Ermessen wusste der Vorsitzende Bürgel, dass ein Mitglied vor 18 Uhr gehen würde und zu welchem Lager dieses zu rechnen ist.  

Inzwischen wird sogar spekuliert, ob er auch mit einem weiteren Abgang rechnen durfte: Moshe Abraham Offenberg, entsandt von den Jüdischen Gemeinden in Berlin und Brandenburg, hatte – so Schilderungen aus dem Rundfunkrat – klargestellt, dass am Freitagabend um 19 Uhr für ihn Schabbat sein wird.  

„Notfalls“, so ein bitterer Spott aus dem Funkhaus, „hätte die SPD-Camarilla einfach noch einen Wahlgang drangehängt und dann noch einen, bis die zwei Drittel erreicht sind.“ Und zwar nicht durch mehr Stimmen für Demmer, sondern durch weniger Stimmen gegen sie, was ihre Legitimation, ihr Mandat schmälern muss. 

20 Prozent der Mitglieder abwesend 

Die ganze Nummer sieht einfach von A bis Z miserabel aus. Und es gibt noch weitere Aspekte, die Fragen aufwerfen. Die Suche und die Bestimmung eines neuen Intendanten war nach den katastrophalen Fehlern der vorherigen Gremien, deren Folgen für das Vertrauen in den RBB und insgesamt in ARD und ZDF bekannt sind, die mit Abstand wichtigste Aufgabe des neu zusammengesetzten Rundfunkrates. Trotzdem haben es 20 Prozent der Mitglieder nicht geschafft oder sie hielten es nicht für notwendig, an der Sondersitzung von Anfang bis Ende teilzunehmen.  

Erst dieses Phänomen hat nach allem, was man zwei Tage danach wissen kann, die Mehrheit für Frau Demmer ermöglicht, und zwar nach mehr als vier Stunden im dann vierten Wahlgang, nachdem fast zwei Stunden zuvor die letzte Auswahlmöglichkeit durch den Rückzug von Heide Baumann verloren gegangen war. Das war jene Bewerberin, die in den beiden ersten Wahlgängen jeweils nur eine einzige Stimme erhalten hatte. Was bereits zeigt, was von den weitgehend neu zusammengesetzten RBB-Gremien und einer Findungskommission zu halten ist, die ursprünglich 50 Interessenten zur Auswahl hatte.  

Diese Leute schickten eine Frau ins Rennen, die von vornherein völlig chancenlos war, um sie öffentlich zu blamieren. Sehr viel fieser kann ein Sender mit Interessenten nicht umgehen.  

Warum nannte Herr Bürgel keine Zahlen? 

Der Ratsvorsitzende Oliver Bürgel hat es, als die Öffentlichkeit wieder zugelassen und der grottenschlechte Livestream endlich wieder eingeschaltet war, nicht geschafft, die Stimmenzahlen zu nennen. Oder er wollte es nicht schaffen. Er behauptete, die Frau sei mit der erforderlichen Mehrheit gewählt. Das musste genügen. Die Zahlen mussten sich die Journalisten später von Beobachtern besorgen. Sie galten damit stundenlang als unbestätigt. Nicht einmal rbb24 hatte sie.  

Mehr noch: Eine offizielle Mitteilung des Rundfunkrates über die genauen Verläufe und Ergebnisse der vier Wahlgänge liegt auch 48 Stunden später nicht vor. Stattdessen bezeichnete er die Tatsache, dass Demmer mit der Mindestzahl der notwendigen Stimmen gewählt wurde – keine einzige mehr als unbedingt erforderlich –, als „große Mehrheit“. 

Falschmeldungen in allen Medien 

Man mag nicht mehr an Nervosität oder Unbedarftheit als Erklärung für diesen Auftritt glauben, wie es eigentlich zu verlangen wäre in einem halbwegs gesitteten öffentlichen Diskurs. Oliver Bürgel, dem Mann von der Arbeiterwohlfahrt, ist es durch seine Informationsverweigerung nämlich gelungen, dass von Tagesschau über Frankfurter Allgemeine Zeitung und dem ehemaligen Nachrichtenmagazin Der Spiegel bis hin zu den Agenturen bis jetzt unkorrigiert gemeldet wird, es habe lediglich drei Wahlgänge gegeben.  

Offensichtlich fehlte den Medienkollegen die Phantasie, dass ein Rundfunkrat selbst dann immer weiter wählen würde, nachdem eine Kandidatin komplett ohne jede Konkurrenz ein weiteres Mal durchgefallen war, um im vierten Versuch dann auf den Entfall einer sicheren Nein-Stimme zu setzen.  

Es ist einfach nicht in Ordnung. Es muffelt drei Meilen gegen den Wind. Beide Gremien, Rundfunkrat wie Verwaltungsrat, haben das Recht auf eine gnädige Interpretation ihrer Äußerungen und Handlungen verwirkt. Und das nach wenigen Wochen im Amt, trotz weitgehenden Austauschs der Mitglieder, nachdem die ehemaligen mitverantwortlich waren für die existentielle Krise des Senders – durch grotesk falsche Personalentscheidungen und weitgehenden Verzicht auf jede Kontrolle.   

Weiteres multiples Organversagen 

Wir haben es beim RBB erneut mit einem multiplen Organversagen zu tun. Den Schlamassel mit Intendantin Patricia Schlesinger und ihrem „Aufseher“ Wolf-Dieter Wolf hatte zu einem guten Teil die Berliner Sozialdemokratie ermöglicht. Die galt anschließend in Sachen RBB als hinreichend desavouiert und überließ nolens volens der Brandenburger SPD das Feld. Das hat nun womöglich ähnlich verheerende Folgen.  

Das Echo auf die Personalentscheidung vom Freitag ist jedenfalls verheerend. Und es wurde mit unterirdischen Methoden gearbeitet, unerwünschte Kandidaten erst gar nicht in die engere Wahl zu nehmen oder – wie Jan Weyrauch erleben musste – rauszumobben, ohne dass der SPD-Funktionär Benjamin Ehlers, stellvertretender Vorsitzender SPD Cottbus, dafür in seiner Eigenschaft als neuer Vorsitzender des RBB-Verwaltungsrates ein Mandat besessen hätte. 

Unautorisierte Gehaltsverhandlungen 

Ehlers bestreitet es, aber die Beweislage spricht gegen ihn, wenn es im Sender übereinstimmend heißt, dass er auf eigene Faust und natürlich höchst vertraulich bereits Gehaltsverhandlungen führte, mindestens mit Weyrauch von Radio Bremen, offenbar aber auch mit den zuletzt verbliebenen drei Frauen. Andernfalls hätte es ja nicht öffentlich werden können, dass alle drei Frauen mit seinen Gehaltsvorgaben – anders als Weyrauch – kein Problem hatten, was auf den Funkhaus-Fluren als „undurchsichtiges Spiel bei öffentlicher Assistenz durch SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke“ charakterisiert wird.  

Zuletzt scheuten Sozialdemokraten nicht einmal vor Versuchen zurück, die Personalratsvorsitzende Sabine Jauer mundtot zu machen, weil sie den Genossen immer wieder und dann auch öffentlich in die Quere kam durch ihre Forderung, die Sondersitzung abzusagen, nachdem nur noch zwei Frauen übriggeblieben waren – eine davon, wie gesehen, de facto außer Konkurrenz –, und das Bewerbungsverfahren neu zu beginnen, weil das alte für jeden erkennbar gescheitert ist. Dabei hat sich, wie zuverlässig aus dem Rundfunkrat zu erfahren war, Neu-Ratsmitglied Raed Saleh, Co-Vorsitzender der Berliner SPD, der Partei der „Solidarität“ und des „Respekts“, besonders hervorgetan.  

Raed Saleh und die Folgen 

Sabine Jauer war am Freitagabend, als alles vorbei und der nächste Scherbenhaufen angerichtet war, mit den Nerven am Ende. Darstellungen, sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, weist sie jedoch als übertrieben zurück und bittet um eine Klarstellung. Sie habe kurz die Fassung verloren, nicht mehr und nicht weniger.

Die wider besseres Wissen erhobene Behauptung, sie besitze gar nicht eine richtige Legitimation durch die Belegschaft, war jedenfalls zu viel. Einen derart brutalen Umgang, als es um die Durchsetzung sozialdemokratischer Machtinteressen ging, war sie nicht gewohnt und hatte sie ausgerechnet aus dieser Richtung auch nicht erwartet. Kommentar eines fassungslosen RBB-Journalisten: „Das war ein glatter Putsch der SPD.“ 

Saleh zuvor, zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr überraschend, über Demmer, 2016 auf SPD-Ticket ins Amt als Merkels Sprecherin gelangt: „Eine Kandidatin wie sie ist für uns selbstverständlich wählbar.“       

Wer setzt eine Überprüfung in Gang? 

Hans-Jürgen Kupka vom kritischen „Neue-ARD-Forum“, der öffentlich-rechtlichen Idee in grundsätzlicher Sympathie verbunden, stellte am Sonntag die Frage, ob die Wahl wiederholt werden müsse, denn es sei unmöglich mit rechten Dingen zugegangen:  

„Der Rundfunkrat wäre klug beraten, den gesamten Wahlprozess zu untersuchen und alle 50 Bewerbungen öffentlich zu machen. Nur so kann die Bewerberauswahl nachvollzogen werden. Ob die (gelenkte?) Wahl wiederholt werden muss, wird dann am Ende der Prüfung zu beantworten sein.“

Tatsächlich wäre der Sender, wären seine Gremien, um wenigstens weiteren Ansehensverlust zu verhindern, gut beraten, sich die Ereignisse bis ins Detail und unabhängig noch einmal sehr kritisch anzusehen: Alle Stimmzettel überprüfen und natürlich nachzählen, das Protokoll genau zu analysieren und gegebenenfalls mit Akteuren und Beteiligten unter vier Augen zu sprechen.  

Unklar ist zur Stunde, wer diese urdemokratische Aufgabe in Gang setzen und erfüllen könnte. Blicke aus der Belegschaft richten sich auf das Justiziariat des RBB. Dort herrscht einstweilen noch – die Rede ist von einem Zeitraum bis Mitte September – Interims-Intendantin Katrin Vernau. Sie hätte nicht nur die Macht, eine Überprüfung durchzusetzen, sondern auch allen Anlass.     

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