Peter Tschentscher - Hamburgs Bürgermeister sieht grün

Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher ist ein ruhiger Politiker in aufgeregten Zeiten. Das unterscheidet ihn von seiner Konkurrentin Katharina Fegebank von den Grünen, die ihn bei der Bürgerschaftswahl herausfordert. Die neuesten Umfragen sehen Tschentscher und die SPD klar vorn.

Duell der Nordlichter: Katharina Fegebank ist dem amtierenden Bürgermeister Peter Tschentscher auf den Fersen / picture alliance
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Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

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Es ist fast unmöglich, Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) aus der Ruhe zu bringen. Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von Fridays for Future, hat es Ende September bei der Klimawoche auf dem Hamburger Rathausmarkt geschafft. Wutschnaubend hatte die 23-jährige Aktivistin in einem Rundumschlag das Klimapaket der Großen Koalition zerpflückt, Radikalität statt Kompromisse und ein Ende des motorisierten Individualverkehrs gefordert, als der leise Mann auf dem Podium neben ihr laut wurde. „Wenn Sie Leute gegen die Wand drücken, ernten Sie Widerstand“, schimpfte Tschentscher. Man müsse in der Politik schließlich auch diejenigen einbeziehen, die keine großen finanziellen Möglichkeiten hätten. 

Überraschend, dass ausgerechnet eine radikale Klimaschützerin den Unmut des Bürgermeisters weckt. Denn der 54-Jährige, der die Hansestadt seit 21 Monaten regiert, versteht sich selbst als Aktivist gegen den Treibhauseffekt: In seiner ersten Regierungserklärung im April 2018 war noch keine Minute vorbei, als er auf das Thema Klimaschutz kam. Tschentscher will die Hansestadt mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern zu einer internationalen Metropole der Moderne machen – Wissenschaft, Digitalisierung und Klimaschutz, aber auch der soziale Ausgleich und Bildung für alle spielen für ihn eine zentrale Rolle.

Ein typischer Hamburger Sozialdemokrat

Tschentscher ist kein Revolutionär, sondern ein Reformer, versteht sich nicht als heißblütige Rampensau, sondern als kühler Rechner, punktet nicht als Kämpfer, sondern als Kümmerer. Tschentscher zitiert gerne Henning Voscherau: „Kein spielerischer Umgang mit den Grundfunktionen der Stadt“ hatte der Bürgermeister gemahnt, der von 1988 bis 1997 regierte. Obwohl einst auf dem linken SPD-Flügel sozialisiert, gilt Tschentscher heute als typischer Hamburger Sozialdemokrat: bürgerlich, bodenständig, mittig. Anders als viele Genossen will er nicht grüner als die Grünen und nicht linker als die Linken sein. Für die Hamburger SPD könnte die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans so zu einer schweren Hypothek werden.

Viele in der Stadt waren überrascht, dass es Tschentscher war, der im März 2018 dem langjährigen Bürgermeister Olaf Scholz nachfolgte. Partei und Öffentlichkeit hatten mit dem heutigen Finanzsenator Andreas Dressel gerechnet. Doch Dressel zögerte etwas zu lange – und Scholz hatte zuvor intern Tschentscher favorisiert. Der war seit 2011 Finanzsenator der Hansestadt und erwarb sich über die Parteigrenzen Respekt. „Er ist ungeheuer akribisch, aber stets anständig im Umgang mit den Mitarbeitern“, sagt ein langjähriger Mitarbeiter. Gegen alle politischen Traditionen übernahm Tschentscher den Behördensprecher mit CDU-Parteibuch – und machte ihn zum engsten Mitarbeiter. Inhaltlich ähnelt er seinem Mentor Scholz: Tschentscher verfügt über eine rasche Auffassungsgabe. Seine Akribie grenzt ans Pedantische. Er kann über Nachkommastellen diskutieren, die in Excel-Dateien auf Seite 12, Spalte 8, Zelle 40 verborgen stehen. 

Als Finanzsenator hat er die Stadt in Zahlen kennengelernt, heute nimmt er das große Ganze in den Blick. Dabei strebte der gebürtige Bremer, sogar das gibt es in Hamburg, gar nicht in die Politik. Bis zu seinem Wechsel in den Senat arbeitete der Vater eines erwachsenen Sohnes als Labormediziner im Universitätsklinikum Eppendorf. Besonnen, mitunter fast demonstrativ leise bewegt sich der schmale Mann auf der politischen Bühne. Das hebt ihn ab vom modernen Politzirkus dieser Tage – aber auch von seiner größten Konkurrentin.

Was das kommende Duell spannend macht

In Umfragen haben sich die Grünen an die SPD herangerobbt, die charismatische Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, Katharina Fegebank, ist Tschentscher auf den Fersen. Diese ungewöhnliche Ausgangslage macht das Duell extrem spannend: Fegebank erinnert in ihrem Pragmatismus manchmal an Winfried Kretschmann, auch deshalb trauen ihr manche zu, lagerübergreifend Stimmen zu sammeln. 

Entsprechend dünnhäutig reagiert die SPD in Hamburg inzwischen, wenn sie grün sieht. Seit 2015 regieren Sozialdemokraten und Grüne zusammen, vier Jahre recht harmonisch-pragmatisch, seit der Bezirkswahl im Mai 2019 oft mehr als Gegner denn als Partner: Da überrundeten die Grünen die SPD, die sich seit Generationen als „Hamburg-Partei“ versteht und sich wie eine „CSU des Nordens“ benimmt. Nach dem grünen Triumph flogen in zwei der sieben Bezirke die rot-grünen Koalitionen auseinander, stattdessen wird nun bunt mit CDU und FDP koaliert.

Für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar zeigen diese Testläufe, dass in Hamburg viele Bündnisse möglich wären. Die FDP hat als Zünglein an der Waage schon signalisiert, welches Dreierbündnis sie bevorzugt – eines mit SPD und CDU unter Peter Tschentscher. 
 

Dieser Text ist in der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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