Migration in Arbeitsmarkt - Eckpunkte für Fachkräfte-Einwanderung beschlossen

Am Mittwoch hat das Kabinett Eckpunkte zur Zuwanderung von Fachkräften verabschiedet. Zustimmung kommt unter anderem aus der Wirtschaft, Kritik weiterhin von der Union.

Auch in der Pflege werden dringend Fachkräfte gesucht / dpa
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Die Bundesregierung will die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland deutlich erleichtern, um gegen den teils sehr tiefgreifenden Fachkräftemangel vorzugehen. Dafür hat das Kabinett am Mittwoch ein Eckpunktepapier verabschiedet. Es sieht unter anderem vor, dass anerkannte ausländische Fachkräfte künftig auch in Berufen arbeiten können sollen, die mit ihrer Ausbildung nichts oder wenig zu tun haben. Ein Mechaniker könnte etwa als Lagerist oder eine Polizistin als Kellnerin angeworben werden. Berufserfahrung soll bei der Erteilung eines Arbeitsvisums stärker berücksichtigt werden. Die Anerkennung des im Herkunftsland erworbenen Abschlusses muss nicht zwingend vor der Einreise erfolgen.

Ein ganz neues Feld betritt die Ampel-Koalition mit der Idee, Nicht-EU-Ausländern über ein Punktesystem die Möglichkeit zu geben, zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland umzusiedeln. In den zwischen den Ministerien abgestimmten Eckpunkten heißt es: „Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören.“ Vor allem zu diesem Punkt sind, bis ein Gesetzentwurf vorliegt, noch Diskussionen zwischen SPD, FDP und Grünen zu erwarten. Etwa: Wie viele Punkte gibt es für welches Sprachniveau? Und wie lässt sich der „Deutschlandbezug“ nachweisen?

Hintergrund ist hier die Überlegung, dass Integration häufig besser verläuft, wenn man schon mehrere Reisen in das Land unternommen hat, bei einem deutschen Arbeitgeber im Ausland angestellt ist oder Verwandte bereits in Deutschland leben. Ob diese Verwandten selbst auch arbeiten müssen, gehört zu den Fragen, die noch nicht geklärt sind.

„Das Gesetz wird im nächsten Jahr beschlossen“

Die erleichterte Arbeitskräfte-Einwanderung ist Teil eines Pakets von Gesetzesvorhaben zur Asyl- und Migrationspolitik, die bis zum Jahresende verabschiedet oder zumindest auf den Weg gebracht werden sollen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will bald einen Gesetzentwurf ins Kabinett bringen, der die Einbürgerung erleichtert. An diesem Freitag soll der Bundestag über das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht abstimmen.

Es soll gut integrierten Ausländern, die schon mehrere Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben, eine Perspektive bieten. Wer zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre im Land lebt und nicht straffällig geworden ist, soll 18 Monate Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen. Dazu gehören etwa Deutschkenntnisse und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts.

Nach den Eckpunkten soll das Ampel-Kabinett im ersten Quartal 2023 auch die entsprechenden Gesetzentwürfe absegnen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dem SWR-Hauptstadtstudio: „Das Gesetz wird im nächsten Jahr beschlossen werden (...) und ich will, dass wir spätestens 2025 – und das ist nicht mehr lange hin – die Erfolge dieses Gesetzes auch am Arbeitsmarkt sehen.“

„Wir müssen wir noch pragmatischer werden“

Zustimmung kommt unter anderem aus der Wirtschaft. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte aber Nachbesserungen etwa bei der Gehaltsgrenze und der Anwerbung von Auszubildenden aus dem Ausland. „Hierzu enthält das Eckpunktepapier noch recht wenig. Bei der wachsenden Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze in Deutschland müssen wir noch pragmatischer werden, um verstärkt Auszubildende aus Drittstaaten zu gewinnen“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks der Rheinischen Post.

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer forderte derweil eine Neuausrichtung der Ausländerbehörden und der deutschen Botschaften im Ausland. „Die Ausländerbehörden müssen ,Welcome-Center‘ werden, Visa müssen schneller erteilt werden. Sonst kommen die Leute nicht, zumal Deutschland ja ohnehin nicht den allerbesten Ruf als Einwanderungsland hat“, so Wollseifer.
 

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Deutschland sei in den kommenden Jahren auf Zuwanderung angewiesen, sagte auch die geschäftsführende Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Catherina Hinz, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die Babyboomer gehen in Rente, und die Zahl der Menschen im Erwerbsalter schrumpft – laut einer Prognose des Berlin-Instituts von heute etwa 50 Millionen um rund zwölf Prozent auf 44 Millionen im Jahr 2035.“ Um den prognostizierten Arbeitskräftebedarf geradeso zu decken, brauche es eine jährliche Zuwanderung von mindestens 260.000 Menschen. „Da die Hauptherkunftsländer in der EU ähnliche demografische Entwicklungen erleben wie Deutschland, wird die EU-Zuwanderung aller Voraussicht nach zurückgehen“, sagte Hinz. „Zuwanderung aus Drittstaaten wird an Bedeutung gewinnen.“

Moderner, schneller, unbürokratischer und flexibler

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) begrüßt die Pläne der Bundesregierung zur vereinfachten Einwanderung von Fachkräften. Deutschland gingen bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren, der Verlust müsse durch Maßnahmen im In- und Ausand ausgeglichen werden. „Auch wenn beim inländischen Potenzial alle Hebel greifen, wird das nicht reichen“, sagte BA-Vorstandsmitglied Vanessa Ahuja der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Ergänzend zu den inländischen Anstrengungen brauche es ausländische Arbeits- und Fachkräfte, damit der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin gut funktioniere. „Alles was hilft, den Zuzug von Arbeits- und Fachkräften zu erleichtern, ist wichtig“, betonte Ahuja. Das Einwanderungsrecht müsse moderner, schneller, unbürokratischer und flexibler werden. Unterstützung bekommt die Bundesregierung derweil auch von Jörg Hofmann, dem Vorsitzenden der IG-Metall. Er sagte der dpa: „Als Gesellschaft profitieren wir davon, wenn qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen.“ 

„Wir wollen keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“

Kritik kommt weiterhin unter anderem von der Union. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, erteilte dem angepeilten Punktesystem eine Absage. Man brauche mehr Fachkräfte, räumte derweil CDU-Chef Friedrich Merz am Mittwoch zwar im „Morgenmagazin“ des ZDF ein. Deutschland schöpfe aber die vorhandenen Potenziale nicht aus, kritisierte er. Merz verwies darauf, dass in der EU Arbeitnehmer-Freizügigkeit gelte, die Bedingungen hierzulande aber wegen der Bürokratie und hohen Steuern nicht gut seien. Zudem warteten im Ausland Tausende Menschen auf Visa für Deutschland. 

„Das Potenzial ausschöpfen wäre der erste Schritt“, sagte Merz. Im Zug dessen müsse man auch über die Anerkennung von Berufsabschlüssen sprechen. Nur hätten viele Zugewanderte keinen und seien für den Arbeitsmarkt „einfach nicht verwendbar“. Merz weiter: „Wir bekommen nach Deutschland viele Menschen, die hier im Arbeitsmarkt nicht unterzubringen sind. Und die, die wir brauchen, wollen nicht kommen.“ Merz machte in Richtung Koalition deutlich, dass die Union offen für Diskussionen und gute Argumente sei. CDU und CSU wollten helfen, dass sich die Fachkräfte-Situation verbessere. Ein erster Schritt wäre aber, jene, die schon in Deutschland sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sieht die deutsche Sprache als Voraussetzung für die Erwerbsmigration. „Man muss aber schon sehen, es müssen auch wirklich die Fachkräfte sein, die müssen unsere Sprache sprechen können“, sagte der CSU-Politiker am Mittwoch in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. „Die müssen dann tatsächlich auch arbeiten, denn wir haben auf der anderen Seite aktuell auch rund eine Million arbeitslose Ausländer in unserem Land“, fügte Herrmann hinzu. Und weiter: „Wir wollen keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, sondern tatsächlich Arbeitskräfte, die mithelfen.“ 

„Wir konkurrieren weltweit um die klügsten Köpfe“

Im Streit über eine Reform des Einbürgerungsrechts argumentierte Grünen-Chef Omid Nouripour unterdessen ebenfalls mit der Attraktivität Deutschlands für ausländische Fachkräfte. „Viele Unternehmen finden schon jetzt kaum noch Fach- und Arbeitskräfte und die Lücke wird in den nächsten Jahren noch größer werden“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Wir konkurrieren weltweit um die klügsten Köpfe und müssen ihnen eine Perspektive in Deutschland anbieten. Die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts ist daher überfällig.“

Quelle: dpa

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