Neues Grundsatzprogramm der CDU - Der Zweifrontenkrieg der Union

Nach der verlorenen Bundestagswahl arbeitet die CDU wieder einmal an einem neuen  Grundsatzprogramm. Nun wurde die „Grundwertecharta“ vorgestellt. Die Partei soll „bürgerlicher“ werden, aber auch „weltoffen“ und „christlich“ sein. Eine „Aufbruchserzählung“ wird gesucht, sagt Programm-Chef Carsten Linnemann. Gefunden hat man sie allerdings noch nicht.

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, spricht bei einer Diskussionsveranstaltung der CDU zur neuen „Grundwertecharta“ der Partei /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es ist knapp zwei Jahre und eine Bundestagswahl her, dass das CDU-Mitglied Friedrich Merz Vorsitzender seiner Partei werden wollte. Einer seiner Slogans war damals, er wolle „die AfD halbieren“. Sein Versprechen war, nach der Merkel-CDU würde nun eine doch konservativere CDU wieder stärker sichtbar, zumindest eine CDU, die mehr das Eigene betont – und weniger beim politischen Mitbewerber einkaufen geht. Inzwischen ist Friedrich Merz Vorsitzender, Merkel ist nicht mehr Kanzlerin, und von den Oppositionsbänken aus scheint die Welt doch deutlich anders auszusehen.

Jetzt hat die Christlich Demokratische Union ihre sogenannte „Grundwertecharta“ vorgestellt und damit einen Grundsatzprogrammprozess eingeleitet – solche Sachen machen Parteien gern, wenn sie nicht regieren. Die Vorstellung war durchaus interessant, zeigte sie doch die ersten Grundrisse einer Strategie auf, die die Kanzlerschaft wieder in Unions-Hände bringen soll. Eines ist klar: Friedrich Merz weiß inzwischen, mit einer halbierten AfD allein wird er nicht ins Kanzleramt einziehen. Mehr noch: Das Augenmerk liegt nicht auf den Kämpfen an der rechten Flanke der Partei. Außer ein paar schönen Formulierungen findet die Schlacht im Zweifrontenkrieg der Union auf der anderen Seite statt. Die CDU nimmt die SPD und vor allem die Grünen ins Visier, was immer die Gefahr des Kopierens birgt – und viel Mühe braucht, um daraus etwas Eigenes zu destillieren.

Die CDU entdeckt das „Bürgerliche"

Unter Leitung des Historikers Andreas Rödder hat eine Grundwertekommission seit Januar an der neuen „Charta“ gearbeitet. Gestern war er aus New York zugeschaltet, was an sich schon eine gewisse transatlantische Botschaft barg. Sein Verdienst ist es, dass nun vor allem ein Begriff stärkere Beachtung findet: Die CDU entdeckt „das Bürgerliche“ neu. In früheren Papieren war man zumindest vorsichtiger mit dem alten Kampfbegriff. Und die Verwendung ist nun durchaus nicht unumstritten – und wird sicher bis zum Parteitag im September diskutiert werden. Immerhin klingt es nicht so sehr nach grün, wie doch so manches andere in den neuen neunseitigen CDU-Fundamenten. „Sozial, liberal und konservativ – und im besten Sinne bürgerlich“, so wird nun die Christdemokratie definiert. „Bürgerliche Politik verbindet Individualismus und Gemeinwohlverpflichtung, Weltoffenheit und Heimatverbundenheit“, so steht es geschrieben. Das „B“ ist das neue „C“, nur BDU statt CDU, so weit sind sie im Konrad-Adenauer-Haus noch nicht.

Früher galt mal das „Christliche“ als Dach der drei Grundwerte, nun also der Begriff „bürgerlich“. Doch keinesfalls wolle man das „C“ streichen, beteuerte Rödder noch mal, das werde ihm immer falsch unterstellt. Es ist halt nur alles noch mal anders sortiert. „Grundlage christdemokratischer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen“, so wird formuliert. Um doch schnell nachzuschieben: „Zugleich ist die CDU der Traditionen der Aufklärung verpflichtet.“ Tatsächlich hält man offenbar Christentum und Aufklärung in der CDU immer noch für Gegenpole. Was soll man sagen: Es ist eine etwas veraltete Lesart. Und so erscheint das „C“ dann  doch etwas wie der Ballast, das alte Tafelsilber, das man der Oma zuliebe noch mitschleppt, obwohl es keiner mehr nutzt. Rödder hält dagegen: Das „C“ sei der Garant dafür, dass die Person im Mittelpunkt stehe und nicht die Gruppe, das sei die Maßgabe des christlichen Menschenbildes.

Partei will wieder Debatte lernen

Der frühere Mittelstandvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann leitet den Grundsatzprogramm-Prozess. Ziel sei eine „Aufbruchserzählung“ und „Unterscheidbarkeit“, sagte er gestern. Und um die langen dunkeln Oppositionsnächte bis zur nächsten Bundestagswahl 2025 zu verkürzen, war jetzt nur der Auftakt. Man müsse wieder Debatte lernen, wird bei der CDU betont. Erste Gelegenheit dazu ist der Bundesparteitag im September und dann ein Grundsatzkonvent im kommenden Jahr. Zuvor soll es noch eine zentrale Mitgliederbefragung zu den Inhalten geben. Beim Parteitag 2024 wird das neue Grundsatzprogramm verabschiedet – einen Kanzlerkandidaten braucht es dann auch noch.

Doch wie sieht es mit der Unterscheidbarkeit aus, wie mit der neuen eignen Erzählung? Letztlich deuten die neuen „Grundwerte“ doch immer noch mehr einen Suchprozess als ein neues Selbstbewusstsein an. Es ist nicht Friedrich Merz, der sie geschrieben oder diktiert hat, und die neue CDU-Generation, die er in die Positionen gebracht hat, ist offenbar noch mehr in der Brainstorm-Phase. Der neue Generalsekretär der Partei, der Berliner Mario Czaja, brachte die neuen Grundsätze auf vier knappe Stichpunkte: 1. Bekenntnis zur gesellschaftlichen Vielfalt. 2. Keine Angst vor dem Zeitgeist. 3. Zukunftsoptimismus und Fortschrittsglaube. 4. Volkspartei. Bei Lichte betrachtet sind das wohl eher noch die vier Baustellen der CDU als die vier Säulen. Und dabei unterläuft den Schwarzen doch immer wieder der verführerische Blick zu den grünen Baumeistern auf der anderen Straßenseite. Sie kriegen das eben mit Vielfalt, Zeitgeist, Optimismus und Wachstum derzeit noch besser hin. Chefarzt Friedrich Merz erklärt dann, „Beständigkeit und Wandel seien nicht unüberbrückbare Gegensätze, sondern die zwei Seiten einer Medaille“. Die CDU sei die einzige Partei, die das begriffen habe. Nun ja, so ist wohl eher das Zielfenster.

Wo sind die alten Kernthemen?

Am Ende der Grundwertecharta stehen 13 Bullet Points (früher: Spiegelstriche), die mit der Überschrift „Wo wir hinwollen“ betitelt sind. Drei von ihnen beziehen sich auf Ökologie und Klimaschutz oder referieren auf ihn. Drei decken den sozialen Bereich ab und rekurrieren auf Solidarität und Gleichheit und Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Drei haben einen direkten Bezug zur Freiheit und zur offenen Gesellschaft. Europa kommt noch vor und der ländliche Raum. Kein Wort zur inneren Sicherheit, kein Wort zur Landesverteidigung. Kein direktes Wort zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, zum Ende der Globalisierung wie wir sie kannten. Kein Wort zu Familien als Ort wo Kinder aufwachsen. Vielleicht beginnt ja tatsächlich nun der Streit in der CDU erst. Es wäre gut.

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