Neukölln - Fatale Kinderkultur

Statt die Probleme in Neukölln zu lösen, rettet die links-grüne Politikelite lieber die Welt. Statt auf die Freiheit des Einzelnen zu setzen, soll die Gesellschaft mit Verzicht glücklich werden. Ein peinliches Versteckspiel.

Ein ausgebrannter Bus nach Silvester in Neukölln. Wer könnte nur dahinter stecken? / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Zwei Bundesministerinnen grünen Geblüts pilgerten nach Nigeria, um Statuen zurückzugeben, die Westeuropäer aus dem verrufenen Sklavenhändlerreich Benin geraubt hatten. Sie handelten also ganz, wie es sich für schuldbewusste Töchterstöchterstöchter alter weißer Kolonialherren – und -herrinnen – geziemt. 

Deutsche Erinnerungskultur ist Globalkultur. Die brandaktuelle deutsche Gegenwart indes kommt in der Welt der bundesrepublikanischen Schuldbekenntnisse eher selten vor. Oder leisten rot-grüne Bundesministerinnen bei den bedrängten indigenen Bürgern Abbitte für die politische Verleugnung islamistischer Migrationskonflikte? 

Augen zu, Probleme weg.

Deutsche Binnenkultur ist Kinderkultur: Augen zu, Hände vors Gesicht – wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht. Blind für die Wirklichkeit tappten linke und grüne Politiker nach der Terrornacht durch die Talkshows: Junge Männer – woher auch immer – mit Testosteronüberschuss seien es gewesen. Wohlerzogen meinte die Bild-Zeitung: „Die Frage nach der Herkunft muss erlaubt sein.“ Inzwischen ist wenigstens das Wörtchen „Integrationsverweigerer“ zugelassen. Wer damit bloß gemeint sein mag

Das Volk weiß es längst. Das Volk sind laut Angela Merkel „diejenigen, die schon länger hier leben“. Das drängendste politische Problem des Landes: Die da oben benennen nicht, was denen da unten widerfährt. Nicht allein die Migration hat sich ganzer Stadtteile bemächtigt. Unbewältigte Probleme sonder Zahl behindern und belästigen fleißige und ordentliche Arbeitnehmer in ihrem Alltag. Von Schulen in erbärmlichem Zustand über Behördengänge als Unterwerfungsritual bis hin zum Dreck auf der Straße.

Dreck auf der Straße? Wer sagt denn so was! 

 

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Michael Müller, vor nicht allzu langer Zeit noch Regierender Bürgermeister von Berlin, sah sich zu der fatalen Feststellung veranlasst, „dass die Stadt schmutzig ist“. Er sei ja nun nicht mehr mit Fahrer unterwegs, sondern per Fahrrad oder zu Fuß: „Jetzt fällt mir das auf, ganz merkwürdig.“ Ja, merkwürdig. Und einer Weltmetropole unwürdig.

Messias Marx

Aber so ist es nun mal: Die einen stehen rechnend vor den Billigprodukten im Aldi-Regal, die anderen halten ihren Schwatz auf wohlsortierten Biomärkten; die Kinder der einen benutzen wohl oder übel ungeputzte Schultoiletten, die der andern tollen im wohlriechenden Canisius-­Gymnasium herum; die einen sind abgehängt, die anderen leben angehängt an die vom Steuerzahler subventionierten universitären Netzwerke, an die ausgiebig alimentierte Kulturelite, an die wuchernde NGO-Landschaft, an Lebensstellungen in der ausufernden Verwaltungswelt. 

Die links-grünen Lüfte sind erwacht – „sie säuseln und weben Tag und Nacht“. Das mächtige akademische Elternhaus sorgt für seine Kinder. „Woke“ soll das alles sein.

Hatte also „Marx doch recht“, wie Der Spiegel, das Blatt für den politisch-journalistisch korrekten Wochenaufwisch, in der ersten Titelgeschichte des neuen Jahres suggerierte? Im Inneren des Heftes stand dann klipp und klar zu lesen: „All die plötzlichen Zeitenwenden und Weltkrisen offenbaren, dass der klassische Kapitalismus keine Antworten mehr für die Zukunft liefert.“

175 Jahre nach der gescheiterten Bürgerrevolution in der Paulskirche knüpft die Grün-Linke an ein tragisches Muster der deutschen Geschichte an: Rettung in die Unfreiheit. Der Erfinder des dialektischen Materialismus aus Trier, dessen Denken die Welt mit Hoffnung erfüllte, ihr aber praktisch nie etwas Besseres beschert hat als gesellschaftliche Unterdrückung und wirtschaftliche Misere – auf dem Spiegel-­Titel erschien er als neu-alter Messias im grünen Zeitgeisthemd. 

Der störende Bürger

Und so passt er ganz wunderbar in die säkular-­religiöse Landschaft von Klimarettern, Atomkraftstoppern und Hafermilchtrinkern – in die Republik der Wahrhaftigen und Guten: Marxens erwähltes Volk war das Proletariat, das der Grünen sind die Migranten; seine Diktatur des Proletariats war das Fegefeuer, für die Grünen ist es die Verzichtgesellschaft; sein Paradies schließlich war der Kommunismus, das der Grünen ist die klimagerettete Welt voller Wohlbefinden. 

Endlich ist es geschafft: Das deutsche Wir durchgesetzt gegen das freisinnige Ich, wie es vor 175 Jahren etwa in der Schweiz erkämpft wurde, im erfolgreichsten Kapitalismus der Welt mit geringer Inflation, geringer Arbeitslosigkeit, geringer Armut – und voller Weltfirmen. 

Natürlich ist die freisinnige Schweiz kein Paradies – nur eine freiheitlich regierte und kapitalistisch inspirierte Bürgernation. 
Bürgernation? Ein befremdlicher Begriff in den Ohren etablierter deutscher Politik. Jüngst lieferte Bärbel Bas vom Katheder der Bundestagspräsidentin herab ein Beispiel dieser Befremdung: Sie schlug vor, nur noch alle fünf Jahre ein neues Parlament zu wählen. Die Sozialdemokratin will dem Volk ein Wahljahr abknapsen, damit den Abgeordneten – so begründete sie ihren Vorschlag – mehr Zeit zum ungestörten Arbeiten bleibe. Deutsche Politik in Reinkultur: von oben nach unten. 

Ein Volk von Untertanen

Das Grundgesetz erlaubt es sogar: Eine Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat kann der Wählerschaft eine fünfjährige Legislaturperiode verordnen. Der Wählerschaft? Der Bürgerschaft! Dem Souverän! Dabei zählt es doch zur Essenz der Demokratie, dass allein der Citoyen und die Citoyenne zu bestimmen haben, wie lange ihre Repräsentanten amtieren dürfen.

Eidgenossen erscheint die bassche Belehrung der Basis unglaublich, wenn nicht empörend. In Deutschland: kein Pieps des Protests. Die wilhelminische Bücklingskultur, von Heinrich Mann in seinem Roman „Der Untertan“ wunderwiderlich beschrieben, wabert durch die aktuelle Politik.

Die Bürgerkultur von 1848: In der Bundesrepublik scheitert sie gerade ein weiteres Mal.

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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