Cum-Ex-Affäre um Warburg-Bank - Staranwalt zeigt Scholz und Tschentscher an

Der prominente Strafverteidiger Gerhard Strate hat Anzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher erstattet. Er wirft den SPD-Politikern vor, die Hamburger Warburg-Bank im Cum-Ex-Skandal geschützt zu haben. Sogar Gefängnis wäre ein mögliches Strafmaß. Zunächst steckt aber vor allem Tschentscher politisch in der Klemme.

Holt der Cum-Ex-Skandal Tschentscher und Scholz nun ein? / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Gerhard Strate ist bekannt für aufsehenerregende Fälle. Er vertrat unter anderem den Volkswagen-Patriarchen Ferdinand Piëch in der Dieselaffäre, den Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer gegen die Bank Sarasin und die als Mörderin ihrer Kinder verurteilte Monika Böttcher. Nun kommt ein weiterer Fall hinzu: Der Hamburger Staranwalt hat am Dienstag Strafanzeige gegen Olaf Scholz und Peter Tschentscher „wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung sowie – im Falle von Scholz – wegen falscher uneidlicher Aussage“ eingereicht. Das Manager Magazin berichtete gestern als erstes Medium darüber.

Strates Anzeige liegt Cicero vor. Auf 38 Seiten mit 44 Fußnoten analysiert der Jurist ausführlich den Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Privatbank M.M. Warburg und kommt zu folgendem Schluss: „Der mit Billigung des Finanzsenators [Peter Tschentscher] im November 2016 durch die Hamburger Finanzverwaltung vorgenommene Verzicht auf eine Rückforderung der der Warburg Bank zugeflossenen Kapitalertragsteuer“ sei keine Rechtsentscheidung gewesen, sondern ein „Willkürakt“.

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Zur Erinnerung: Ab 2007 machte die Warburg-Bank durch Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich die Akteure durch Tricks Kapitalertragsteuern mehrfach auszahlen ließen, Gewinne im dreistelligen Millionenbereich. Nachdem Cum-Ex für kriminell erklärt wurde, ließen Hamburgs Steuerbehörden im Jahr 2016 Rückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro einfach verjähren. Als damaliger Bürgermeister der Hansestadt steht Scholz unter Verdacht, der Bank dabei geholfen zu haben – ein Verdacht, der auch auf den damaligen Finanzsenator Tschentscher fällt. Nachdem ein persönliches Treffen zwischen Warburg-Chef Christian Olearius und Scholz bekannt wurde, fragte Linken-Politiker Fabio De Masi Scholz im Finanzausschuss, ob es weitere Gespräche gegeben habe. Scholz verneinte dies. Eine unwahre Aussage, denn wie später herauskam, gab es zwei weitere Treffen und ein Telefonat zwischen dem Bankier und Scholz.

„Bemerkenswert abwegige“ Begründungen

Laut Gerhard Strate sind die Überlegungen der Finanzverwaltung, von dem Rückforderungsbescheid, zu dem es „keine Alternative“ gegeben habe, abzusehen, „bemerkenswert abwegig“. Dennoch hätten Scholz und Tschentscher ihre „schützende Hand“ über die Bank gehalten und sich zu „Gehilfen der Steuerhinterzieher aus der Warburg Bank gemacht“.

Strate, der in seinem Schreiben auch der Hamburger Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe macht, weil sie bisherige Strafanzeigen gegen Scholz und Tschentscher wegen angeblich nicht zureichender Verdachtsmomente nicht verfolgt hat, zieht dabei die bisherigen Rechtfertigungen der Politiker in Zweifel.

Strate über Tschentschers Rechtfertigung

Tschentscher hat, so wie Scholz, stets beteuert, keinen Einfluss auf die Entscheidung der Hamburger Finanzverwaltung genommen zu haben. In einer Stellungnahme verkündete Tschentscher 2018, der Senat lasse „die Finanzämter nach Recht und Gesetz ihre Arbeit machen und nimmt keinen Einfluss auf deren Entscheidungen, schon gar nicht in konkreten Einzelfällen“. Eine politische Einflussnahme hierauf gebe es nicht, „sie wäre rechtswidrig und würde von den Finanzämtern gar nicht akzeptiert werden“.

Strate dreht den Spieß um. Denn laut der Hamburgischen Verfassung stehe der Senat an der Spitze der Exekutive, und zwar nicht nur als Landesregierung, sondern auch als Verwaltungsspitze. „Der Finanzsenator kann sich also mitnichten als Politiker aus den sachlichen Vorgängen in der Finanzverwaltung zurückziehen, vielmehr ist er die Spitze der Finanzverwaltung und damit dazu berufen und berechtigt, rechtswidriges Handeln zu unterbinden, wenn er davon Kenntnis erlangt“, so Strate. Die daraus hergeleitete Pflicht habe Tschentscher ab dem Zeitpunkt betroffen, an dem er von den Vorgängen um die Warburg Bank Kenntnis erlangte.

In der Zwickmühle

Tschentschers Rechtfertigung, als Finanzsenator keinen Einfluss zu nehmen, offenbare sich deshalb als „verfassungswidriger Versuch, sich dieser Pflicht zu entziehen und die staatsrechtlich übertragene Verantwortung durch wohlfeile Redensarten abzuschütteln“. Tschentscher steckt also in einer Zwickmühle: Entweder, er hat aktiv Einfluss genommen – ein Vorwurf, der weiterhin besteht –, oder er hat aktiv keinen Einfluss genommen, weil er die eintretende Verjährung der Rückforderungen „zustimmend zur Kenntnis genommen“ (Strate) hat.

Für den heutigen Bürgermeister Hamburgs wird die Anzeige zu einem politischen Dilemma, wie der Investigativjournalist Oliver Schröm gestern im Interview mit dem NDR ausführte. Denn wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnimmt, muss sie auch einen Antrag auf Aufhebung der Immunität stellen. Anfang Mai muss Tschentscher sich im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) in Hamburg erklären. Wäre er dann Beschuldigter, hätte er als solcher das Recht, die Aussage zu verweigern – was politisch fatal für ihn wäre, weil es einem Schuldeingeständnis gleichkäme. „Und kommt Peter Tschentscher ins Stolpern, hat es natürlich auch Sogwirkung auf Olaf Scholz“, so Schröm im NDR-Interview.

Scholz’ Erinnerungslücken unglaubwürdig

Dem heutigen Bundeskanzler wirft Strate falsche uneidliche Aussage im PUA vor. Strafmaß: drei Monate bis fünf Jahre Gefängnis. Scholz hatte mehrfach Treffen mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius im Hamburger Rathaus verschwiegen und sich hinterher auf Erinnerungslücken berufen – obwohl er auf das Gespräch am 07.09.2016 durch ein anderthalbseitiges Papier aus der Wirtschaftsbehörde vorbereitet wurde. Darin werden als „möglicher Ansprechpunkt“ die Cum-Ex-Geschäfte genannt und auch darauf hingewiesen, dass die Warburg Bank in kriminelle Aktiengeschäfte in Höhe von bis zu 150 Millionen Euro verwickelt sei.

Strate: „Eine völlige Erinnerungslosigkeit – wie sie Olaf Scholz für sich in Anspruch nimmt – ist eine Erscheinung, die in der Aussage- und Gedächtnispsychologie nur im Rahmen einer sog. post-traumatischen Belastungsstörung gelegentlich diagnostiziert wird. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte.“

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