Machtkampf um Kanzlerkandidatur - Schlägt jetzt Merkels große Stunde?

Armin Laschet und Markus Söder sind völlig gefangen im Streit um die Kanzlerkandidatur – wahrscheinlich kommt es am Dienstag in der Fraktion zum Shoot-Out. Doch das wäre so kurz vor der Bundestagswahl ein Spiel mit höchstem Risiko. Könnte Angela Merkel am Ende die strahlende Dritte sein?

Ein Bild aus besseren Zeiten: Am 30. September 2020 präsentierte Markus Söder noch die neue Laschet-Biografie / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ratlosigkeit, Verzweiflung, Entsetzen: Wer sich aktuell in der CDU umhört, bekommt genau dieses Stimmungsbild gezeichnet. Eigentlich wollten Armin Laschet und Markus Söder spätestens an diesem Wochenende ihren Machtkampf um die Kanzlerkandidatur beendet haben. Doch weit und breit ist kein weißer Rauch zu erkennen. Und so schwindet bei vielen Unionsleuten die Hoffnung darauf, endlich Klarheit zu bekommen, wer von den beiden als Spitzenmann in die Bundestagswahl geschickt wird.

Dabei läuft die Zeit erbarmungslos davon: An diesem Montag werden die Grünen Annalena Baerbock als ihre Kanzlerkandidatin präsentieren – und zwar in einer Art und Weise, wie man es früher von der Union kannte: Als eine im kleinen Kreis ausgeklüngelte Person, hinter der sich die gesamte Partei frohgemut und kampfeslustig versammeln wird. Ohne vorheriges Hauen und Stechen, völlig smooth, eine Meisterleistung an politischer Professionalität. In solch einer Situation fragt dann auch keiner mehr nach all den Inhalten, die Bündnis90/Die Grünen jüngst mit ihrem Wahlkampfprogramm auf den Tisch legten. Diese haben es zwar in sich. Doch wenn die Show stimmig erscheint, spielen harte Fakten bekanntlich keine Rolle mehr.

CDU und CSU dagegen veranstalten keine Show, sondern einen Showdown. Der hat durchaus einen gewissen Unterhaltungswert, ist aber mit dem Nachteil verbunden, dass es insbesondere die Konkurrenten aus dem linken Lager sind, die es sich derzeit bei Popcorn und Bier auf dem Sofa gemütlich machen können, um die Nachrichtenlage aus der Union wie eine Daily Soap zu verfolgen: Wer bleibt am Ende übrig? Und vor allem: Wie tief werden die Gräben sein, wenn entweder Laschet oder Söder den Kürzeren gezogen haben? Ist das Porzellan dann komplett zerschlagen, oder gibt es doch noch etwas zu kitten? Das sind Fragen, mit denen sich SPD, Grüne und Linke natürlich nur allzu gern beschäftigen – anstatt sich wie früher mit der einst gut geölten Machtmaschine im Konrad-Adenauer-Haus auseinandersetzen zu müssen.

Drastisches Machtvakuum

Die langen Merkel-Jahre – ob als Parteivorsitzende oder Bundeskanzlerin – hatten ihren Preis; die Frau hinterlässt ein Machtvakuum, das in dieser Drastik kaum jemand für möglich gehalten hätte. Jetzt rächt sich, dass keine „natürliche“ Nachfolgerin, kein „natürlicher“ Nachfolger aufgebaut wurde. Und auch nicht aufgebaut werden konnte, weil niemand es wagen sollte, neben der Regierungschefin zu glänzen und sich für höhere Aufgaben in Stellung zu bringen.

Es war eine One-Woman-Show, bei der eine Fortsetzung mit einem neuen Hauptdarsteller offenbar nie vernünftig geplant war. Und so buhlen jetzt langjährige Nebendarsteller aus dem bayerischen und dem nordrhein-westfälischen Regionalprogramm um die Gunst der Zuschauer. Der eine, Markus Söder, mit Verweis auf die Einschaltquote. Der andere, Armin Laschet, unter Berufung auf seine sympathische Serienrolle als verbindlicher Integrator – eine Art Hans Beimer der deutschen Polit-Lindenstraße.

Tatsächlich geht es für die beiden christdemokratischen Parteien aber nicht nur darum, ob ihre Regierungs-Staffel demnächst um weitere vier Jahre verlängert wird. Sondern um die nackte Existenz. Denn ein weiteres Auseinanderdriften von CDU und CSU in diesem Diadochenkampf könnte am Ende eine dauerhafte Marginalisierung beider Parteien bedeuten. Jeder weiß das, und dennoch scheint es derzeit keinen realistischen Ausweg aus dieser misslichen Lage zu geben. Denn weder Markus Söder noch Armin Laschet machen Anstalten, auf ihre Kandidatur zu verzichten; es droht ein Abnutzungskrieg, an dessen Ende womöglich ein soeben erst zum Parteichef gekürter Aachener sich zum Rücktritt von diesem Amt genötigt sehen könnte.

Wenn nämlich sogar erhebliche Teile der CDU-Mandatsträger sich für den Berserker aus Bayern aussprechen, wäre ein Verzicht auf den Parteivorsitz die einzig mögliche Konsequenz. Und das fünf Monate vor der Bundestagswahl. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, zeigt in aller Deutlichkeit, wie unprofessionell der Machtübergang in Berlin (und in Düsseldorf) gemanagt wurde.

Vor einer Woche noch sah sich Laschet als sicherer Kanzlerkandidat, nachdem Söder seinen konditionierten Verzicht auf die Kanzlerkandidatur verkündet hatte. Offenbar ein schweres Missverständnis: Als der NRW-Ministerpräsident am Montag nach den Gremiensitzungen selbstbewusst vor die Kameras trat und sich so aufführte, als stünde er schon mit einem Bein im Kanzleramt, brachte er seinen Konkurrenten von der Schwesterpartei erst so richtig auf die Palme. Die Folgen sind bekannt.

Gesichtswahrende Lösung

Unbekannt hingegen ist ein Szenario, mit dem sich der Machtkampf jetzt noch irgendwie gesichtswahrend lösen ließe. Söder hat, so ist zu hören, in der vergangenen Woche einen Vermittlungsversuch durch Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber abgelehnt – was die Ernsthaftigkeit seines derzeitigen Vorpreschens untermauern würde. Und für Laschet, der sich praktisch schon selbst zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hatte, ist es jetzt auch zu spät, um noch einmal den Rückwärtsgang einzulegen.

Möglicherweise kommt es am Dienstag also doch zur Kampfabstimmung in der Bundestagsfraktion als dem einzigen Gremium, in dem sowohl CDU- wie auch CSU-Abgeordnete vertreten sind. Doch auch das wäre eine Lösung, die nur mit erheblichen Kollateralschäden zu haben ist. Denn ein nachhaltiger Riss durch die Unionsparteien (und sogar innerhalb der CDU) ist dann praktisch unausweichlich – Verletzungen allerorten inklusive. 

Hinzu käme die Frage, wie etwa Laschet-Unterstützer vom Format des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier sich im Bundestagswahlkampf noch glaubhaft hinter Markus Söder stellen könnten. Und nicht zuletzt ist die Fraktion kein Entscheidungsgremium in Sachen Kanzlerkandidatur – ganz davon abgesehen, dass damit auch noch Präsidium und Vorstand der CDU geradezu lächerlich gemacht würden als zwei Gremien, die faktisch nichts zu melden haben.

Bleibt bei Lichte besehen eigentlich nur eine Möglichkeit, um das Drama zu entschärfen: CDU und CSU einigen sich auf einen dritten Kandidaten. Oder auf eine dritte Kandidatin.

Wer, wenn nicht Merkel?

Es mag bizarr klingen, aber dafür käme eigentlich nur eine Person in Frage: Angela Merkel selbst. Unter den gegebenen Umständen wäre wohl nur sie es, von der am 26. September noch ein halbwegs erträgliches Wahlergebnis für die Union zu erwarten wäre. Ob Merkel sich zur Not tatsächlich darauf einließe, weiß wohl nur sie selbst (und Leute, die sie gut kennen, halten diesen Schritt für praktisch ausgeschlossen).

Man kann sich aber durchaus vorstellen, dass es nicht in ihrem Sinne ist, zu einem Zeitpunkt abzutreten, an dem Deutschland für alle erkennbar als Sanierungsfall dasteht. Zu diesem Sanierungsbedarf hat sie zwar selbst in erheblichem Maße beigetragen – aber die Frau dürfte auch im Blick haben, wie sie einst in die Geschichtsbücher eingehen wird. Vier Jahre mehr wären da immerhin die Möglichkeit, ein paar Sachen noch halbwegs geradezubiegen.

Die CDU könnte einer abermaligen Kandidatur Merkels nicht ernsthaft etwas entgegensetzen – und die Verlängerung nutzen, um sich für das nächste Mal besser aufzustellen als im Jahr 2021. Für die CSU wiederum würden die Worte ihres großen Vorsitzenden Söder gelten, der beim politischen Aschermittwoch am 17. Februar folgenden Satz gelassen aussprach: „Merkel-Stimmen gibt es nur mit Merkel-Politik.“ Und mehr Merkel-Politik als mit Merkel selbst ist eigentlich kaum denkbar.

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