Liegt in der Ruhe die Kraft?

Der Afghanistan-Einsatz entzweit die Nation, immer neue Auslandsmissionen belasten die Armee,

Der feste Gang Franz Josef Jungs, seine massive Gestalt, die leise Scheue seines Auftretens im Berliner Café Einstein entsprechen dem Klischee des Weinbauern – wären da nicht die fein geformten Hände und der aufgeweckte Blick hinter den Gläsern der randlosen Brille. Franz Josef Jung entspricht keineswegs dem Klischee des harten Hundes. Wie aber erklärt sich die Wandlung von Zack-Zack-Jung, dem ehemaligen Mann fürs Grobe der hessischen CDU zum leise konzen­trierten Verteidigungsminister? Woher kommt diese merkwürdige Grundruhe, die im aufgeregten Politikbetrieb der Berliner Republik wirkt wie eine seltene Antiquität? Sie kommt vom Vater. Sagt Jung. Ein ruhiger, überlegter Winzer sei er gewesen, der vom christlichen Weltbild geleitet wurde, dessen Werte er seinen Kindern vermittelte: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Familie, Erbarmen. Der Rheingauer Katholik lehrte die Kleinen früh, Verantwortung zu übernehmen. Jakob Jung plante, das Weingut an seinen Ältesten zu übergeben. Franz Josef durfte bereits als Knabe den Vater in die Weinberge begleiten und mitarbeiten. Als Abiturient ließ sich Franz Josef Jung zum Reserveoffizier ausbilden. Doch ehe er sein Offizierspatent erwerben konnte, erkrankte der Vater an Krebs und verstarb. Der 20-Jährige brach seinen Wehrdienst ab, kümmerte sich um seine Familie. „Mein Bruder war erst 18, meine Schwester 13 und zudem sehbehindert. Da hatte ich die Vaterstelle einzunehmen“ und obendrein den Familienbetrieb zu leiten. Was half ihm in der ersten großen Lebenskrise? Natürlich: „Der christliche Glaube“. Er gibt Jung Halt. Daraus schöpfte er Energie, neben seinen Familienpflichten auch den eigenen Geist zu schulen. Während des Jurastudiums engagierte sich Jung in der Jungen Union. Hier lernte er seine politischen Freunde kennen wie Roland Koch und bald auch den schwäbischen Bundesvorsitzenden Matthias Wissmann. Der gab dem Entscheidungsfreudigen den Namen Zack-Zack-Jung, der heute nur noch so wenig zu ihm passen will. In der Politik findet Franz Josef Jung jedenfalls seinen neuen Weinberg. Das Weingut der Familie weiß er bei seinem jüngeren Bruder Ludwig in guten Händen. Nach Studium und Referendariat lässt er sich als Anwalt in Eltville unweit des Elternhauses nieder. Franz Josef Jung macht in der Politik Karriere. Seine Durchsetzungskraft, die Schläue des Bauernsohns helfen ihm dabei. Doch er lässt sich nicht von der Politik auffressen. Der Winzer bleibt bei seinen Trauben. „Wein ist kein gewöhnliches Getränk. Er ist ein Stück Kultur. Als im Hessischen Landtag Wein als Lebensmittel bezeichnet wurde, habe ich vehement protestiert. Ich überzeugte die anderen Parlamentarier, unseren Wein als Kulturgut zu begreifen.“ Im Einstein nippt Jung an seinem Tee. Wein oder gar seinen geliebten Riesling, bei dem es „auf die richtige Zusammensetzung von Süße und Säure ankommt“, trinkt er nicht en passant untertags. Mein Gegenüber schüttelt seinen Kopf. Ein Parteifreund kommt ihm in den Sinn, der bei einem Bankett „ein Glas Beerenauslese runterschüttete. Einfach so.“ Der Bub Franz Josef las Weinbeeren. „Wenn man den ganzen Tag Beeren von den Rebstöcken pflückt, hat man am Abend eine knappe Kiepe voll. Wein muss man schätzen. Auch die damit verbundene Arbeit und Kultur. Einfach wegtrinken hat keine Art“, empört er sich, als habe jemand seinen Wehretat gekürzt. Der Winzersohn verweilt bei der Arbeit auf dem Familiengut und dem dafür notwendigen Wissen. „Man muss die Struktur des Bodens kennen, welches Gestein unterliegt, um die Qualität des Weines, der darauf wächst, bestimmen zu können.“ Wer Jung verstehen will, sollte mit ihm nicht über die Bundeswehr und Auslandseinsätze reden, sondern über Heimat: „Ich genieße noch immer wie ein Kind, den Boden zu riechen. Besonders, wenn es regnete und die Erde in der wieder aufscheinenden Sonne dampft. Oder mein Auge an den weiten Rapsfeldern zu erfreuen.“ Die Verwurzelung in der Heimat, die Verbundenheit mit der Familie und der Trost der Religion lassen Jung die Höhen, besonders aber die Tiefen der Politik – etwa die zwischenzeitlich brutalstmögliche Opferung durch Roland Koch – überstehen. Loyalität wird sein Markenzeichen. Und sein Karrierehelfer. So kam er schließlich als Vertreter Kochs ins Berliner Kabinett. Ob Koch jedoch je nachkommen kann, ist heute ungewisser denn je. Und so wird Jung zusehends er selbst: ein durch und durch Wertkonservativer. Im bunten Berliner Politikzirkus eine absolute Rarität. „Ich bin noch mit der gleichen Frau verheiratet, habe den gleichen Beruf, wohne im gleichen Haus und besitze sogar das gleiche Auto – wie seit Jahrzehnten“, lacht er. Rafael Seligmann ist Autor des Buches „Hitler. Die Deutschen und ihr Führer“, Ullstein Verlag. Er lebt in Berlin

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