Führungsvakuum bei der CDU - Geschichte eines Totalversagens

Seit Angela Merkels Abgang als Parteichefin bekommt die CDU die Lage nicht in den Griff – die Verhältnisse werden sogar immer chaotischer. Inzwischen sollte die Partei dankbar sein, wenn Markus Söder die Kanzlerkandidatur übernimmt.

Angela Merkel hatte sich das alles sicherlich anders vorgestellt / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Eine kurze Geschichte der parteiinternen Problemlösungskompetenz der CDU könnte zum Beispiel beginnen am 22. September des Jahres 2015. Es ist der Tag, an dem im Haus der Berliner Pressekonferenz die Biografie des Historikers Gregor Schöllgen über den SPD-Altkanzler Gerhard Schröder vorgestellt wird. Anwesend sind neben dem Autor auch Schröder selbst sowie dessen Amtsnachfolgerin Angela Merkel. Letztere ist zu diesem Zeitpunkt noch im Vollbesitz ihrer politischen Kräfte und unangefochtene Parteivorsitzende der CDU.

Als sie gegen Ende der Veranstaltung gefragt wird, ob Schröder während seiner Regentschaft auch Fehler gemacht habe, antwortet die Kanzlerin nicht etwa diplomatisch nach dem Motto, dies sei gewiss nicht der Moment, um Kritik an ihrem Vorgänger zu üben. Stattdessen kommt sie unverblümt auf den Punkt: Es sei „nicht richtig“ gewesen, dass Gerhard Schröder im Jahr 2005 als amtierender Bundeskanzler auf den SPD-Parteivorsitz verzichtet habe. Wörtlich: „Das war aus meiner Sicht irgendwo dann, so ist jedenfalls mein Verständnis eigentlich, absehbar, dass damit etwas Wichtiges nicht mehr da war in einer Hand.“

Augenmerk auf parteiinterner Machtsicherung

Schröder war damals nach einer für seine Partei verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen derart unter Druck geraten, dass er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Sein Nachfolger an der SPD-Spitze wurde Franz Müntefering; drei Monate später verlor Gerhard Schröder bei Neuwahlen zum Bundestag sein Amt als Bundeskanzler. Ob der Verzicht auf das Parteiamt letztlich kausal für den Machtverlust als Regierungschef war, sei einmal dahingestellt. Aus Merkels Sicht war es jedenfalls so. Wobei es bezeichnend ist, dass ihr zehn Jahre später spontan genau dieser eine Vorgang einfällt, als sie zu Schröders Fehlern gefragt wird: nichts Außenpolitisches, nichts Innenpolitisches – ihr Augenmerk liegt auf parteiinterner Machtsicherung.

Gut drei Jahre nach der Buchvorstellung mit Merkels denkwürdigem Satz verkündet sie selbst am 29. Oktober 2018 den Rückzug vom Vorsitz ihrer Partei; Auslöser war insbesondere das schlechte Abschneiden der CDU bei den Landtagswahlen in Hessen am Tag zuvor. Allerdings werde sie, so Merkel, bis zum Ende der Legislaturperiode als Bundeskanzlerin im Amt bleiben.

Schaulaufen der Kandidaten

Für den freiwerdenden Job an der Parteispitze bewarben sich daraufhin mehrere Personen, von denen drei realistische Chancen hatten. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die nicht lange zuvor als saarländische Ministerpräsidentin zurückgetreten war, um künftig von Berlin aus nach Höherem zu streben. Der junge Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Sowie ein damals 62 Jahre alter Mann namens Friedrich Merz, der mehr als anderthalb Jahrzehnte zuvor von Angela Merkel als Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag aus dem Amt gedrängt worden war und der seither sein Glück in der freien Wirtschaft gesucht hatte.

Es wurde daraufhin ein Schaulaufen der Kandidaten mit acht Regionalkonferenzen organisiert, das von der Partei als großer Erfolg gefeiert wurde. So groß war der Erfolg, dass das Verfahren im Jahr 2020 möglichst nicht wiederholt werden soll, worüber aber noch niemand offen zu sprechen wagt. Am Ende hieß die Siegerin jedenfalls Kramp-Karrenbauer, Merz wurde mit knappem Abstand zweiter. Spahn landete abgeschlagen auf dem dritten Platz. Von da an beschleunigte sich der Niedergang der CDU in erhöhtem Tempo.

Spaltung der Partei nahm zu

Annegret Kramp-Karrenbauer, genannt AKK, war mit dem Vorsatz gestartet, die zerrissene Partei zu einen. Dass es dabei insbesondere um Merkels Flüchtlingspolitik ging, wurde zwar nicht explizit hervorgehoben. Aber natürlich wusste jeder, was Sache ist. Die neue CDU-Führung organisierte „Werkstattgespräche“, bei denen unter anderem Angela Merkels migrationspolitischer Schlingerkurs aufgearbeitet werden sollte. Die Bundeskanzlerin selbst kommentierte diese Workshops dergestalt, dass sie sich zeitgleich mit zwei Vertrauten in einer nahegelegenen Bar beim gemütlichen Feierabend-Drink sehen ließ. Von dem Zeitpunkt an war klar, dass Regierungschefin und Parteichefin nicht an einem Strang ziehen würden. Oder wie Merkel es mit Blick auf Gerhard Schröder gesagt hatte: Dass „etwas Wichtiges nicht mehr da war in einer Hand“.

AKK machte in der Folge noch ein paar Fehler (etwa im Umgang mit einem präpotenten Youtuber), die zwar allesamt nicht wirklich schwerwiegend waren – die jedoch vom Merkel-Lager auf der einen wie von der Anhängerschaft des Friedrich Merz auf der anderen Seite gern genutzt wurden, um die neue Parteichefin zu desavouieren. Übrigens meist hinter den Kulissen. Die Spaltung innerhalb der Partei nahm denn auch eher zu als ab; AKK saß bald zwischen allen Stühlen und wollte Handlungsfähigkeit beweisen, indem sie sich irgendwann selbst zur Verteidigungsministerin ernannte. Ein Ressort, bei dem es erfahrungsgemäß weder Blumensträuße noch hohe Zustimmungswerte zu gewinnen gibt.

Erfurt als endgültiger Sargnagel

Faktisch war die Saarländerin bereits verbrannt, als sie beim Leipziger CDU-Parteitag im vergangenen Dezember mit einer schwungvoll in die Zukunft gerichteten Rede noch einmal zurück ins Rennen wollte. Dass sie diese Rede jedoch mit dem Satz beendete, man könne „die Sache“ (also ihren Parteivorsitz) auch „hier und heute beenden“ war Ausdruck schierer Verzweiflung. Wer schon nach einem knappen Jahr mit Rücktritt drohen muss, hat „die Sache“ erkennbar nicht im Griff. Als in Leipzig später dann Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sein Wort an die CDU-Delegierten richtete, flogen ihm die Herzen zu.

Der endgültige Sargnagel waren dann die Ereignisse von Erfurt. Ob die Thüringer CDU-Landtagsfraktion am 5. Februar mit Absicht, aus Versehen oder wegen kompletter Orientierungslosigkeit mit den Stimmen der AfD einen FDP-Kandidaten zum Ministerpräsidenten gewählt hatte, ist eigentlich schon beinahe egal. Der Schaden war da – und AKK hatte es weder vorher noch danach vermocht, ihn abzuwenden. Dass sie daraufhin ihren Rückzug als Parteichefin ankündigte, war denn auch nur konsequent.

Kungelei mit Ansage

Weil die Situation aber offenbar noch immer nicht schlimm genug ist, geht der politische Dilettantismus bei der CDU jetzt einfach munter weiter. AKKs groteske Idee, sich mit der Kür eines neuen Parteivorsitzenden und Unions-Kanzlerkandidaten bis Ende des Jahres Zeit zu lassen, wurde von der Schwesterpartei CSU zwar umgehend wieder kassiert. Trotzdem ist immer noch nicht ersichtlich, wie man im Konrad-Adenauer-Haus die Scherben zusammenzukehren gedenkt. Stattdessen führt AKK dieser Tage „Gespräche“ mit dem Nordrhein-Westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet sowie mit den ihr damals unterlegenen Kandidaten Friedrich Merz und Jens Spahn.

Von Laschet, Merz und Spahn ist zwar hinlänglich bekannt, dass sie CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidaten werden wollen. Offen gesagt hat das aber noch keiner von ihnen. Ob es da besonders schlau ist, entsprechende „Gespräche“ bereits vorher öffentlich zu machen, darf bezweifelt werden: Das ist gewissermaßen Kungelei mit Ansage. Diese bizarre Strategie hat schließlich Nobert Röttgen auf den Plan gerufen, der nun diese Woche als erster offiziell seinen Hut in den Ring warf. So viel zu AKKs Anspruch, den Prozess zur Bestimmung eines Kanzlerkandidaten „weiter von vorne“ zu führen. Ein Totalversagen.

Merkel will sich nicht einmischen

Aktuell sieht es also so aus, dass drei Männer aus Nordrhein-Westfalen CDU-Chefs werden wollen, dies aber noch nicht sagen – während der erste offizielle Kandidat ebenfalls aus NRW stammt und einem größeren Publikum vor allem dadurch in Erinnerung ist, dass er einst eine Wahl in seinem Heimatland kolossal vergeigt hat und daraufhin von Merkel aus dem Bundeskabinett geschmissen wurde, weil er partout nach Berlin zurück wollte. Letztere hat übrigens versprochen, sich nicht in das weitere Verfahren einzumischen.

Man darf gespannt sein, welche Volten sich die CDU noch einfallen lässt, um sich lächerlich zu machen. Fest stehen für mich jedenfalls zwei Sachen. Erstens: Diese Partei ist eigentlich reif für die Opposition. Und zweitens: Die CDU kann froh sein, wenn sich Markus Söder doch noch bald bereitfinden sollte, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen. Das würde nämlich das Risiko weiterer Peinlichkeiten deutlich minimieren.

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