Medien und Macht - „Gewachsene Nähe zwischen Medienelite und politischer Elite“

Der Elitesoziologie Michael Hartmann erklärt, wieso der Medien-Mainstream als Kontrollinstanz politischer Entscheider ausfällt und wie die Diskrepanz zwischen der Lebenswelt von Journalisten und weiten Teilen der Bevölkerung die Demokratie gefährdet.

Stimmung im Land falsch eingeschätzt: Bayerns Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat die Kampagne der SZ überstanden / dpa
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Michael Hartmann war bis 2014 Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Elitesoziologie, Industrie- und Betriebssoziologie sowie Organisationssoziologie an der Technischen Universität Darmstadt.

Herr Hartmann, die etablierten Medien stehen zunehmend in der Kritik. Von „Lügenpresse“ ist die Rede oder von „Verrätern“. Können Sie diese Vorwürfe nachvollziehen?

Nein, in dieser Form nicht, weil sie den Kern des Problems verfehlen. Der Begriff „Lügenpresse“ bedeutet, dass die Journalisten bewusst die Unwahrheit sagen oder schreiben. Das gibt es zwar hin und wieder auch, das wirkliche Problem ist aber ein anderes. Die Journalisten der Leitmedien nehmen die Wirklichkeit durch die Brille ihrer privilegierten Lebenssituation wahr, und das verzerrt und verengt ihren Blick. 

Das heißt, sie wissen wenig darüber, was die Menschen wirklich bewegt?

Die große Mehrzahl der Journalisten in den Leitmedien lebt aufgrund ihrer Ausbildung und vor allem ihrer Einkommen in einer Welt, die mit der der Bevölkerungsmehrheit nicht viel zu tun hat. Schon der durchschnittliche Redakteur bei ARD und ZDF liegt mit seinem Gehalt genau an der unteren Grenze des oberen Zehntels, eine Hälfte im oberen Zehntel, die andere fast durchweg in dem darunter. 

Ähnlich sieht es bei den großen Printmedien aus. Sie können sich daher ein Leben leisten, das für die Mehrheit nicht bezahlbar ist. Das betrifft das Wohnen genauso wie das Essen oder den Urlaub. Man kennt auch in seinem Umfeld kaum jemanden, der über deutlich weniger Geld verfügt, geschweige denn jemanden, der wirklich arm ist. Dafür sorgen schon die Wohnkosten in den Vierteln, in denen man lebt. Man sieht die Gesellschaft in der Regel durch diese gefärbte Brille, zumal man sich im Kollegen-, Freundes- und Bekanntenkreis der Richtigkeit der eigenen Position immer wieder versichern kann.

Leben diese Journalisten also in einer akademischen Blase?

Michael Hartmann / privat

Ja, in den sogenannten Leitmedien trifft das auf die meisten zu, viele leben in ihrer akademisch-bürgerlichen Blase. Ein typisches Beispiel ist der Versuch der Süddeutschen Zeitung, mit den Berichten über Hubert Aiwanger die Landtagswahl zu beeinflussen. So berechtigt die Kritik an Aiwanger im Kern war, so falsch haben die Redakteure die Wirkung ihrer Artikel eingeschätzt. Die Aktion ist nach hinten losgegangen, weil sie die Stimmung in München mit der in Bayern verwechselt haben. In München haben die Grünen alle vier Innenstadtbezirke gewonnen und in München-Mitte mit über 44 Prozent sogar fast doppelt so viele Stimmen geholt wie CSU und Freie Wähler zusammen. Da die Süddeutsche Zeitung ihren Sitz in einem dieser Bezirke hat und die verantwortlichen Redakteure ganz überwiegend in diesen Stadtteilen arbeiten und leben, ist ihnen nicht aufgefallen, wie anders die Stimmung im übrigen Land war. Ähnliches gilt auch für all die Journalisten, die für die wichtigen Medien in Berlin, Frankfurt oder Hamburg arbeiten und die politische Berichterstattung bestimmen. 

Weisen diese Journalisten eine besondere Nähe zu Eliten wie Politikern oder Unternehmern auf?

Seit dem Umzug der Regierung nach Berlin ist die Nähe vor allem zwischen der Medienelite und der politischen Elite stetig gewachsen. Wie sich das Verhältnis verändert hat, kann man zum Beispiel beim Wechsel von Regierungssprechern an die Spitze einer der öffentlich-rechtlichen Sender sehen. Sie finden viel häufiger als früher und auch schneller statt. Gab es in den ersten sechs Jahrzehnten der Bundesrepublik mit Günther von Haase beim ZDF nur einen einzigen Fall, in dem ein vorheriger Regierungssprecher danach Intendant wurde, und auch das erst zehn Jahre nach dem Ende seiner Regierungstätigkeit, so war das in den letzten gut zehn Jahren gleich zweimal der Fall. Der Regierungssprecher von Angela Merkel, Ulrich Wilhelm, wechselte Anfang 2011 direkt aus seinem Amt an die Spitze des Bayerischen Rundfunks, und bei der neu gewählten Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Ulrike Demmer, war die Pause mit zwei Jahren auch nicht sonderlich lang. 

Dazu kommen auch häufiger als früher enge persönliche Beziehungen wie gleich zweimal bei den Ehepartnerinnen von Christian Lindner oder bei Maybrit Illner, die mit dem früheren Telekom-Chef René Obermann verheiratet ist. Diese größere Nähe zu den Eliten in Politik und Wirtschaft verzerrt die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit dann noch weiter. Das ist in Frankreich, Großbritannien oder den USA aber auch nicht anders. 

Was bedeutet diese große Nähe zwischen Politik und Wirtschaft in Hinblick auf die Themenauswahl? 

Sie verengt das Blickfeld. Es werden jene Themen bevorzugt behandelt, die von den Eliten als vorrangig angesehen werden, unabhängig davon, ob die Meinung der Bevölkerung genauso ausfällt. Die großen Talkshows im Fernsehen zeigen das sehr deutlich.

 

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Können Sie uns ein Beispiel für diese Diskrepanz nennen?

Im letzten Jahr war der Ukraine-Krieg in den Talkshows von ARD und ZDF das Thema in 46 Sendungen, die für die breite Bevölkerung so bedrohliche Inflation dagegen gerade einmal in fünf.

Befördert dieses Phänomen die soziale Ungleichheit?

Es trägt entscheidend dazu bei, dass viele Probleme der Durchschnittsbürger und noch stärker der ärmeren Teile der Bevölkerung viel zu selten thematisiert werden, solche der besseren Kreise dagegen zu häufig. Ein Beispiel: Als die Einkommensgrenze beim Elterngeld von 300.000 € zu versteuerndem Einkommen auf 150.000 € reduziert werden sollte, gab es einen regelrechten Aufschrei in den Leitmedien, obwohl es nur die obersten ein, maximal zwei Prozent der Bevölkerung betroffen hätte. Die allmähliche Reduzierung der Kindergrundsicherung gegen Null findet damit verglichen nur relativ geringe mediale Aufmerksamkeit, obwohl diesem Gesetzesvorhaben für die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung große Bedeutung zukommt. Eine solche Berichterstattung hat auch politische Konsequenzen, wie man bei der geänderten Entscheidung zum Elterngeld jetzt sehen konnte.

Erwirken Leitmedien durch ihre Berichterstattung bewusst politische Entscheidungen zugunsten der Oberschicht?

Bewusst muss das nicht sein. Zumeist liegt es einfach an einer gleichen Sicht auf die Probleme. Die tonangebenden Journalisten gehören mit ihren Einkommen zu den oberen zehn Prozent der Bevölkerung, die prominenten Talkshowmoderatoren und Topjournalisten sowie die Mitglieder der Führungsetagen sogar zum obersten Prozent. Das prägt ihre Einstellungen und die Berichterstattung.

Ist das auch ein Grund, wieso sich immer mehr Bürger nicht von den Medien repräsentiert fühlen? 

Es liegt an dieser verzerrten Wahrnehmung und Themensetzung. Viele Bürger fühlen sich durch die Berichterstattung nicht mehr vertreten. In den letzten Jahren hat dieser schon länger existierende Eindruck durch drei Ausnahmeprobleme noch mal spürbar zugenommen, die Corona-Pandemie sowie die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Die Medien präsentieren bei allen drei Problemen fast ausnahmslos die offizielle Sichtweise der Regierung, während eine beachtliche Minderheit der Bevölkerung das ganz anders sieht. Diese Menschen fühlen sich mit ihrer Meinung in den Medien nicht mehr berücksichtigt.

Allerdings wächst vor dem Hintergrund des Aufstiegs populistischer Politiker die Bedeutung der Medien für die Demokratie …

Wenn sie ihrem Anspruch als vierte Gewalt gerecht werden wollte, sollte das so sein. Die reale Entwicklung geht aber eher in den entgegengesetzte Richtung. Die großen Medien fallen als Korrekturfaktor immer mehr aus.

Nun gibt es nicht wenige, die wegen dieser Diskrepanz eine Abschaffung der Rundfunkgebühren fordern. Halten Sie das für eine gute Lösung?

Nein, weil es dann über kurz oder lang nur noch private Medien gäbe. Man muss nur nach Frankreich schauen, um zu sehen, wohin das führt. Dort besitzt eine Handvoll Milliardäre nicht nur die allermeisten Printmedien, sondern kontrolliert auch die Mehrzahl der Fernsehsender. Sie machen damit ganz direkt Politik, so wie etwa Vincent Bolloré, dessen Medien den rechtsextremen Politiker Éric Zemmour überhaupt erst zum Präsidentschaftskandidaten befördert haben. Rupert Murdoch oder Silvio Berlusconi sind weitere Beispiele. Für Deutschland hieße das, dass die Eigentümer der großen Medienkonzerne wie Mohn, Springer oder Burda ihren politischen Einfluss erheblich ausweiten könnten. In diese Richtung darf es nicht gehen. Was nötig wäre, wäre eine deutliche Reduzierung der Macht der Parteien in den Aufsichtsgremien.

Wie ließe sich das in der Praxis umsetzen?

Eine Möglichkeit bestünde zum Beispiel darin, die Hälfte der Rundfunkräte durch Wahlen nach dem Muster der Rentenversicherung zu bestimmen, sie also direkt durch die Gebührenzahler wählen zu lassen.

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

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