30 Streitpunkte in der Bundesregierung - Ampelausfall lähmt das Land 

Eigentlich sollten am kommenden Mittwoch im Kabinett die Eckpunkte für den neuen Haushalt 2024 vorgestellt werden. Doch der Streit in der Ampel blockiert alles. Und wie üblich: Das Machtwort des Kanzlers fehlt. 

Erneut Zoff in der Ampel. Und erneut kein Machtwort des Kanzlers / picture alliance
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der Bundesrechnungshof ist der sympathische Scheinriese der Republik. Er prüft und durchforstet alle Ausgaben der Regierung. Manchmal taucht er sogar plötzlich in den Büros der Ministerien auf. Da stehen dann smarte Kontrolleure in adretten Anzügen wie CIA-Agenten vor den Schreibtischen der verblüfften Beamten mit der Lizenz zum Durchsuchen. In Berichten werden anschließend Missstände aufgeführt, Geldverschwendung angeprangert und solide Haushaltsführung angemahnt. Nur leider hat der Bundesrechnungshof aus der Nähe betrachtet keine Macht, kein Durchgriffsrecht. 

Alle Ausgaben auf dem Prüfstand

Doch immerhin: Der Bericht, den der oberste und unabhängige Haushaltshüter der Republik vergangen Woche vorgelegt hat, ist sowas wie ein dramatischer Blauer Brief für die Ampel-Regierung. Mehr noch: Er ist sowas wie eine Erdbebenwarnung mit kurzer Vorwarnzeit. Verblüffend nur, wie routiniert der Berliner Betrieb weiter schnurrt. Der Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller zeichnet ein düsteres Bild, es drohe ein Kontrollverlust der öffentlichen Haushalte. Zeit für eine Notbremse. Scheller sagt: Alle Ausgaben müssten auf den Prüfstand. 

Seine Kritik liest sich so: Der Bund habe in den vergangenen drei Jahren Schulden von fast 850 Milliarden Euro vorgesehen. Zuvor habe er in über 70 Jahren Schulden von rund 1,3 Billionen Euro angehäuft. Also in drei Jahren mehr als die Hälfte so viel, wie vorher in 70 Jahren! Durch die Zinswende sind die Schulden zudem immens „teuer“ geworden. Noch vor zwei Jahren zahlte der Bundesfinanzminister knapp vier Milliarden Euro an Zinsen jährlich. Jetzt sind es fast 40 Milliarden Euro. Es brauche, so Scheller, jetzt „schmerzhafte“ Entscheidungen, um die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Der Zug fährt sonst vor die Wand.

Erneut Zoff in der Ampel

Wie aber reagiert die Ampel-Regierung? Die Ministerien melden erstmal so genannte Mehrbedarfe an. Sprich, sie wollen mehr Geld aus dem Haushalt für ihr jeweiliges Ressort. Beispiel Familienministerin: Um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Zusammenlegung der Familienleistungen zu finanzieren, verlangt Ministerin Lisa Paus (Grüne) mehr Euro-Millionen. Die neue Kindergrundsicherung soll die wichtigste soziale Wohltat der Ampel werden. Allein, es fehlen die Mittel. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat ein Stopp-Signal gesetzt. Ergebnis: Erneut Zoff in der Ampel.
 

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Inzwischen hat sich die Liste der Streitpunkte in der Bundesregierung auf über 30 subsumiert, sagt ein Insider. Fast drei Dutzend Gesetzesvorhaben lägen in der Warteschleife und es gibt keine Aussicht auf Einigung. Autobahnausbau, Süßigkeiten-Werbeverbot, E-Fuels sind die bekanntesten Zankkäpfel, nun ist noch die Ankündigung des Heizungs-Verbot dazu gekommen. Der letzte Punkt hat das Zeug zum Bürgerkrieg, sagt ein gut vernetzter Wirtschaftsvertreter. Ein Verbot von Gas- und Ölheizungen sei so etwas wie eine kalte Enteignung vieler Hausbesitzer. Doch noch ist es ruhig, viele in Berlin hoffen auf ein Einlenken von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der aber scheint eingeklemmt in seinem Ministerium und seinem ideologisierten Umfeld.

Eigentlich wollte Christian Lindner am kommenden Mittwoch die Eckpunkte für den Haushalt 2024 vorstellen. Das ist sowas wie das Hochamt des Bundesfinanzministers. Die Eckpunkte legen fest, was im kommenden Jahr ausgegeben werden darf. Mächtiger ist der FDP-Politiker nie, deswegen muss er sich jetzt durchsetzen, sonst ist es zu spät. Es gibt aber bislang keine Einigung, deswegen steht auf der Tagesordnung des Kabinetts nun nur Beratung über die Eckpunkte.

Am kommenden Mittwochmorgen wird der derzeitige Ampelausfall für alle sichtbar, es geht nicht mehr vor und nicht zurück. Wenn sich eine Regierung nicht auf einen Haushalt einigen kann, dann einigt sie sich auf gar nichts mehr. Und wie üblich: Das Machtwort des Kanzlers fehlt. Eine Vermittlungsstrategie ist nicht in Sicht. 

Paartherapie für die Ampelkoalition

Bundesrechnungshof-Chef Kay Scheller versucht es mit pädagogischen Ratschlägen. Es sei durchaus gut, dass die Ampel sich streite. Es sei besser, nun Konflikte auch auszutragen, als alles wieder nur mit neuen Schulden zuzukleistern. Das ist die Paartherapie des umsichtigen Finanz-Therapeuten. Er weiß, dass die notwendigen Kürzungen im Bundeshaushalt ganz konkret Schmerzen verursachen werden,  es seien „gegebenenfalls erhebliche politische und gesellschaftliche Widerstände von Interessengruppen“ zu erwarten. Deswegen seien pauschale Kürzung oder eine schrittweise Absenkung sämtlicher Subventionen sinnvoll. Auch der Geldsegen für alle, wie bei der Energiepreisbremse, sei nicht mehr verantwortbar.

Das Klein-Klein reicht nicht mehr. Deutschland steckt nicht nur außenpolitisch in einer „Zeitenwende“, sondern Wirtschaftsstandort und Wohlstand des Landes stehen auf dem Spiel. Es ist überhaupt nicht zu sehen, dass diese Regierung die Kraft hat für die Dimensionen dieser Krisensituation. Über das Agieren des Kanzlers lästern inzwischen mehr oder weniger laut viele Ministerpräsidenten aller Parteien.

„Wo ist der Kanzler?“ Das rufen Wirtschaftsverbände, Landesregierungen und Kommunen. Doch es bleibt stumm in der Berliner „Waschmaschine“. Man wünscht sich, dass im Kanzleramt der Geist des Bundesrechnungshofs erscheint. Kommenden Mittwoch berät das Kabinett in der siebten Etage über den Etat 2024. Entweder es gibt dann da einen Neustart der Ampelanlage, oder die Tage dieser Regierung sind vorzeitig gezählt.

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