Niederlage in Nordrhein-Westfalen - Wahlschlappe der SPD schadet Scholz

Es war die wichtigste Wahl des Jahres und der erste wirkliche Stimmungstest seit dem Regierungswechsel im Bund. Auch wenn die SPD trotz Niederlage noch versucht, in Düsseldorf an die Macht zu kommen: Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war für die Kanzlerpartei, und für Olaf Scholz persönlich, ein herber Rückschlag.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen / dpa
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Es ist der erste zählbare Dämpfer für Bundeskanzler Olaf Scholz nach seinem Wahlsieg vor fast acht Monaten. Und er fällt ziemlich heftig aus. Bei der wichtigsten Wahl des Jahres im größten Bundesland der Republik kommt seine SPD mit knapp 27 Prozent nach den Hochrechnungen auf das schlechteste Wahlergebnis in der 76-jährigen Geschichte Nordrhein-Westfalens. Angesichts des überraschend deutlichen Rückstands zum Wahlsieger CDU dürfte es Spitzenkandidat Thomas Kutschaty nur schwer möglich sein, eine Regierung zu bilden. Mit der FDP hat es einen weiteren Ampel-Koalitionspartner böse erwischt. Die Grünen schießen dagegen in ungeahnte Höhen – und können mit ihrer Koalitionsentscheidung nun auch bundespolitisch ein Zeichen setzen.

SPD gibt noch nicht auf: Rot-Grün als Wunschziel

Historisch schlechte Wahlergebnisse doch irgendwie als Erfolg aussehen zu lassen, gehört zur ganz hohen Kunst der politischen Kommunikation. Über eine Niederlage wollte SPD-Chef Lars Klingbeil am Sonntag nicht sprechen, als er vor die Kameras trat. Zunächst einmal sei ein wichtiges Ziel erreicht: „Schwarz-Gelb ist abgewählt worden heute Abend.“ Jetzt müsse die Auszählung zeigen, ob Rot-Grün und damit ein Politikwechsel möglich sei. „Wir haben ja häufig erlebt, dass schon von Platz zwei auch Regierungen gebildet werden“, sagte der SPD-Chef. „Wenn wir die Chance haben, das zu machen, dann bieten wir den Grünen ganz klar an, dass wir eine Koalition bilden wollen.“ Das hörte sich schon sehr nach Armin Laschet an, der als CDU/CSU-Spitzenkandidat trotz verlorener Bundestagswahl am Wahlabend einen Machtanspruch formulierte.

Scholz hat sich richtig reingehängt in NRW

In Nordrhein-Westfalen waren mehr als 13 Millionen Menschen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Man spricht deshalb auch von der „kleinen Bundestagswahl“.
Wieviel Anteil an der SPD-Schlappe der Ukraine-Kurs des Kanzlers und seine sinkenden Beliebtheitswerte haben, lässt sich nicht genau beziffern.

Fest steht aber: Scholz hat diese Wahl ein Stück weit auch zu seiner eigenen gemacht. Gerade in der Endphase hängte er sich noch einmal richtig für Kutschaty rein. Auf Wahlplakaten für die letzten zwei Wochen der Kampagne waren Kanzler und Kandidat neben dem Slogan zu sehen: „Gemeinsam für NRW und Deutschland.“ Noch am Freitag traten sie zusammen auf einer Großveranstaltung am Kölner Dom vor 1500 Zuschauern auf.

Scholz wird am Montag vermutlich erklären, wieviel Verantwortung er für die Wahlschlappe bei sich sieht. Auf seine Politik in der Ukraine-Krise wird das Wahlergebnis wohl kaum Einfluss haben. Sich nach Umfragen und Wahlergebnissen in den Ländern zu richten, passt nicht zum Kanzler.

Merz in der Erfolgsspur 

Für CDU-Generalsekretär Mario Czaja sind die Äußerungen aus der SPD zum Wahlausgang die klassische Vorlage für eine süffisante Spitze. Die CDU habe als stärkste Kraft in NRW den Regierungsauftrag, auch die Grünen könnten starke Gewinne verbuchen – für die SPD jedenfalls gebe es keinen Auftrag, eine Regierung zu schmieden. Vielleicht brauche Kühnert noch einen Moment, um das zu verkraften, teilt Czaja aus. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte zuvor darauf beharrt, seine Partei werde den anderen Parteien nach Möglichkeit Gespräche zur Regierungsbildung anbieten. 

Der neue CDU-Chef Friedrich Merz dürfte nach dem zweiten Wahlerfolg seiner Partei innerhalb einer Woche – am vergangenen Sonntag hatte Daniel Günther in Schleswig-Holstein mit überraschenden 43,4 Prozent die Landtagswahl gewonnen – erleichtert und in Feierlaune sein. Wie Scholz hatte sich der Sauerländer in seinem Heimatland NRW im Wahlkampf besonders ins Zeug gelegt. Mit dem Erfolg von Hendrik Wüst habe sich Merz stabilisiert, glauben sie denn auch in der CDU.

Czaja findet in seiner Stellungnahme sehr freundliche Worte für die Grünen, gratuliert ausdrücklich zu ihren Zugewinnen. Die hätten auch mit der „guten Arbeit“ der Grünen-Minister in der Ampel-Regierung im Bund zu tun, versucht er, etwas Zwietracht in der Bundesregierung zu säen. Hinter vorgehaltener Hand hoffen manche in der CDU sogar, die gesamte Ampel könne angesichts auch drastischer Verluste der FDP erschüttert werden.

Regierungsbildung strahlt in die Bundespolitik aus

Von der bevorstehenden Regierungsbildung wird auf jeden Fall ein bundespolitisches Signal ausgehen. Die entscheidende Rolle kommt dabei den Grünen zu, die ihr Wahlergebnis von 2017 fast verdreifacht haben – von 6,4 Prozent auf gut 18 Prozent in den ersten Hochrechnungen. Die Grünen müssen sich nun zunächst einmal zwischen CDU und SPD entscheiden. Mit der CDU wäre nach den ersten Zahlen auf jeden Fall ein Zweierbündnis möglich, mit der SPD nur vielleicht. Mit einem krachenden Wahlverlierer mit knapper Mehrheit zu regieren, wäre ein größeres Wagnis und erscheint deswegen als unwahrscheinliche Option.

Sollte es also zu Schwarz-Grün kommen, würden drei der fünf bevölkerungsreichsten Bundesländer von Zweierbündnissen aus CDU und Grünen regiert: Neben Nordrhein-Westfalen auch Baden-Württemberg und Hessen. Die Grünen sind längst nicht mehr auf die SPD als Koalitionspartner abonniert. Insgesamt sitzen sie in fünf Landesregierungen (Zweier- und Dreierkoalitionen) mit der CDU und in sieben mit der SPD. Also kein großer Unterschied mehr.
 Zumal Koalitionsbildungen über politische Lager hinweg für die Partei einen besonderen Reiz haben. Die Grünen wollen für breite Schichten wählbar und anschlussfähig sein. Eine Koalition mit der deutlich deklassierten SPD statt der CDU einzugehen wäre auch schwer begründbar.

Genauso klar ist aber, dass die Grünen sich nicht in die Karten gucken lassen wollten am Sonntagabend, schon um den Druck auf die CDU hoch zu halten. Die Wahl des Koalitionspartners hänge einzig und allein von einer Sache ab, ließ Bundes-Parteichefin Ricarda Lang am Sonntagabend wissen: „Und zwar wer überzeugend bereit ist, mit uns gemeinsam den Weg in eine klimaneutrale und digitale Zukunft zu gehen, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen und den Zusammenhalt in NRW zu stärken.“

FDP kommt unter die Räder

Es dauert recht lange an diesem Abend, bis FDP-Parteichef Christian Lindner vor die Kameras tritt. „Wir haben heute nicht davon profitiert, dass wir fünf Jahre auch die Richtung des Landes mitgeprägt haben. Wir haben eine, man muss es so sagen, desaströse Niederlage heute Abend zu verzeichnen“, sagt Lindner aus dem fernen Berlin. Von satten 12,6 Prozent stürzte seine Partei bedrohlich nahe an die 5-Prozent-Hürde ab.
Die Parteispitze wird sich nun fragen, was schief läuft und wer Fehler macht.

Eine Lesart: In der Corona-Pandemie bezahlte die FDP den Preis für Probleme im Bildungssystem. Lindner verweist auf ein größeres Problem. Die FDP habe jetzt zweimal kurz hintereinander erlebt, dass sie in Regierungsverantwortung an Zustimmung verloren habe. Ob das der Ruf danach ist, auch in der Ampel vehementer die eigenen Positionen zu vertreten, wird sich erst noch zeigen.

Linke kriegt die Kurve nicht

Zu den Verlierern aus der Opposition zählt auch wieder die Linke. Die in einer tiefen Krise steckende Partei bekommt auch in Nordrhein-Westfalen die Kurve nicht und scheitert wieder an der Fünf-Prozent-Hürde. Bei der schwer taumelnden Bundespartei wird es nun erstmal heißen: Augen zu und durch. Die Neuaufstellung der Partei ist ja ohnehin schon beschlossene Sache. Ende Juni wird die gesamte Spitze neu gewählt. Viel mehr geht erstmal nicht. Danach mal schauen, ob es hilft.

Der AfD bleibt nach der Schlappe in Schleswig-Holstein ein weiterer Rauswurf aus einem Landtag nach den ersten Hochrechnungen erspart – wenn auch nur knapp. Sie zieht aber geschwächt in den neuen Landtag ein.

dpa

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