Polizeigewerkschafter Rainer Wendt über Vorratsdatenspeicherung - „Der Staat macht sich künstlich dumm“

Die künftige Regelung für die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht keinen Rückblick in die bisherige Kommunikation von Verdächtigen. Die Polizeigewerkschaft hält dieses „Quick Freeze“ daher für völlig unzureichend.

Alte Telefonzelle in Bremen / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Rainer Wendt ist Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Herr Wendt, die Ampelkoalition hat sich auf eine neue Regelung der Vorratsdatenspeicherung geeinigt, im Fachjargon „Quick-Freeze-Verfahren“ genannt. Die Einsicht in Kommunikationsdaten, also zum Beispiel IP-Adressen oder Telefonnummern, zur Kriminalitätsbekämpfung soll nur mit richterlicher Erlaubnis möglich sein, wenn der Verdacht einer schweren Straftat, also vor allem Totschlag oder Mord, vorliegt. Und nicht rückwirkend. Wie ist das aus polizeilicher Sicht zu beurteilen?

Zunächst finde ich schon die Umstände dieser Einigung fragwürdig. 

Sie meinen die Verbindung der von der FDP gewünschten Quick-Freeze-Regelung zur Vorratsdatenspeicherung mit der von der SPD gewünschten Verlängerung der Mietpreisbremse?

Ja. Man gewinnt den Eindruck, dieser Regierung geht es nicht um die Lösung von Sachfragen, sondern nur noch um die Wiederherstellung des Koalitionsfriedens. 

Aber mit der Regelung selbst sind Sie auch nicht zufrieden? 

Nein, gar nicht. Sie ist völlig unzureichend. Denken wir zum Beispiel einmal an die beiden toten Täter des NSU-Komplexes. Es wäre sehr wichtig gewesen, auf deren alte Kommunikationsdaten Zugriff zu haben. Aber da sie nun mal tot sind und somit nicht mehr als Verdächtige gelten und keine neue neuen Daten produzieren, dürfen wir laut Quick Freeze auch ihre alten Daten nicht nutzen. 

Ist denn die künftige Quick-Freeze-Regelung zumindest ein Vorteil gegenüber der aktuellen Lage, nachdem der Europäische Gerichtshof die frühere Vorratsdatenregelung gekippt hat?

Ja. Die Bundesnetzagentur hat ja den Netzbetreibern nach dem Urteil die Speicherung untersagt. Also dem gegenüber ist es ein kleiner taktischer Vorteil, der im Einzelfall auch helfen kann, aber eben mehr auch nicht. Aber die neue Regelung wäre im Fall der RAF-Terroristin Klette genauso wenig von Nutzen wie im Fall der NSU-Täter Mundlos und Böhnhardt. Deren Daten sind weg. Und mit wem Klette im letzten halben Jahr telefoniert hat, das wüssten wir schon gerne. Bei den NSU-Terroristen wäre es erst recht spannend gewesen zu schauen, welche Netzwerke es womöglich hinter ihnen gibt. Genau darum geht es ja bei der Vorratsdatenspeicherung: Mit wem haben die in den letzten Monaten kommuniziert? Also die IP-Adressen sind ja nur wenige Daten. Aber wenigstens die sollten die Ermittler eigentlich haben. Aber das ist alles weg. Nur bei dringend Tatverdächtigen können wir uns einen richterlichen Beschluss besorgen und dann die Daten der Verdächtigen von dem Zeitpunkt an sozusagen einfrieren.

Und das gilt nur für schwerste Straftaten.

Ja. Das ist ein bisschen der Fluch der bösen Tat. Als es früher die Vorratsdatenspeicherung gab, wurde die teilweise genutzt für Urheberrechtsverletzungen. Dass da natürlich ein Gericht sagt, das ist doch unverhältnismäßig, ist ja völlig selbstverständlich. Aber auch da ist der Gesetzgeber schuld. Der hätte damals von Anfang an sagen müssen: Es ist ein schwerwiegender Eingriff, der muss verhältnismäßig sein und darf nicht bei Eierdieben benutzt werden. 

 

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Was wären denn Ihre wichtigsten Vorschläge für eine Regelung? 

Dass die Daten nur bei schweren Straftaten und nur auf richterlichen Beschluss genutzt werden dürfen, ist völlig klar, einverstanden. Aber ich hätte mir gewünscht, dass diese Daten von den Betreibern an den Bundesdatenschutzbeauftragten übergeben und dort gespeichert werden. Da könnte der Datenschutzbeauftragte tatsächlich auch mal Daten schützen. 

In der Politik sind Sie damit nicht durchgedrungen. 

Ich weiß nicht, wie oft wir das bei Anhörungen schon vorgetragen haben. Aber die Politik ist auf diesem Gebiet völlig ideologiegetrieben. Das hat mit der Sache gar nichts zu tun. Es wird zwar immer davon gesprochen, den Terrorismus oder Kindesmissbrauch zu bekämpfen, Netzwerke und Hintermänner aufzudecken. Aber die Instrumente dazu fehlen uns eben. Der Staat macht sich künstlich dumm. Der Staat sollte in die Kommunikationsvergangenheit von dringend tatverdächtigen Extremisten beispielsweise hineinschauen können. Kann er aber nicht, weil die Daten gelöscht sind. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich gibt es übrigens eine Vorratsdatenspeicherung. Die haben das eben früher eingeführt und lassen es sich nicht wegnehmen.

Werden Sie als Polizeigewerkschaft weiter Druck machen, dass diese Möglichkeit auch in Deutschland wieder erweitert werden? 

Ja. Man kann nur hoffen, dass eine CDU-geführte künftige Bundesregierung, mit wem auch immer sie Koalitionsverhandlungen anfängt, dieses Thema erneut oben auf die Tagesordnung setzt.

In den letzten Wochen ist viel Kritik laut geworden an dem Maßnahmenpaket von Innenministerin Nancy Faeser gegen den Rechtsextremismus. Deren Ansage, kein Rechtsextremist solle glauben, unentdeckt zu bleiben, klingt ja nach dem Wunsch, möglichst viel zu durchleuchten. Da sind viele, längst nicht nur AfD-Politiker, sondern zum Beispiel auch FDP-Politiker sehr kritisch. Können Sie das verstehen? 

Ja, ich kann beispielsweise Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki und andere Kritiker dieser Vorhaben, wie den früheren SWR-Intendanten Peter Voss, sehr gut verstehen. Wie soll man eigentlich wissen, wodurch man Gefahr läuft, vom Nachrichtendienst beobachtet zu werden? Von Frau Faeser wird so getan, als ob das überhaupt kein Grundrechtseingriff sei. Aber natürlich ist es ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, weil man als Beobachtungsobjekt des Nachrichtendienstes auch stigmatisiert wird in seiner gesellschaftlichen Position. Die Kriterien dafür müssen sehr klar definiert sein. 

 

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