BVerfG zur Parteienfinanzierung - Ein Urteil gegen den Selbstbedienungsmodus

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung um 25 Millionen Euro pro Jahr für nichtig erklärt. Was das für die Legitimität der seither neu zusammengesetzten Landtage und des Bundestages bedeutet, sollte Thema einer parteifernen Untersuchung sein.

Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht mit Peter Müller (l.), Doris König (Vorsitz) und Sibylle Kessal-Wulf / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Die von staatlicher Finanzierung profitierenden Parteien haben sich in einem in sich bereits höchst fragwürdigen zehntägigen Schnellverfahren am 10. Juli 2018 25 Millionen Euro an Steuergeldern mehr zugesprochen, als sie gedurft hätten. 25 Millionen Euro pro Jahr, versteht sich. Und da das Gesetz laut Urteilstext rückwirkend für das Jahr 2018 galt, geht es inzwischen insgesamt sogar um 125 Millionen Euro an von CDU, CSU und SPD illegal beschaffter Staatsknete innerhalb der vergangenen fünf Jahre, nachdem sich die Richter alle Zeit der Welt für ihre Urteilsfindung ließen.

Ab sofort, so Karlsruhe, gelte wieder die alte absolute Obergrenze von 165 Millionen Euro, was ja ebenfalls bereits eine riesige Menge Geld ist. Die Verfassungsrichter ließen heute Vormittag aber aus unbekannten Gründen zunächst offen, ob diese 125 Millionen Euro dem Bundeshaushalt zu erstatten seien, was mindestens die großen Parteien in Finanznot bringen würde, vielleicht sogar in Insolvenzgefahr. 

Eventuell scheuten die Richter deshalb vor einer Festlegung zurück; sie wollen ja das deutsche Parteiensystem nicht in die Luft jagen. Der eigentliche Entscheidungstext liegt zur Stunde noch nicht vor; man wird sehen, ob er an dieser Stelle einen Hinweis gibt, wie mit den unrechtmäßig kassierten Millionen umzugehen ist, die allerdings sicherlich zum größten Teil längst ausgegeben wurden.

Das Vertrauen der Wahlbevölkerung

So oder so stehen die Parteiapparate wahrscheinlich vor einer Entlassungswelle, wenn ihnen von jetzt auf gleich fast ein Fünftel ihrer Staatsknete wegbrechen. Gravierender aber noch ist die Tatsache, dass alle nach dem 1. Januar 2019 geführten Wahlkämpfe einschließlich des Bundestagswahlkampfs 2021 mit im Selbstbedienungsmodus beschafftem Schwarzgeld geführt wurden. 

Was das für die Legitimität der seither neu vom Wähler zusammengesetzten Landtage und vor allem des Bundestages bedeutet, sollte Thema einer sorgfältigen, aber unverzüglichen und natürlich parteifernen Untersuchung sein. Jedenfalls bedeutet es wiederum nichts Gutes für das Vertrauen der Wahlbevölkerung in die einzigen direkten gewählten Gremien auf Landes- und Bundesebene.
 

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Wirklich überzeugen kann bei alledem aber auch die Qualität dieser Karlsruher Rechtsprechung wieder einmal nicht. Wenn die Unzulässigkeit des Vorgehens der Fraktionen von Union und SPD im Juli 2018 kurz vor der Sommerpause derart auf der Hand liegt, wie es der Zweite Senat heute erklärte, ist es ein Unding, wenn er fast fünf Jahre brauchte, diesen Umstand herauszufinden.

Der Steuerzahler hätte erwarten dürfen, dass drei Monate nach der Einreichung des Normenkontrollantrags durch 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus den Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke gegen das PartGuaÄndG 2018 sowie eines entsprechenden Eilantrags der AfD mindestens eine deutliche Positionierung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt. Dieses lehnte der Zweite Senat aber mit Beschluss vom 12. März 2019 per Federstrich ab. 

Den Schaden hat nicht nur die Staatskasse

Die AfD-Fraktion hatte den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Änderung der Parteienfinanzierung verlangt. Aber: Keine Chance in Karlsruhe. Begründung: Die Anträge seien unzulässig gewesen. Das Rechtsschutzziel der Antragstellerin AfD diene nicht der vorläufigen Sicherung ihrer Rechte – ein im Hinblick auf die damals bereits absehbare Bundestagswahl 2021 abenteuerliches Argument. 

Noch weniger plausibel seinerzeit die Behauptung Karlsruhes, etwaige verfassungswidrige Rechtsfolgen der – heute in überdeutlicher Weise verworfenen – Regelung könnten in aller Ruhe auch noch im Hauptsacheverfahren abgewendet werden. Nein, das konnten sie nicht, und das hätte das Gericht auch damals schon wissen können, Corona-Einschränkungen, die mündliche Verhandlungen verzögerten, hin oder her. Den Schaden hat jetzt nicht nur die Staatskasse, sondern auch das Vertrauen in die Parteien und in den Bundestag selbst.

Nicht der allerseriöseste Eindruck

Weitere schwerwiegende, aber bei rechtzeitigem Eingreifen der Richter vermeidbare Folgen: siehe oben. Schließlich vermittelt auch der Kern der Begründung des heutigen Paukenschlags aus juristischer Sicht nicht den allerseriösesten Eindruck: Die Vorsitzende Doris König sagte, eine absolute Obergrenze für die staatliche Teilfinanzierung solle verhindern, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstehe, die Parteien würden sich in unangemessener Weise aus öffentlichen Kassen selbst bedienen: „Ein solcher Eindruck kann zu einem nachhaltigen Akzeptanzverlust für dieses System führen.“ 

Das ist einerseits sicherlich zutreffend, andererseits aber ein arg schwammiges Fundament für eine derart weitreichende Entscheidung. 165 Millionen Euro sind noch akzeptabel, 190 Millionen Euro (inzwischen sind es dank Indexierung sogar mehr als 200 Millionen Euro) aber nicht mehr? Das erscheint doch eine arg willkürliche Festsetzung aus höchstrichterlichem Bauch heraus.  

Rückzug hinter Formalien

Abgeschmettert hat derselbe Senat hingegen die Klage der AfD gegen das gesamte Eilverfahren, mit dem die Große Koalition die Erhöhung der Obergrenze während der laufenden Fußballweltmeisterschaft 2018 durchgesetzt hatte. Das ist insofern überraschend, als das Gericht selbst noch heute Vormittag an diesem erhebliche Zweifel angemeldet hatte. Diese Zweifel, so die Vorsitzende König, hätten jedoch außer Acht bleiben können, weil – so sinngemäß – das Urteil auch mit einer korrekten, sorgfältigen Vorgehensweise in erster, zweiter und dritter Lesung nicht anders ausgefallen wäre.

Die AfD musste sich nun sagen lassen, sie habe in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen die (frühere) Rechtsprechung des Senats „vollständig außer Acht gelassen“ und im übrigen auch nicht überzeugend argumentiert, soweit sie überhaupt antragsberechtigt gewesen sei. Karlsruhe: „Ob der Antragsgegner durch die Ausgestaltung des Verfahrens zum Erlass des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat, muss daher offenbleiben.“ Auch dieses Thema hätten die Verfassungsrichter anders, nämlich für die Zukunft hilfreicher für die Fraktionen des Bundestages lösen können, anstatt sich hinter Formalia zurückzuziehen.

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