Kommunalwahl in Niedersachsen - Handfeste Überraschungen

Die CDU bleibt stärkste Kraft in Niedersachsen. Das ist ein Signal. Es zeigt, dass die Union sich um ihre Wähler auch im ländlichen Raum wieder mehr bemühen sollte. Dazu wäre eine Rückkehr zum Markenkern von CDU und CSU nötig: unaufgeregte Sachpolitik für die leistungsorientierte Mitte der Gesellschaft zu machen.

Stimmzettel für die Wahl des Oberbürgermeisters in Oldenburg / dpa
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Michael Sommer lehrt an der Universität Oldenburg Alte Geschichte und moderiert gemeinsam mit Evolutionsbiologe Axel Meyer den Cicero-Wissenschafts-Podcast

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„In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 28, Absatz 1. Und weil die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist, finden in den Ländern regelmäßig Wahlen zu den Parlamenten der kommunalen Gebietskörperschaften statt. In den Flächenländern sind das Kreise und Gemeinden.

Vergangenen Sonntag waren die Niedersachsen aufgerufen, ihre Kommunalparlamente zu wählen. Selbstverständlich ging es um Kommunalpolitik: Werden die Schulen mit Luftfiltern ausgestattet? Kommt hier eine neue Straße hin? Wie viel Nachverdichtung wollen wir? Kann eine Stadt in Zeiten wie diesen das schaffen, was heute als „bezahlbarer Wohnraum“ bezeichnet wird?

Viel Amt, wenig Ehre

Über diese und andere Fragen in Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten zu entscheiden, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die Tätigkeit dort wird im Übrigen auch nicht besoldet. Sie ist Ehrenamt, und das heißt: viel Amt, wenig Ehre. Denn oft sind Kommunalpolitiker die Prügelknaben, wenn etwas den Bürgern gründlich gegen den Strich geht. Im Gegensatz zu Landes- und Bundespolitikern vor Ort und stets zur Stelle, greif- und ansprechbar. Dabei kennen wir die Menschen hinter den Gesichtern auf den Plakaten, die im Wahlkampf unser Viertel schmücken, meist kaum. Kommunalpolitiker sind so etwas wie die stillen Helden der Demokratie.

So kurz vor einer Bundestagswahl ist eine Kommunalwahl aber natürlich noch viel mehr als bloß die Entscheidung darüber, wie es bei uns zu Hause weitergehen soll. Da mag noch so oft betont werden, bei Kommunalwahlen gehe es um Kommunal- und nicht um Bundespolitik – dem Votum in Niedersachsen kommt zwei Wochen vor dem bundesdeutschen Urnengang der Stellenwert einer Testwahl zu. Das gilt zumal dann, wenn Wähler so vernehmbar gegen den von den Demoskopen ausgerufenen Bundestrend opponieren, wie die Niedersachsen das am 12. September getan haben.

Das Landesergebnis lässt vordergründig wenig Dramatisches erkennen: Bei den Kreiswahlen kam die CDU auf 31,7, die SPD auf 30,0 Prozent. Beide Parteien haben damit leicht verloren, die SPD etwas weniger (-1,2 Punkte), die CDU (-2,6 Punkte) etwas deutlicher. Die Grünen haben 15,9 Prozent erzielt und gehörten damit ebenso zu den Gewinnern (+5,0 Punkte) wie die Liberalen, die auf 6,5 Prozent kamen (+1,7 Punkte). Abwärts ging es für die AfD, die statt 7,9 nur noch 4,6 Prozent erhielt. Die Linke wurde noch schwächer (2,8 Prozent, -0,5 Punkte). Von den sonstigen Parteien erzielten Wählergruppen 5,6, Die Partei 0,8 und die Basis 0,6 Prozent.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich aber einige handfeste Überraschungen. Zunächst muss man sie vor der Folie der dramatischen Umschichtungen im Parteiensystem betrachten, deren Zeugen wir seit der vergangenen niedersächsischen Kommunalwahl 2016 geworden sind. Aus zwei Volksparteien sind drei mittelstarke Parteien mit dem theoretischen Anspruch geworden, den Bundeskanzler zu stellen. Die politische Stimmung ist außerordentlich volatil, wie zuletzt an der Achterbahnfahrt von Union, SPD und Grünen abzulesen war, die sich in einem hektischen Bäumchen-wechsle-dich-Spiel auf dem Spitzenplatz der Wählergunst abgelöst haben.

Wahlverhalten driftet auseinander

Wenn in dieser Situation die Niedersachsen-CDU, deren Bundespartei nach der demoskopisch gemessenen Stimmung zurzeit am Boden liegt, bei der Kommunalwahl so stabil ist und wieder ganz oben auf dem Siegertreppchen steht, dann ist das ein Signal, dass möglicherweise etwas am gemessenen Bundestrend nicht stimmt. Denn die niedersächsischen Zahlen kommen, im Gegensatz zu denen der Demoskopen, aus der Wahlurne. Und wenn die Grünen von ihrem schwachen Ergebnis von vor fünf Jahren „nur“ um fünf Punkte, mithin rund die Hälfte, zulegen, dann lässt auch das an der Robustheit des Bundestrends zweifeln.

Noch wichtiger ist ein zweiter Befund. In Niedersachsen drifteten die Städte und der ländliche Raum dem Wahlverhalten nach weiter auseinander denn je. Dass man auf dem Land anders wählt als zumal in Groß- und Universitätsstädten, ist nichts Neues. Doch vertiefte sich der Graben im eher ländlich-kleinstädtisch strukturierten Niedersachsen noch weiter, weil zwei völlig gegenläufige Trends zu beobachten sind: Während sich in den großen Städten des Ostens, in Hannover und Braunschweig, die Genossen gut behauptet zeigten und in den beiden westniedersächsischen Universitätsstädten Oldenburg und Osnabrück die Grünen mit 31,2 (+12,1) und 29,0 (+10,8) Prozent an der SPD beziehungsweise der CDU vorbeizogen, bot sich auf dem platten Land ein völlig anderes Bild.

Neuer Kulturkampf?

Hier konnte die CDU ihre starke Position verteidigen und teilweise sogar noch ausbauen. Im katholischen Oldenburgischen Münsterland und im Emsland verzeichnete sie Ergebnisse von teilweise deutlich über 50 Prozent. In typischen Pendlerkreisen wie der Wesermarsch, dem Kreis Oldenburg und den Kreisen Hameln-Pyrmont und Schaumburg legte sie sogar entgegen dem Landestrend zu. Den höchsten Zuwachs freilich verzeichnete sie in der VW-Stadt Wolfsburg.

Werden wir hier zu Zeugen eines neuen Kulturkampfes derjenigen, die vom Automobil abhängen, gegen die postmateriellen Wohlstandsmilieus der Groß- und Universitätsstädte? Fast könnte es so scheinen. Die CDU wäre allerdings schlecht beraten, wenn sie sich jetzt zur Lobbypartei der Autofahrer machte. Ihre trendresistente Resilienz im ländlichen Niedersachsen dürfte maßgeblich darauf beruhen, dass ihre Basis in den dünn besiedelten Räumen, zumal da, wo man katholisch ist, wider alle Unkenrufe langsamer abschmilzt als das gewerkschaftsnahe Arbeitnehmermilieu, in dem die SPD verwurzelt war.

Die Unionsparteien wären gut beraten, wenn sie sich um diese Wähler wieder mehr bemühen würden. Dazu wäre die Rückkehr zum Markenkern von CDU und CSU nötig: unaufgeregte Sachpolitik für die leistungsorientierte Mitte der Gesellschaft zu machen.

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