Liberalismus und die Ampel - „Man kann die Demokratie nicht verteidigen, indem man am Rechtsstaat rüttelt“

Im Interview plädiert FDP-Politikerin Linda Teuteberg für mehr Vertrauen in den Bürger. Nancy Faesers jüngsten „13-Punkte-Plan“ lehnt sie ab. Dieser zeige ein unzureichendes Verständnis für den Wert der Meinungsfreiheit und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

FDP-Politikerin Linda Teuteberg / dpa
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Linda Teuteberg ist FDP-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat. 

Frau Teuteberg, vor ein paar Jahren war die FDP scheintot. Dann kam Christian Lindner als Retter. Und nun stehen die Liberalen wieder kurz vor der historischen Bedeutungslosigkeit. War es ein Fehler, in die Ampel zu gehen?

Dass die Ampel kein Wunschbündnis ist, war von vornherein klar. Aber jede Partei muss professionell mit den Mehrheitsverhältnissen umgehen, die die Bürgerinnen und Bürger mit dem Wahlergebnis herbeiführen. Insofern hatte es schon eine gewisse Folgerichtigkeit – auch angesichts des Zustandes der Union in den Tagen nach der Wahl – eine Ampel zu verhandeln. Leider wird durch die Herausforderungen angesichts des russischen Angriffskrieges immer offenkundiger, dass Rot und Grün auf der einen und Gelb auf der anderen Seite sehr verschiedene Vorstellungen zum Beispiel in der Wirtschafts- und Energiepolitik haben. Die Lage ist ziemlich kompliziert geworden.

Verstehe ich Sie richtig? Eigentlich ist die Ampel für das Land nur in einer Gute-Laune-Koalition, also wenn die Wirtschaft brummt und die Steuereinnahmen sprudeln? Aber wenn es Krisen gibt und große Herausforderungen, dann nicht?

So habe ich das nicht gesagt. Unter Kanzlerin Merkel und der Großen Koalition wurde viel Zeit verschlafen und die Friedensdividende weiter verfrühstückt. Statt die Phase der Niedrigzinsen und Ausnahmekonjunktur zu nutzen, um in die Modernisierung unseres Land zu investieren und Strukturreformen anzugehen, wurden Sozialleistungen ausgeweitet und Kernaufgaben des Staates vernachlässigt. Jetzt, wo die Gesamtumstände schwierig sind, fällt das unserem Land auf die Füße. Hinzu kommt, dass es dieses Land über Jahre hinweg versäumt hat, nötige Grundsatzdebatten zu führen und auch zu entscheiden, zum Beispiel in der Migrationspolitik. Das holen wir jetzt alles auf einmal unter erschwerten Bedingungen nach. Und Reibung erzeugt eben Hitze.

Keine Ampel-Partei hat seit der Wahl so viel Zustimmung eingebüßt wie die FDP. Eine Mitgliederbefragung hat nur noch eine hauchdünne Mehrheit für die Fortsetzung der Ampel zutage gefördert. Die Partei scheint komplett zerrissen. Womit wollen Sie bis 2025 die Wähler überzeugen?

Als Freie Demokraten sind wir die einzige verbliebene Partei, die dem einzelnen Menschen etwas zutraut und damit auch zumutet. Der freiheits- und vernunftbegabte Mensch muss Verantwortung für sein Leben übernehmen und kann das auch. Er verdient Zutrauen statt Misstrauen in Form von immer mehr bürokratischen Auflagen. Eine auf Wettbewerb gegründete Wirtschaftsordnung ist am besten geeignet, um sowohl Wachstum und Wohlstand zu schaffen, als auch effizient und schonend mit Ressourcen umzugehen. Und der demokratische Rechtsstaat hat hierfür Rahmenbedingungen zu schaffen, aber die Menschen in ihrer persönlichen Lebensführung in Ruhe zu lassen. Der erwachsene Bürger darf von der Politik nicht wie ein kleines Kind behandelt und angesprochen werden. 

Das klingt gut. Blickt man in die Realität, scheint sich aber die FDP längst auf den Weg eines obrigkeitsstaatlichen Gängelstaates eingelassen zu haben. Ihr Justizminister unterstützt es zum Beispiel, dass es künftig verboten sein soll, nach einer Geschlechtsumwandlung überhaupt noch den ehemaligen Namen des Betroffenen in den Mund nehmen zu dürfen. Und ihre Partei hat außerdem zugestimmt, die Fördermittel für Initiativen deutlich zu erhöhen, die zum Beispiel „Petzportale“ im Internet betreiben. Nach Freiheitlichkeit hört sich das nicht unbedingt an. 

Vieles davon ist ja nicht beschlossen, sondern es handelt sich bloß um Ankündigungen vor dem parlamentarischen Verfahren. Das heißt noch nicht, dass das auch so kommt. Abgeordnete sind keine Statisten.

Entschuldigung, die Mittel für so genannte „Demokratieförderprojekte“ sind durch das Haushaltsgesetz doch längst beschlossene Sache – und zwar mit Stimmen der FDP.

Eine Koalition muss immer Kompromisse finden. So ist das in einer Demokratie, wenn man nicht die absolute Mehrheit hat. Und tatsächlich sehe ich eine wichtige Rolle der FDP in der Verteidigung der Freiheit. Unser Grundgesetz geht von Prämissen aus, die gerade von einigen massiv in Frage gestellt werden. Zum Beispiel, dass die Willensbildung in einer Demokratie von unten nach oben stattfindet – auf der Grundlage von Meinungsfreiheit und ständiger, lebhafter geistiger Auseinandersetzung. Die Grenzen der Meinungsfreiheit definieren verfassungsgemäße Gesetze und Gerichte – und nicht einzelne Mitglieder der Bundesregierung. Man kann die Demokratie nicht verteidigen, indem man am Rechtsstaat rüttelt.

Verstehe ich Sie richtig? Den von Bundesinnenministerin Faeser angekündigten 13-Punkte-Plan wird es mit der FDP nicht geben und auch kein Demokratiefördergesetz, obwohl es im Koalitionsvertrag steht?

Zumindest so, wie Frau Faeser sich das vorstellt, wird es nicht kommen. Das sind ja keine geeinten Vorschläge, sondern Wünsche einer Ministerin. Und sie zeigen ein unzureichendes Verständnis für den Wert der Meinungsfreiheit und für die Prinzipen der Verhältnismäßigkeit und für die Bestimmtheit im Rechtsstaat. Wenn sie die Stimmen der FDP gewinnen will, wird sie umdenken müssen. 
 

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Ist denn die Beobachtung so falsch, dass sich in der Politik in letzter Zeit insgesamt eine neue Form der Staatsverliebtheit entwickelt hat, auch bei der FDP?

Tatsächlich haben in der Pandemie manche mit dem Ausnahmezustand geflirtet und das Eintreten für Freiheitsrechte und Verhältnismäßigkeit verächtlich gemacht. Dem Ausfall rechtsstaatlicher Argumentationsstandards und Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien zu widersprechen ist die Aufgabe von Liberalen. Deshalb haben wir immer wieder eingefordert, den Blindflug bei der Erhebung wichtiger epidemiologischer Daten zu beenden und konsequent verhältnismäßig zu handeln. Gerade weil manche die beispiellosen Grundrechtseingriffe dieser Pandemie als Blaupause für ein anderes Staatsverständnis und ihre politische Agenda verstehen, ist die Aufarbeitung durch eine Enquete-Kommission so wichtig: für Erkenntnisgewinn, Resilienz und Befriedung. Nicht zuletzt, um die Lernfähigkeit der liberalen Demokratie zu zeigen. 

Mit dem „Demokratiefördergesetz“ hätte die FDP jetzt die Möglichkeit, Worten auch Taten folgen zu lassen. Das Gesetzesvorhaben steht aber im Koalitionsvertrag. Wollen Sie gegen den Koalitionsvertrag verstoßen?

Ich kann jedenfalls nicht empfehlen, dieses Gesetz zu verabschieden. Und ich habe auch den Eindruck, dass es viele in meiner Fraktion sehr kritisch sehen. Es ist gerade keine Staatsaufgabe, zugunsten bestimmter Weltanschauungen in die Meinungsbildung der Gesellschaft einzugreifen. Der freiheitliche Rechtsstaat respektiert eine vorgefundene Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensentwürfe, indem er Würde und Freiheitsrechte schützt. 

„Vielfaltgestaltung“ ist weder Aufgabe der Regierung noch von ihr geförderter NGOs. Mit Steuergeldern Meldeportale zu fördern, auf denen Bürger andere Bürger denunzieren, passt nicht zu einer freiheitlichen Verfassung. Gegenüber der Gefahr, gerade durch die selbstherrliche Interpretation und Stigmatisierung anderer, durchaus verfassungsgemäßer und damit legitimer Meinungen die Polarisierung in der Gesellschaft erst zu verstärken, verhalten sich die Befürworter des Gesetzes ignorant.

Angenommen, das Gesetz käme nicht. Wäre das in der Sache nicht völlig irrelevant? Die Förderung der von Ihnen kritisierten Initiativen wird ja seit mehr als 20 Jahren im Haushaltsgesetz geregelt, und die FDP hat dem bisher immer zugestimmt?

Es wäre unpolitisch, zu meinen, es sei egal, ob man das Gesetz beschließt oder nicht. Es würde dadurch eine neue Aufgabe des Bundes einfach gesetzlich festgeschrieben, die im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Entgegen der Auffassung mancher NGO, die hier Besitzstände zu verteidigen und auszuweiten sucht, ist das Haushaltsrecht des Parlaments gerade Ausdruck und nicht Einschränkung von Demokratie. Ich bleibe daher dabei: Dieses Gesetz sendet das falsche Signal, es beruht auf einem fragwürdigen Demokratieverständnis. Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu beschließen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu beschließen. 

Wir müssen die Demokratie verteidigen, die unser Grundgesetz meint. Statt Sonderstrukturen und Nebengremien zu bilden, sollten wir uns auf das Gelingen der parlamentarischen Demokratie konzentrieren – mit Beratungen, die diesen Namen verdienen. Und das ehrenamtliche Engagement gerade in politischen Parteien stärken. Schließlich brauchen wir schulische und außerschulische Politische Bildung, die zu Mündigkeit und Engagement befähigt. Gefolgschaft für die politische Agenda bestimmter NGOs durch öffentlichen Druck zu erzwingen, hat mit Demokratie nichts zu tun.

Was würden Sie ihrer eigenen Partei empfehlen, um bei der Bundestagswahl kein Desaster zu erleben?

Wir müssen dem etatistischen und identitätspolitischen Zeitgeist etwas entgegensetzen und für einen ganzheitlichen Liberalismus werben. Es ist unbedingt notwendig, aber nicht hinreichend, für Wirtschaftswachstum und niedrigere Steuern zu plädieren. Zugleich ist der demokratische Rechtsstaat herausgefordert, die Freiheit aller Bürger zu verteidigen und sein Gewaltmonopol zu behaupten. Wer den Systemwettbewerb liberaler Demokratien mit autoritären Regimen bestehen will, muss die Handlungsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates bei Kernaufgaben wie innerer und äußerer Sicherheit und Infrastruktur zeigen. Um diese wichtigen Aufgaben zu erfüllen, müssen wir unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern und machen deshalb viele konkrete Vorschläge. 

Für den Fortschritt, den Liberale meinen, brauchen wir auch in Zukunft das, was gegenwärtig von vielen Seiten angegriffen wird: die Offenheit und Lernfähigkeit der liberalen Demokratie, Grundrechte, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit des freiheitlichen Rechtsstaates und die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft. Wenn diese Kultur der Freiheit bedroht ist, weil andere die Systemfrage stellen, muss man den Kulturkampf annehmen und ebenso sorgfältig wie leidenschaftlich liberal beantworten. 

Das hört sich jetzt aber nicht so an, als wollten Sie die Ampel nach der nächsten Wahl fortsetzen.

Die FDP tritt zu jeder Wahl als eigenständige politische Kraft an. 

Das Gespräch führte Mathias Brodkorb.
 

Andreas Radbruch im Gespräch mit Axel Meyer
Cicero Podcast Wissenschaft: „Die Bevölkerung wurde durch Angstszenarien diszipliniert“ 

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