Omikron-Variante - Deutschland bleibt hart

Während sich in immer mehr Ländern ein entspannterer Umgang mit Corona abzeichnet und Experten der Meinung sind, dass Omikron das Ende der Pandemie einläuten könnte, scheint man in Deutschland im permanenten Krisenmodus verharren zu wollen. Ein Blick über den Tellerrand würde nicht schaden.

In London ging das Leben an Heiligabend trotz Omikron seinen Gang. / dpa
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Erweist sich Omikron als Game Changer in der Corona-Pandemie? In Deutschland sieht es derzeit nicht danach aus. Obwohl die Erfahrungen in Ländern, die bereits mit der Omikron-Welle Bekanntschaft gemacht haben, sowie mehrere internationale Studien nahelegen, dass Omikron im Vergleich zur Delta-Variante zwar ansteckender, aber deutlich weniger gefährlich ist und zu wesentlich weniger Krankenhauseinweisungen führt, will die Politik hierzulande selbst von vorsichtiger Entwarnung nichts wissen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat bereits 80 Millionen Impfdosen für den kommenden März eingekauft und warnt vor Inzidenzen, die zwei- bis dreimal so hoch seien wie die offiziellen Angaben. Wie er zu dieser Annahme kommt, da selbst die offiziellen Zahlen alles andere als zuverlässig sind, verrät er leider nicht. Man muss ihm da schon glauben wollen.

Eine Lockerung der auch im internationalen Vergleich strengen 2G-Regeln in Gastronomie und Einzelhandel scheint nicht zur Debatte zu stehen. Auch die Diskussion um eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht – ebenfalls eine deutsche (und österreichische) Spezialität – bleibt von den Erkenntnissen über die Omikron-Variante merkwürdig unberührt. Da ist, wie so oft, ein Blick über den deutschen Tellerrand erfrischend und lehrreich.

Nach drei Tagen wieder auf den Beinen

In Südafrika, dem Ursprungsland der jüngsten Virusvariante, zeigen Daten der privaten Krankenversicherung „Discovery Health“, dass sich Patienten, die sich mit der Omikron-Variante angesteckt haben, nur milde Erkältungssymptome haben und meist nach drei bis vier Tagen wieder auf den Beinen sind. Südafrikanische Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Risiko einer Krankenhauseinweisung um 80 Prozent geringer ist als bei der Delta-Variante. Daher sind in dem Land am Kap auch keine neuen Lockdowns geplant, Kontaktpersonen und asymptomatisch Infizierte müssen nicht mehr in Quarantäne.

Auch andere Länder wie etwa die USA, Großbritannien und Spanien haben die Quarantäne-Dauer für symptomlos Infizierte bereits verkürzt – auch deswegen, um einem akuten Personalmangel im Gesundheitswesen und anderen Branchen, die für die Grundversorgung nötig sind, vorzubeugen. Wozu auch sollte man Infizierte für bis zu zwei Wochen in Quarantäne schicken, wenn sie nur wenige Tage erkrankt sind und die Ausbreitung von Omikron aufgrund der hohen Infektiosität nach Meinung zahlreicher Experten ohnehin nicht aufzuhalten ist?

Kein Impfpass für Läden und Pubs

In Dänemark, dem ersten Land in Europa, das von einer Omikron-Welle heimgesucht wurde, befürchtete man zunächst eine Überlastung des Gesundheitssystems über Weihnachten – wozu es dann aber nicht kam. Statt der befürchteten 800 Krankenhauseinweisungen pro Tag waren es nur 120. Auch hier zeigt sich: Die Krankheitsverläufe sind wesentlich milder als bei Delta. In Großbritannien wiederum, das ebenfalls Rekordzahlen an Infektionen mit der Omikron-Variante aufweist, lehnt Premierminister Boris Johnson schärfere Restriktionen ab, solange die steigende Zahl der „Fälle“ sich nicht in erhöhten Hospitalisierungsraten niederschlägt. In England jedenfalls (Wales, Schottland und Nordirland machen ihre eigenen Regeln) darf man auch weiterhin Läden, Pubs, Restaurants, Kinos und Theater ohne jeglichen Impfnachweis betreten. Letzterer ist nur für Nachtclubs und größere Veranstaltungen obligatorisch. Auch die Omikron-Variante führt dort also nicht dazu, Ungeimpfte vom öffentlichen Leben auszuschließen. In Spanien sind ebenfalls keine schärferen Restriktionen geplant, was Ministerpräsident Pedro Sánchez damit begründet, dass Omikron in der Regel nur zu leichten Symptomen führe und das Gesundheitssystem kaum belaste.

Auch in Israel, dessen Corona-Politik lange Zeit als vorbildlich galt, und das dann doch immer wieder von neuen Wellen überrascht wurde, setzt allmählich ein Umdenken ein. Zwar setzt die Regierung Bennett auch angesichts der Omikrom-Variante weiterhin auf harsche Maßnahmen wie Einreiseverbote und propagiert die bereits vierte Impfrunde, doch Gegenwind kommt hier ausgerechnet aus dem Gesundheitsministerium: Mit Verweis auf die genannten Studien, die die relative Harmlosigkeit von Omikron nahelegen, hat Nachman Ash, der Generaldirektor des Ministeriums, die Kampagne zur Viertimpfung vorerst gestoppt. Auch andere israelische Gesundheitsexperten sind der Meinung, dass sich die Omikron-Welle durch Regierungsmaßnahmen nicht aufhalten lasse – und auch nicht aufgehalten werden müsse. Cyrille Cohen, Chef-Immunologe der Bar-Ilan-Universität, sagte der Jerusalem Post: „Die fünfte Welle könnte enden, wenn ein Großteil der Bevölkerung infiziert ist.“ Und der Epidemiologe Hagai Levine von der Hebräischen Universität Jerusalem meint im Hinblick auf eine Studie, derzufolge eine Infektion mit Omikron zu natürlicher Immunität auch gegen andere Virusvarianten führe, dass Omikron „den Übergang zur endemischen Phase des Virus“ bedeuten könnte.

Guter Rat für den Expertenrat

In allen genannten Ländern kann sich die Politik natürlich auch wieder ändern, sollte man dort entscheiden, dass die Zahl der Hospitalisierten doch nicht mehr akzeptabel ist. Doch anders als in Deutschland scheint man dort derzeit erst einmal mit vorsichtigem Optimismus an die Omikron-Sache heranzugehen, statt weiter auf die Panik-Tube zu drücken.

Immerhin melden sich auch hierzulande allmählich Expertenstimmen zu Wort, die dem Gefahrennarrativ etwas entgegensetzen. So warnte etwa der renommierte Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr in einem Interview mit dem NDR vor „Panikmache“ und erinnerte daran, dass sich die Omikron-Variante des Coronavirus genau so entwickle, wie es auch andere Forscher vorhersagen: zwar ansteckender, aber mit milderem Krankheitsverlauf. „Das Virus hat sich angepasst. Dadurch, dass jetzt mehr die oberen Atemwege betroffen sind, also Nase und Rachen, und weniger die Lunge, wird der Erkrankungsverlauf milder“, erklärte Stöhr. In Deutschland werde es wohl so kommen wie derzeit in Dänemark und Großbritannien, so der Virologe: vermehrte Ansteckungen, also hohe Inzidenzen, aber wesentlich weniger Covid-Patienten auf den Intensivstationen. Gegenüber der Bild-Zeitung erklärte Stöhr zudem: „Omikron ist die Variante, die höchstwahrscheinlich in die Endemie hinüberführt. … Die Übertragungsrate nimmt zu, die Inkubationszeit wird langsam kürzer und ähnelt jetzt schon den zirkulierenden, endemischen Corona-Viren.“ Dem Corona-Expertenrat der Ampel-Regierung gibt Stöhr noch einen guten Rat mit auf den Weg: „Denn irgendwann ist es ja so, dass die Normalität einzieht. Das heißt: Alle sind infiziert oder immunisiert und dann muss man den Grenzwert festlegen, wo wir zur Normalität zurückkommen. Das muss der Expertenrat jetzt tun.“ Ob die regierungsamtlich eingesetzten Experten bereit sind, den Panikmuskel ein wenig zu entspannen, wird man mit der gebotenen Skepsis abwarten müssen.

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