Reaktionen auf Aschermittwochsrede - Markus Söder und die Pubertätsblocker

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef zieht in den Kulturkampf gegen die Grünen. Beim Politischen Aschermittwoch wetterte er gegen deren angebliche Pläne, Kindern Hormone zu verabreichen. Das rief den Queer-Beauftragten der Bundesregierung auf den Plan.

Genießt den Applaus: Parteichef Markus Söder beim Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Beim Politischen Aschermittwoch der CSU geht es traditionell robust und zünftig zu. Oder wie der Hauptredner und CSU-Vorsitzende Markus Söder das in diesem Jahr nannte: Es werde „rhetorisch deftige Hausmannskost“ serviert. Und genau deshalb kann man diesem Volksfest besser als jedem Parteitag ablesen, was die Gemüter eigentlich bewegt.

In diesem Jahr hat Söder dabei für eine Überraschung gesorgt. Im Vorfeld der bayerischen Landtagswahlen vom 8. Oktober inszenierte er sich nicht, wie es für amtierende Ministerpräsidenten üblich ist, als Landesvater, sondern als Mister Haudrauf. Mit zahlreichen rhetorischen Salven erklärte er den Grünen den Kulturkampf und machte sie als die eigentlichen „politischen Feinde“ aus. Sogar eine Koalition mit ihnen schloss er kategorisch aus.

Schwarz-Grün? Nicht in Bayern

Im Rest der Republik ticken die Konservativen völlig anders. Schwarz-grüne Regierungen gelten dort als probater Versuch, den bäuerlichen ländlichen Raum mit den akademisierten Städten zu versöhnen. In politischen Bündnissen zwischen Konservativen und Grünen könnte das kulturell gespaltene Land wieder zusammengeführt werden, so die Hoffnung.

Söder und seine CSU halten allerdings nichts davon, sich immer weiter dem Zeitgeist anzuschmiegen. Für ihn käme diese Strategie offenbar eher dem Effekt eines Trojanischen Pferdes gleich. Ob Gender-Sprache, Autoverkehr, Klima-Kleber oder Fleischkonsum: Söder ließ kein Themenfeld aus, um die „Liberalitas Bavariae“ zu feiern. Die Grünen könnten ja gerne, wenn sie denn wollten, Käfer und Maden „fressen“, so der Ministerpräsident. Es gelte ja schließlich der Grundsatz „Leben und Leben lassen“. Aber die Konservativen würden das eben „Niemals!“ tun und sich anderes auch nicht vorschreiben lassen.

Hormone für Kinder 

Bei einem Thema war es besonders vorbei mit der bayerischen Gemütlichkeit. Söder erhob den Vorwurf, eine „grüne Ministerin“ wolle Kindern „Hormone verabreichen, um ihr Geschlecht nicht zu entwickeln.“ „Absurd“ sei der Zustand, in dem sich Deutschland mittlerweile befinde. „Das ist doch nimmer normal!“, rief er seinen tosenden Anhängern zu.

Aber nicht diese Attacke Söders ist das eigentlich Interessante, sondern die Reaktion aus dem Munde der Bundesregierung. Deren offizieller Queer-Beauftragte, Sven Lehmann (Grüne), reagierte via Twitter sofort. Der bayerische Ministerpräsident lüge und verhöhne dabei Trans-Menschen: „Was für eine moralische Verkommenheit!“
 

Von einer Verhöhnung von Trans-Menschen war in der Rede Söders indes gar nichts zu hören. Bleibt also die Frage nach der Lüge. Söder spielte mit seiner Attacke auf die Grünen offenbar auf eine Internetseite der Bundesregierung an, auf der einmal bemerkenswerte Sätze zu lesen waren.

Sie richtete sich in „einfacher Sprache“ an Kinder, die Zweifel an ihrer geschlechtlichen Identität haben. Die Empfehlung: „Probiere es aus“. Es sei nämlich „egal“, wie „du in 10 Jahren leben wirst“. Wichtig sei nur, dass es „dir jetzt gut“ geht. Wenn man noch sehr jung und noch nicht in der Pubertät sei, könne man daher einfach „Pubertätsblocker nehmen“, um etwas Zeit zu gewinnen. Ob man ein Mädchen oder ein Junge sein wolle, könne man ja später entscheiden.

Familienministerium hat Text gelöscht

Freilich wurden Lehmann diese Sätze im Netz prompt als Beleg für die Richtigkeit der Kritik Söders vorgehalten. Aber Lehmann konterte. Denn tatsächlich wurden die entsprechenden Passagen bereits vor Jahren unter SPD-Familienministerinnen ins Netz gestellt. Unter einer grünen Familienministerin wurden die entsprechenden Passagen aufgrund öffentlichen Drucks hingegen erst abgeschwächt und dann ganz gelöscht. Heute scheint der Text überhaupt nicht mehr aufrufbar. 

Lehmann wollte mit diesen Hinweisen wohl belegen, dass er und seine Ministerin entsprechende staatliche Empfehlungen selbst für absurd halten und nichts mit ihnen zu tun haben. Andernfalls wären Söders Aussagen ja auch keine „Lügen“ gewesen.

Julia Klöckner machte Druck

Nur eines vergaß Sven Lehmann zu erwähnen. Die Änderungen kamen im Jahr 2022 erst zustande, nachdem die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner es als „irre“ bezeichnet hatte, dass der Staat „sehr jungen, unsicheren Menschen“ die Einnahme von Pubertätsblockern empfehle.

Und wie reagierte darauf damals Sven Lehmann? Natürlich bedankte er sich bei Klöckner nicht für den Netzfund und die Möglichkeit einer Korrektur. Stattdessen bezeichnete er ihren Hinweis als „schäbige Stimmungsmache auf Kosten von trans Kindern“.
 

Es soll also „schäbig“ sein, wenn man es für „irre“ hält, dass man Kindern, die nicht einmal zehn Jahre alt sind, staatlicherseits die Einnahme von Puberpätsblockern empfiehlt.

Im Eifer des Gefechts

Anders formuliert: Lehmann stellte sich damit also auch noch hinter den Inhalt der damaligen Internetseite. Dazu passt, dass er Kinder von unter zehn Jahren, die nicht einmal die Pubertät durchlaufen und keine geschlechtliche Eigenidentität entwickelt haben können, bereits zu „trans Kindern“ erklärt. Da möchte offenbar jemand die Welt nach seiner ganz persönlichen Weltanschauung formen.

Mag also sein, dass Söder sich in Passau im Eifer des Gefechts irrte, als er davon sprach, eine grüne Ministerin sei dafür, Kindern Pubertätsblocker zu verabreichen. Korrekter wäre es nämlich gewesen zu behaupten, dass ein im Dienste einer grünen Ministerin stehender parlamentarischer Staatssekretär offenbar so denkt.

Totalitarismus auf Samtpfoten

Befragt man die Grande Dame der politischen Philosophie, Hannah Arendt, nach dem wesentlichen Unterschied zwischen totalitären und freiheitlichen Gesellschaften, ist die Antwort so einfach wie schlagend. Freiheitliche Gesellschaften respektieren den Unterschied zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. In ihnen gibt es eine heilige Grenze staatlicher Einmischung. Totalitäre Gesellschaften hingegen heben diesen Unterschied auf, indem der Staat selbst auf die Steuerung des Intimsten zugreift – bis hin zur Ausübung von Terror.

Von einem „Terror“ des Staates sind wir freilich weit entfernt. Aber der Anspruch bestimmter politischer Milieus, selbst privateste und intimste Lebensverhältnisse der Bürger nach ihren persönlichen Vorstellungen zu formen, überschreitet die erste Stufe hin zu einem totalitären Denken und Handeln – wenn auch auf Samtpfoten.

Unsouveräne Reaktion 

Der rumpelige Auftritt Söders auf dem Politischen Aschermittwoch war daher sicher etwas übertrieben und grobschlächtig – so wie es sich für einen echten politischen Aschermittwoch eben auch gehört. Aber er enthielt ein gehöriges Fünkchen Wahrheit. Auch so erklärt sich wohl die unsouveräne Reaktion eines hochrangigen Regierungsvertreters auf die Attacke Söders. 

Vielleicht tut der Republik daher ein bisschen Kulturkampf auch ganz gut. Das könnte dabei helfen, an eines nachhaltig zu erinnern. Dass nach dem Grundgesetz die Erziehung der eigenen Kinder nicht nur die Pflicht der Eltern ist, sondern auch ihr verfassungsmäßiges Recht.
 

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