Mathias Döpfner und die Springer-Leaks - Anschein einer Staatsaffäre

Nachdem interne Chatprotokolle des Springer-Chefs publik geworden sind, ergehen sich Medien und Politiker in gespielter Empörung. Jetzt hat Mathias Döpfner sich entschuldigt – zu Kreuze gekrochen ist er allerdings nicht. Dafür gibt es auch keinen Anlass. Das eigentliche Problem liegt nämlich ganz woanders.

Mathias Döpfner erklärt sich / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Er hat es also getan. Nachdem sogar die Chefredakteurin des Springer-Blatts Bild ihrem „Chef“ am Samstag eine Entschuldigung nahegelegt hatte, erfolgte an diesem Sonntag die erwartete Reaktion des Verlagskonzernchefs Mathias Döpfner. Sie fiel zwar etwas schmallippig aus, zumal die Form der Schadensbegrenzung mit allen entscheidenden Stellen innerhalb des Unternehmens minutiös abgesprochen gewesen sein dürfte. Aber in einem Punkt formulierte Döpfner sehr klar und unmissverständlich: „Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich mit meinen Worten viele gekränkt, verunsichert oder verletzt habe. Ein Beispiel: ,Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten.‘ Das ist verletzend. Und wörtlich genommen natürlich Quatsch.“ 

So ist es an diesem Sonntag nachzulesen auf der Internetseite von Bild. Ausgestanden ist die Sache damit natürlich noch nicht, denn es gibt genügend Leute, die auf den an die Zeit geleakten internen Chatprotokollen des Springerchefs ihr eigenes Süppchen kochen wollen. Das gilt unternehmensintern genauso wie für die verlegerische Konkurrenz oder für Politiker, denen der regierungskritische Kurs von Springer-Titeln wie Welt oder eben Bild schon lange ein Dorn im Auge ist, weil man doch gern unbehelligt durchregieren würde und sich dabei von Journalisten, die ihren Job noch ernst nehmen, nur ungern stören lässt.

Eine regelrechte Staatsaffäre

Dass private, also nichtöffentliche Nachrichten – auch, wenn sie von einem prominenten und einflussreichen Manager wie Döpfner stammen – überhaupt Anlass sind für eine regelrechte Staatsaffäre, zu der das Springer-Gate hochgejubelt wird, ist schon bedenklich genug. Jeder, aber wirklich jeder, der sich jetzt über die Textpassagen ereifert, sollte sich in einer stillen Minute mal fragen, was er (oder sie) in den vergangenen Monaten im Bekannten- oder Kollegenkreis bei Gelegenheit von sich gegeben hat und ob manche Äußerung womöglich anders ausgefallen wäre, hätte man vorher gewusst, dass sie später (und ohne in den entsprechenden Kontext eingeordnet zu sein) in der Presse seziert wird.

Diesen Punkt spricht Döpfner denn auch zurecht direkt an, wenn er in seinem Entschuldigungsschreiben so formuliert: „Wenn ich wütend oder sehr froh bin, wird mein Handy zum Blitzableiter. Ich schicke dann manchmal Menschen, denen ich sehr vertraue, Worte, die ,ins Unreine‘ gesagt oder getippt sind. Weil ich davon ausgehe, dass der Empfänger weiß, wie es gemeint ist. Und weil ich mir nicht vorstellen kann oder will, dass jemand diese Worte an Dritte weitergibt.“

Offenbar handelte es sich bei diesen ursprünglichen „Empfängern“ um Teilnehmer an einer Springer-internen WhatsApp-Gruppe, zu der Döpfner-Vertraute aus der Verlagsspitze und aus den Chefredaktionen gehörten. Die natürlich gewusst haben dürften, wie die „unreinen“ Aperçus gemeint waren – und sie trotzdem (beziehungsweise gerade deswegen) an die Zeit weitergereicht haben, damit dort in Unkenntnis der Zusammenhänge ein süffiger Skandal-Cocktail daraus zusammengerührt werden kann.

Warum das überhaupt passiert ist, und wer aus Mathias Döpfners Umfeld ein Interesse daran haben könnte, den Konzernchef und Verlagsmitinhaber in Misskredit zu bringen, das ist eine Frage, die auch die Zeit-Kollegen nicht beantworten können – weshalb sie um ihre Enthüllungen herum lediglich eine Archiv-Geschichte zu stricken in der Lage waren. Was in diesem Fall ja auch völlig ausgereicht hat, denn der Effekt entsprach den Erwartungen.

Handy als Blitzableiter

Interessant ist es natürlich allemal, wie einer der wichtigsten deutschen Verlagsgranden im Zustand einer gewissen emotionalen Erregtheit auf die Weltläufte blickt und sein Mobiltelefon dann als Blitzableiter benutzt. Eine der meistkritisierten Passagen war die erwähnte (und von Döpfner aus naheliegenden Grünen relativierte) Invektive gegen die angeblich für die Segnungen eines freiheitlich demokratischen Rechtsstaats nicht erwärmbaren Ossis. Dass der Springer-Vorstandsvorsitzende ernsthaft der Überzeugung ist, die Bewohner der einstigen DDR wären allesamt Nazis oder Linksfaschisten, das glauben wahrscheinlich nicht einmal die Enthüller vom Hamburger Wochenblatt.

Insofern könnte sich ein unvoreingenommener Betrachter durchaus die Frage stellen, ob Döpfners Extemporieren nicht zumindest ein Fünkchen Wahrheit enthält – wo doch schon ganze Regalmeter an Sachbüchern darüber geschrieben wurden, warum der Osten der Republik anders tickt als der Westen. Und die Tatsache, dass in einem Bundesland wie Thüringen die Linkspartei und die AfD gemeinsam eine absolute Mehrheit im Parlament hätten, lässt sich mit dem wohlfeilen Empörungsreflex gegenüber Döpfner ja auch nicht einfach aus der Welt schaffen.

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Origineller Weise ist es ausgerechnet der aus Thüringen stammende SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider, der sich angesichts der Springer-Leaks die Gelegenheit nicht nehmen ließ, Döpfners Rauswurf zu fordern, weil der „nach dieser Veröffentlichung an der Spitze eines Verlages mit dieser publizistischen Macht und mit Blick auf die wichtige Rolle der Medien für unsere Demokratie endgültig nicht mehr tragbar“ sei.

Vielleicht könnte ja mal die eine oder andere vertrauenswürdige Person dem MdB Schneider erklären, dass es ihn einen feuchten Kehricht angeht, worüber sich Unternehmer im privaten Austausch mit Mitarbeitern unterhalten, solange sie nicht den deutschen Rechtsstaat in Frage stellen und reichsbürgermäßig auf dessen Abschaffung hinarbeiten.

„Zero tolerance und alles für die reine Lehre“

Genau das tut Döpfner allerdings keineswegs, im Gegenteil: „Mein Kompass geht so: Menschenrechte – keine Kompromisse. Rechtsstaat – zero tolerance und alles für die reine Lehre“, heißt es wörtlich in einem seiner Chats. Übrigens: Mit der Rechtsstaatlichkeit als reiner Lehre tun sich einige Leute in Schneiders SPD durchaus schwerer als der Springer-Chef; Stichworte wären Wahlrechtsreform oder Asylpolitik.

Es war übrigens Carsten Schneiders Vorgänger im Amt des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, der sich noch vor zwei Jahren mit folgendem Satz über die „Ossis“ zu Wort meldete: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“ Das klingt schon beinahe wie eine Paraphrase von Döpfners spontaner Tirade – und zwar aus dem Mund eines von der Regierung bestellten Ost-Profis. Auch hätte man gern gewusst, was der um „publizistische Macht“ vor dem Hintergrund der „Rolle der Medien für unsere Demokratie“ besorgte Carsten Schneider eigentlich davon hält, wenn ein WDR-Redakteur im tagesthemen-Kommentar steigende Energiepreise bejubelt – und nebenbei eine Vorstandstätigkeit bei den örtlichen Grünen ausübt.

Als besonders problematisch wird nicht zuletzt Döpfners Bitte an seine Kollegen rezipiert, ob man publizistisch nicht etwas tun könne, um die FDP zu stärken und so das sich anbahnende „rot grüne Desaster“ abzumildern. Dass die Zeit über viele Jahre hinweg einen früheren Bundeskanzler der SPD zu ihren Herausgebern zählte oder Spiegel-Gründer Rudolf Augstein Anfang der 1970er Jahre sogar drei Monate lang für die Liberalen im Bundestag saß, macht die Sache natürlich nicht besser, weil inzwischen für jeden erkennbar die Brandmauern zwischen Medien und Politik derart hochgezogen und abgedichtet wurden, dass es reiner Zufall sein muss, wenn die Artikel des Zeit-Vizechefredakteurs Bernd Ulrich klingen, als wären sie aus der Pressestelle von Bündnis90/Die Grünen übernommen worden.

Ein heikles Thema fürwahr – und Grund genug für Döpfner, Buße zu tun, entspricht seine politische Haltung doch offenbar nicht dem linken Klimaschutz- und Coronamaßnahmen-Medienmainstream, der hierzulande zum Comment einer Branche gehört, in der zunehmend Journalismus mit Aktivismus verwechselt wird. Hätte der Springer-Boss sich vor der Parteizentrale der FDP aus Protest gegen E-Fuels auf dem Boden festgeklebt, die Herzen der Anstandswauwaus in den Redaktionen wären ihm zugeflogen. Chance verpasst, kann man da nur sagen.

Laschet als das kleinere Übel

Dass Döpfner den CSU-Chef Markus Söder für einen gefährlichen Opportunisten mit „schlechtem Charakter“ hält und sich deshalb eher mit einem „langweiligen“ aber „einigermaßen berechenbaren“ Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet hätte abfinden wollen, spricht auch nicht gerade für brandgefährliche populistische Neigungen des Vorstandsvorsitzenden von Springer. Sondern eher für dessen politische Klarsicht.

Selbiges gilt für Döpfners Skepsis mit Blick auf die Staatskunst der ehemaligen Bundeskanzlerin: Wäre Angela Merkel wirklich die großartige Anführerin gewesen, als die sie bis zum Schluss ihrer Regentschaft von praktisch allen Zeitungen, Magazinen und Sendestationen gefeiert wurde, hätte sie die Bundesrepublik nach 16 Jahren an der Macht ja in einem besseren Zustand an ihren Nachfolger übergeben müssen als zum Zeitpunkt ihres eigenen Amtsantritts. Was aber erkennbar nicht der Fall ist – und wofür eben auch alle jene handzahmen Medien verantwortlich sind, die sich jetzt vor gespielter Empörung über den Springer-Verleger gar nicht mehr einkriegen können. Es ist erbärmlich.

Eines muss man festhalten: Mathias Döpfner ringt sich zwar in seiner Stellungnahme auf bild.de zu einer Entschuldigung durch, zu Kreuze kriecht er jedoch nicht. Sondern schließt vielmehr mit dem Eingeständnis, Lehren aus der ganzen Sache zu ziehen: „Das habe ich getan. Eine davon bleibt die Idee von der Gedankenfreiheit.“ Für viele Deutsche klingt das wahrscheinlich schon wie die nächste Provokation.

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