Konvent der CDU - Merz gegen Wüst: Die K-Frage betrifft auch die Nähe zu den Grünen

Hendrik Wüst oder Friedrich Merz?, lautet die Kanzlerfrage der CDU. Zwei Gäste beim Parteikonvent sorgten für Aufmerksamkeit. Die eine empörte den politischen Gegner mit ihrer Uniform. Der andere sagte der CDU, was sie tun und lassen soll.

Hier waren sie noch Freunde: Hendrik Wüst und Friedrich Merz beim Spiel Borussia Dortmund gegen 1.FSV Mainz am 27. Mai / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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CDU-Chef Friedrich Merz will keine Kanzlerkandidaten-Debatte. „Wir haben eine Entscheidung im Spätsommer 2024 zu treffen, und bis dahin befassen wir uns nicht mit Personalspekulationen, sondern mit Themen“, sagte er am Sonntagabend im ZDF. Allerdings kann man in einem meinungsfreien Land Debatten bekanntlich nicht verbieten, noch nicht einmal innerhalb der eigenen Partei gelingt das Parteichefs in der Regel. Jedenfalls dann nicht, wenn die Debatte interessierten Menschen mit politischem Gewicht auf den Nägeln brennt.

Wenn ein Landesparteichef und Ministerpräsident des größten Bundeslandes sich nicht offen, aber doch kaum missverständlich als Kandidat gegen den Parteichef ins Spiel bringt, ist dieser Meinungskampf unwiderruflich eröffnet. Merz selbst hat letztlich ja auch den Fehdehandschuh seines Parteifreundes aufgenommen, indem er seinerseits eine Spitze gegen Wüst setzte: Die Unzufriedenheit in den Bundesländern, „auch leider in Nordrhein-Westfalen“ mit der dortigen Landesregierung, sei fast genauso groß wie mit der Bundesregierung. Sein Pseudo-Ukas der Nichtbefassung ist außerdem selbst schon als taktisches Mittel zur Verteidigung seines eigenen Primats als CDU-Kanzlerkandidat zu begreifen. Denn je weniger diskutiert wird, desto klarer ist natürlich, dass der Parteivorsitzende den Vortritt hat.

Merz, Wüst oder Söder? Der Kampf um die Kanzlerkandidatur

Der Kampf zwischen Wüst und Merz ist also hinter den offiziösen Kulissen hiermit eröffnet. Und man kann wohl davon ausgehen, dass sich ein weiterer Unionsparteichef und Ministerpräsident, nämlich Markus Söder, bald seinerseits in diesen unerklärten Kampf werfen wird. Merz, Wüst oder Söder? Das wird natürlich nicht erst nach der Europawahl im Juni 2024 die große Frage sein, sondern ab jetzt.   

Die Aufforderung von Politikern, sich nicht mit Personalfragen, sondern der Sachpolitik zu befassen, ist ohnehin eine Art Running-Gag des Politikbetriebes. Je öfter diese Sprüche fallen, desto unglaubwürdiger sind sie. Personalpolitik ist von Sachpolitik überhaupt niemals haarscharf zu trennen. Personalentscheidungen sind immer auch sachpolitische Richtungsentscheidungen. Und das gilt in gewisser Weise auch umgekehrt.

Wenn Merz es jetzt zulässt, dass ganz besonders grünenfreundliche Positionen, die Wüst in FAZ und RP für die CDU einfordert, sich im neuen Grundsatzprogramm besonders widerspiegeln, wird dies natürlich auch in seiner Partei und darüber hinaus als Signal für Wüst wahrgenommen werden. Merz sollte nun also allein schon aus taktischem Egoismus seine eigene, nicht ganz so grünenfreundliche und zumindest noch ansatzweise als wirtschaftsliberal und konservativ wahrgenommene Linie im neuen Grundsatzprogramm und in der Parteilinie verankern.   

Die Kanzlerkandidatenfrage ließe sich vielleicht etwas aus dem öffentlichen Fokus halten, wenn die CDU eine vitale sachpolitische Debatte zu bieten hätte, die die Aufmerksamkeit ausfüllen könnte. Wie wenig das der Fall ist, merkt man an der Berichterstattung über den CDU-Konvent am Wochenende. Für große mediale Aufregung sorgten da nicht inhaltliche Diskussionen über das anstehende Grundsatzprogramm, sondern vor allem die Kleidung einer Rednerin: Die frühere Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (nach eigener Aussage kein Parteimitglied, aber schon einmal CDU-Bundestagskandidatin) trat als Gast in ihrer Polizei-Uniform auf.

 

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Das mag unvorsichtig (oder, wenn sie die medialen Folgen bewusst einkalkulierte, auch PR-taktisch klug) gewesen sein. Die Aufregung darüber bestätigt jedenfalls die bekannte Abneigung gegen Uniformen in weiten Kreisen des politisch-medialen Betriebes. Dass Soldaten und Polizisten ihre Uniform nicht nur im Dienst und auf Bahnfahrten (wo sie als Ticket gelten) tragen wollen und auf diese sogar, wie Pechstein sagte, stolz sind, gilt in weiten Kreisen schon als grundsätzlich verdächtig. Mehrere Medien, darunter der WDR und die Süddeutsche Zeitung, stellen außerdem in Frage, ob sie das überhaupt durfte.

Das eigentliche Problem für ihre Kritiker war wohl eher, dass Pechstein sich erdreistete, nicht nur über Sport, sondern auch über das Nichtabschieben abgelehnter Asylbewerber, die mangelhafte Sicherheit im Alltag und „ängstliche Blicke“ in öffentlichen Verkehrsmitteln zu sprechen – und über Sprachvorgaben. Ja, sie forderte die CDU sogar zu einer Politik für traditionelle Familien mit „Mama und Papa“ auf. Da zielte sie laut WDR „übers Ziel hinaus“. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler nutzte die Chance, um Pechstein und damit auch der CDU den üblichen Vorwurf des „Geschwurbels“ und der Nähe zu einer „anderen Fraktion" zu machen. Er fordert vom Bundesinnenministerium eine „Nachbereitung“ – und die kam sogar: Die Bundespolizei hat laut eigenen Angaben eine „dienstrechtliche Prüfung“ eingeleitet. Wie politisch neutral diese Entscheidung zu einer Prüfung ist, könnte man allerdings auch hinterfragen.

Die CDU lässt sich von einem Grünen-Politiker über bürgerlichen Stil belehren

Dass die CDU es bei einem solchen Konvent, der doch ein zentrales Ereignis auf dem Weg zum eigenen Grundsatzprogramm sein soll, für nötig erachtet, ausgerechnet den grünen Vordenker Ralf Fücks zur Debatte einzuladen, zeugt vom eigenen intellektuellen Minderwertigkeitskomplex der Christdemokraten. Man kann das schon bizarr nennen: Die Partei der großen Kanzler Adenauer und Kohl, aber auch der großen politischen Denker Erhard und Biedenkopf, lässt sich nun, ausgerechnet wenn es ums Grundsätzliche geht, von einem früheren Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung Benimmratschläge geben, die wie Anweisungen klingen: Die CDU solle sich davor hüten, Vokabular der AfD zu übernehmen, sagt Fücks auf der Bühne mit Merz und Vorstandsmitglied Carsten Linnemann. „Demokratische Parteien“ sollten keine „politische Brunnenvergiftung“ betreiben und „den Gegner nicht dämonisieren“. Die CDU müsse sich zwar auch gegenüber den Grünen abgrenzen, so Fücks großzügig – aber nicht so sehr wie zur AfD. „Eine bürgerliche Partei, die Sie ja sind und sein wollen, muss auch einen gewissen bürgerlichen Stil praktizieren.“ Merz nickte zustimmend. Die CDU überlässt also offenbar die Deutungshoheit übers Bürgerliche dem Ex-Maoisten Fücks.

Umgekehrt ist es sich unvorstellbar, dass sich die Grünen zu einer programmatischen Veranstaltung ein CDU-Mitglied einladen, um sich über ihr Vokabular, ihren Stil oder gar ihre Nähe und Distanz beispielsweise zur „Letzten Generation“ belehren zu lassen. Der Auftritt von Fücks und Merz hat besonders deutlich gemacht, wie gering das Selbstbewusstsein der CDU gegenüber den Grünen ist. Und wie vorteilhaft die Rolle der AfD als rechte Unberührbaren-Partei für die Grünen als Zuchtmittel gegenüber der CDU ist.

Verglichen mit Wüst ist Merz zweifellos der unbequemere potentielle Koalitionspartner. Aber wie schwach, ja fast hilflos Merz angesichts des von den Regierungsparteien immer wieder erhobenen Populismusvorwurfs ist, zeigt sein absurder Versuch einer Unterscheidung: „Dem Volk aufs Maul zu schauen, ist Demokratie. Dem Volk nach dem Mund zu reden, ist Populismus.“ Nur Schauen ist also demokratisch? Und so zu reden wie das Volk, ist populistisch?

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