Olaf Scholz und die Inflation - Des Kanzlers Kampf gegen die Lohn-Preis-Spirale

Endlich erkennt auch die Bundesregierung, dass die rasant steigenden Preise eine ernsthafte Gefahr sind. Doch statt die Grundprobleme der europäischen Geldpolitik anzupacken, will Olaf Scholz die Inflation national mit einer „konzertierten Aktion“ eindämmen: Arbeitnehmer sollen auf Lohnerhöhungen verzichten, damit die Preise nicht noch weiter steigen.

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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Warnungen vor einer gefährlichen Inflationsdynamik wurden lange nicht richtig ernst genommen – und die sich bereits vor dem Ukraine-Krieg abzeichnenden Risiken heruntergespielt. Jetzt geht das offenbar nicht mehr. Der Preisanstieg ist längst im Alltag zu spüren. Haupttreiber sind die Energiepreise. Und da der Westen im Konflikt mit Russland auf dessen Gas und Erdöl möglichst bald verzichten will, um Putin in die Knie zu zwingen, wird Energie eher noch teurer werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der Generaldebatte im Bundestag nicht nur neue Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt, sondern auch der Inflation im eigenen Land den Kampf angesagt. Der Preisanstieg habe eine ganze Reihe von Ursachen, sagte Scholz, „ganz vorn: der von Russland angezettelte Krieg.“ Als weitere Gründe der aktuell steigenden Preise nannte der Kanzler gestörte internationale Lieferketten und „die milliardenschweren Konjunkturpakete“, die zu einer höheren Nachfrage führten, was preistreibend wirkt. Beides sind Folgen der Corona-Krise. Worüber der Sozialdemokrat jedoch schwieg, und das bestimmt nicht ohne Grund, ist die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB).

Kein Wort zur Rolle der EZB

Jene Institution, deren ureigene Aufgabe es ist, „die Preisstabilität zu gewährleisten“, sprich die Inflationsrate in einem unschädlichen Rahmen zu halten. So steht es als „vorrangiges Ziel“ in Satzung und Gründungsvertrag festgeschrieben. Seit der Euro-Krise verfolgt die EZB aber in Wahrheit ein anderes Hauptziel. Nicht der Stabilität der Preise im Euro-Raum gilt ihre größte Sorge, sondern der politischen Stabilität dieses Raums. Nur so lässt sich verstehen, warum die Notenbank so lange alle Inflationswarnungen abgetan und an ihrer Politik des billigen Geldes festgehalten hat. Auch jetzt, da die Brisanz der Lage nicht mehr zu verkennen ist, tun sich die Frankfurter Währungshüter schwerer damit, die Zinsen anzuheben als etwa ihre Kollegen der Fed in den USA.

Das Zögern der EZB hat vor allem einen Grund: Die überschuldeten Euro-Staaten im Süden sind auf niedrige Zinsen angewiesen. Ein beherztes Gegensteuern, das eigentlich notwendig wäre, um den Preisanstieg einzudämmen, birgt die Gefahr, dass die Währungsunion auseinanderbricht. Beide Szenarien, der Zusammenbruch des bisherigen Euro-Systems, aber auch ein ungebremstes Voranschreiten der Inflation, drohen verheerende wirtschaftliche und politische Folgeschäden nach sich zu ziehen. Das weiß auch Olaf Scholz, der finanzpolitisch sachkundig beraten wird. Und weil offenbar weder er noch seine Berater angesichts der vertrackten Lage eine gute Antwort gefunden haben, sparte er die Frage einfach aus.

Konzertierte Aktion

Statt bei der unglücklichen Rolle der EZB anzusetzen und sie an ihre Kernaufgabe zu erinnern, hat Scholz einen anderen Schlachtplan. Er bleibt auf der nationalen Ebene und will dort die sogenannte Lohn-Preis-Spirale aufhalten. Ein volkswirtschaftliches Phänomen, das einfach zu erklären ist. Steigende Preise, zum Beispiel für Lebensmittel, Benzin und Heizung, führen dazu, dass Angestellten weniger von ihrem Gehalt bleibt. Sie fordern daher höhere Löhne, ihre Gewerkschaften setzen diese Forderungen in Tarifverhandlungen durch. Den Unternehmern wiederum entstehen dadurch höhere Lohnkosten, was sie durch Preiserhöhungen ausgleichen wollen. Die Lohn-Preis-Spirale beginnt sich zu drehen.

Um sie zu stoppen, hat Scholz zu einer „konzertierten Aktion“ aufgerufen. Er will mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über Auswege sprechen. „Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen wir diskutieren, wie wir mit der aktuellen Preisentwicklung umgehen“, sagte er am Mittwoch. Es gehe um eine „gezielte Kraftanstrengung in einer außergewöhnlichen Situation“. Mehr war noch nicht zu erfahren.

Die Bundesregierung werde kurzfristig über die weiteren Details informieren, hieß es am Donnerstag aus dem Kanzleramt. Aus Gewerkschaftskreisen war zu erfahren, dass noch Unklarheit über die konkrete Stoßrichtung herrsche. Vertreter von jeweils vier Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie der Bundesbank sollen demnach in Kürze eine Einladung des Kanzlers erhalten. Einen Termin gebe es noch nicht.

Spielen die Gewerkschaften mit?

Während Arbeitgeberverbände Scholz‘ Vorstoß positiv aufnahmen, kam von einzelnen Gewerkschaften Kritik. So warnte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am Donnerstag vor einem staatlichen Eingriff in die Tarifautonomie. „Schon die Einladung macht deutlich, dass am Ende Zurückhaltung bei den Lohnforderungen erwartet wird“, kritisierte EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch. „Dass die Arbeitgeber schon jetzt Beifall klatschen, unterstreicht diesen Eindruck.“

Der Begriff der konzertierten Aktion ist aus Zeiten der ersten Großen Koalition bekannt. Angesichts der ersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik rief Wirtschaftsminister Karl Schiller 1967 Vertreter von Regierung, Bundesbank, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften an einen Tisch. „Konzertiert“ meint „verabredet“ – also den Versuch, Interessen freiwillig abzustimmen und in Einklang zu bringen.

Konkurrenz im Nacken 

Das klappte jedoch schon damals nicht richtig. Und heute wird es noch schwieriger. Denn Überalterung und Fachkräftemangel zwingen Arbeitgeber schon jetzt dazu, den Forderungen von Arbeitnehmern entgegenzukommen. Und die großen Gewerkschaften leiden unter Mitgliederschwund, den sie durch allzu moderates Auftreten bei Tarifverhandlungen nicht aufhalten werden.

Dass ausgerechnet die EVG den Vorschlag des Kanzlers so schnell kritisiert hat, obwohl ihr Dachverband, der DGB, die konzertierte Aktion ausdrücklich unterstützt, hat auch damit zu tun, dass den Eisenbahngewerkschaftern die kleinere und konfliktfreudigere Lokführergewerkschaft GDL als Konkurrenz im Nacken sitzt.

mit dpa

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