Neue Protestaktionen der „Letzten Generation“ - Kleben und beten  

Die „Letzte Generation“ will Berlin ab Montag auf unbefristete Zeit „zum Stillstand bringen“ und ruft eine Art Revolution aus. Ein „Gesellschaftsrat“ solle künftig über Klimaschutz beraten, weil es „die Politik“ nicht könne. Dafür kleben sie sich fest – und dafür wird in der Gethsemanekirche gebetet. 

Orgeln fürs Klima: Die Pressekonferenz zu den Aktionstagen der „Letzten Generation“ fand in der Berliner St. Thomas-Kirche am Mariannenplatz statt /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Die Aktionstage beginnen mit einer Überraschung. Heute früh hat sich ausgerechnet die Berliner Grünen-Chefin und Wahlverliererin Bettina Jarasch von der „Letzten Generation“ distanziert. Zum Auftakt des großen Widerstandes „Berlin lahm legen“ rückt der, wenn man so will, politische Arm der Aktivisten von den selbsternannten Klimaschützern ab. Der Klimaschutz brauche „konkrete Maßnahmen“ und Mehrheiten, so die grüne Noch-Senatorin. „Mein Eindruck ist, dass dies der ‚Letzten Generation‘ mit ihren Aktionen nicht gelingt.“ Am Ende würde mehr über Sicherheit und Ordnung, über Polizeieinsätze oder über Staus diskutiert, als „darüber, wie wir konkret beim Klimaschutz vorankommen“, erklärte sie dem Tagesspiegel

Das sagt Bettina Jarasch, bevor der Sturm überhaupt begonnen hat. Die „Letzte Generation“ wirbt seit Wochen vor allem unter Jugendlichen um Unterstützung für ihren „friedlichen zivilen Widerstand“. Heute beginnt der Protest, er soll am Sonntag in eine Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor münden. Schulungen und Trainings für Protestler sind dem vorausgegangen. Und von nun an soll „Berlin stillstehen“. Die Blockade der Hauptstadt solle auf unbestimmte Zeit erfolgen, bis die Politik auf ihre Forderung eingehe, so erklärten die Aktivisten gestern. Genaue Aktionsformen oder Pläne über die Art und Weise ihres Protestes sind noch nicht bekannt. Bisher war die „Letzte Generation“ sichtbar geworden, indem sich Aktivisten an Straßenkreuzungen auf den Asphalt festklebten und so den Verkehr behinderten. 

Radikalisierung der Klimabewegung

Die Radikalisierung der selbsternannten Klimabewegung nimmt weiter Fahrt auf. Zuletzt waren die Risse bei der Räumung des Tagebaus in Lützerath vor drei Monaten sichtbar geworden, als Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer ihre eigenen grünen Parteifreundinnen in der Düsseldorfer Landesregierung für den Kohlekompromiss kritisierte. Inzwischen gilt unter Aktivisten Fridays for Future als zahnloser Tiger. Die „Letzte Generation“ und auch Extinction Rebellion, die als sektiererische Außenseiter begonnen hatten, erfreuen sich nun Zulauf. Vor allem, weil in der Klimaschutzblase die Ampel-Regierung inzwischen als eigentlicher Feind ausgemacht wurde. Die Kompromisse des Koalitionsausschusses waren der Brandbeschleuniger für die nun auf der Straße sichtbare Eskalation. 

Dabei ist es verblüffend, wie schnell bei der „Letzten Generation“ der Schwenk erfolgt von demokratisch legitimem Protest über fragwürdigen „zivilen Ungehorsam“ und nun in eine offen anti-demokratische Rhetorik. Angesichts der Klimakrise sei nicht nur unser Wirtschaftssystem zu überwinden, heißt es, sondern auch die demokratischen Institutionen genügen den Aktivisten offenbar nicht, um ihre Ziele durchzusetzen. Mit der vermeintlichen Apokalypse rechtfertigen sie nun die Revolution. „Deshalb ist es an der Zeit, dass unsere Demokratie demokratischer wird“, heißt es in der „Erklärung“ zu den nun anbrechenden Aktionstagen. 

„Es ist an der Zeit, dass die Macht wegkommt vom 1 Prozent und hin zu den 99 Prozent.“ Da ist es verständlich, dass es auch Jarasch und anderen Grünen mulmig wird. Tatsächlich will auch die Grünen-Parteizentrale von Ricarda Lang und Omid Nouripour mit diesen Aktivisten nichts zu tun haben. Aber sie wissen im Hauptquartier am Neuen Tor in Berlin-Mitte auch genau, dass die Spaltung der Klimabewegung strategisch fatal ist für die Grünen. Auch eine grüne Revolution verfrühstückt hier offenbar ihren Nachwuchs – und umgekehrt.

Gesellschaftsrat als Politikersatz

Die „Letzte Generation“ verstand sich schon immer mehr auf Krawall als auf Politik. Bei ihrer letzten Aktionswelle skandierten sie überall die Forderung nach einem bundesweiten 9-Euro-Ticket. Außerdem müsse es sofort ein Tempolimit geben, dann würden die Klebereien und Schmierereien eingestellt. Angesichts des großen medialen „Wumms“, den auch Aktionen mit Kartoffelbrei auf Gemälde und Öl an Hauswänden auslöste, muteten die Forderungen doch etwas klein an. Sollte die Weltenrettung wirklich auf deutschen Autobahnen entschieden werden? 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Nun legt die „Letzte Generation“ nach und zeigt ihre ganze Hybris. Ihre aktuelle Forderung hat konkret gar nichts mehr mit Klimaschutz zu tun, sondern zielt direkt auf die Disruption der parlamentarischen Demokratie. Die Protestaktionen würden erst gestoppt, wenn die Bundesregierung einen „Gesellschaftsrat“ einrichte, heißt es auf der Website der Organisation. Dieses durch Losverfahren ermittelte Gremium solle Maßnahmen erarbeiten, „wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beendet“. Als ob die Parlamente und Regierung dies nicht schon seit Jahren getan haben und tun.

Die Regierung solle dann, so die Forderung der „Letzten Generation“, „öffentlich zusagen“, die mit den erarbeiteten Maßnahmen verbundenen Gesetzesvorhaben „in das Parlament einzubringen“. Immerhin, so mag man da noch anfügen, die große Revolution solle es doch nicht werden.

Gottesdienst für die „Letzte Generation“

Die „Letzte Generation“ verweist mit ihrer Forderung auf den Koalitionsvertrag, in dem die Einrichtung von „Bürgerräten“ angekündigt wird. Abgesehen davon, dass demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich solche „Räte“ doch zumindest fragwürdig sind, überrascht der Optimismus der Aktivisten, dass dann tatsächlich solche Institutionen die nun von ihnen ersehnten Maßnahmen auch umsetzen. Als ob nicht auch „Gesellschaftsräte“ Kompromisse fänden, gegen die es sich wieder lohnen könnte, sich festzukleben. 

Der Lärm der „Letzten Generation“ wird also offenbar auch die nächsten Tage größer sein als die inhaltliche oder politische Substanz. Verblüffend ist aber, wie gut organisiert und professionell die Bewegung mit dem roten Herzen auf schwarzem Grund vorgeht. Es gibt einen Videoclip zum Protesttraining und einen genauen Terminplan mit allen Programmpunkten. Rechtsberatung bei staatlicher Repression gehört dazu genauso wie ein „gemeinsames Brunch“ zum Start der „Zentralen Protestphase“. Bei dem ganzen Stress braucht es offenbar auch seelische Stärkung.

Um 18 Uhr gibt es jeden Tag in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg ein „Gebet für die Aktiven der Letzten Generation“, zumindest laut Aktivisten-Website. Und der Sonntagsgottesdienst um 11 Uhr vor der Demo vorm Brandenburger Tor versteht sich offenbar auch als Vorbereitungsevent. „Der Gottesdienst geht um die Bewahrung der Schöpfung und thematisiert den Protest der Letzten Generation“, heißt es in der Ankündigung der „Letzten Generation“. Und: „Der Gottesdienst wird von einem Kinderchor begleitet, die thematisch passende Lieder singen“ (sic). Die Grünen machen nicht mehr mit, aber offenbar findet die „Letzte Generation“ bei einigen Protestanten Unterstützung.

Anzeige