Kindergrundsicherung - Der betreute Mensch als Leitbild grüner Familienpolitik

Die Grünen reden gern von Würde und Freiheit, trauen den Menschen im Land aber nicht über den Weg. Dem Ideal vom betreuten Untertan huldigt Familienministerin Lisa Paus auch bei der Kindergrundsicherung.

Leere Kinderschaukel / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die Grünen beschwören wie alle anderen Parteien den selbstständigen, mündigen Bürger. Dem trauen sie beispielsweise schon mit 14 Jahren zu, sein Geschlecht gegebenenfalls jährlich zu wechseln oder bereits mit 16 Jahren an Wahlen teilzunehmen. Im Übrigen gilt, was im grünen Grundsatzprogramm steht: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit.“ Soweit die Theorie. 

In der Praxis trauen die Grünen den Menschen aber nicht über den Weg. Ihre Politik orientieren sie nicht am selbstständigen, sondern am betreuten Menschen. Den Autofahrern werden die Fahrbahnen verengt und die Parkplätze weggenommen, um sie endlich aufs Fahrrad oder in die Bahn zu zwingen, in Kantinen wird größter Wert darauf gelegt, die Bockwurst durch Tofu-Schnitzel zu ersetzen, und staatliche Filmförderung wird nur bewilligt, wenn am Drehort der Altfaseranteil im Toilettenpapier hoch genug ist.

Dem Ideal vom betreuten Menschen – besser: vom Sozialstaats-Untertan – huldigt Familienministerin Lisa Paus bei der Kindergrundsicherung. Für „das größte sozialpolitische Reformprojekt der Ampel“ hat die Grüne lange Zeit keinen praktikablen Gesetzentwurf vorlegen können. Zudem konnte sie nie sagen, wie teuer ihr Prestigeprojekt werden soll. Zunächst hatte sie von 12 Milliarden Euro im Jahr gesprochen, dann war von drei bis vier Milliarden die Rede. Finanzminister Christian Lindner hat dann schließlich 2,4 Milliarden im Haushalt 2025 eingeplant. Zur „Strafe“ blockierte Paus im Kabinett Lindners Wachstumschancengesetz

5000 neue Stellen

Das Grundanliegen bei der Kindergrundsicherung ist zweifellos vernünftig: Das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag sollen gebündelt werden. So soll es den Anspruchsberechtigten leichter gemacht werden, die staatlichen Hilfen zu beantragen. Überdies könnte zugleich Bürokratie abgebaut werden. So weit, so gut. Das Problem ist nur, dass der Ministerin genau das nicht gelungen ist. Im Gegenteil: Für die Umsetzung ihrer Pläne will Paus eine neue große Behörde im Umfeld ihres Ministeriums mit rund 5000 Stellen schaffen. 
 

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Irgendwie scheint die Dame Humor zu haben. Die geplante Aufblähung des Staatsapparats durch einen neuen „Familienservice“ verteidigt sie als „Bürokratieentlastung für die Bürger“. Im Moment müssten diese „von Pontius zu Pilatus rennen“ und damit die „Bürokratielast“ tragen. Das soll künftig anders werden, wird es aber nicht. Sehr viele Familien, die aktuell von den Jobcentern im Rahmen des Bürgergelds unterstützt werden, müssen sich künftig zusätzlich an die neue Behörde wenden. 

Mit der „Bürokratieentlastung“ wird es also schon mal nichts. Paus ist immerhin auf dem besten Weg, dem grünen Ideal vom betreuten Menschen ein großes Stück näher zu kommen. Denn die Ministerin will nicht akzeptieren, dass Bürger staatliche Hilfen einfach nicht in Anspruch nehmen, sei es aus Unwissenheit, Faulheit oder Gleichgültigkeit. Deshalb soll es – dank der 5000 zusätzlichen Stellen – „von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“. Mit anderen Worten: Der Staat hat aus grüner Sicht die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Eltern zu ihrem finanziellen Glück zu zwingen.

Paus plädiert für den Nanny-Staat

Nun ist es in der Tat nicht einfach, sich im staatlichen Dickicht unterschiedlicher Sozialleistungen, die von verschiedenen Behörden bewilligt werden und für die jeweils unterschiedliche Bedingungen und Einkommensgrenzen gelten, zurechtzufinden. Dies gilt umso mehr für die große Zahl von Empfängern mit Migrationshintergrund, die selbst nach längerem Aufenthalt nur über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügen. Dies würde eine Grünen-Politikerin freilich nie zugeben. 

Naheliegend wäre deshalb, dass der Staat das System der Sozialleistungen vereinfacht, was in der Tat höchst schwierig ist und Paus hier definitiv nicht gelingt. Zudem könnte der Staat besser darüber informieren, auf welche Leistungen Bürger unter welchen Voraussetzungen einen Anspruch haben. Doch Paus plädiert stattdessen für den Nanny-Staat. Das Prinzip: „Du Bürger brauchst dir keine Gedanken zu machen oder dich gar selber zu informieren. Mutter Staat trägt dir das Geld hinterher.“ Deshalb jubelt die Familienministerin schon im Voraus: „Wir werden deutlich mehr Anträge als bisher haben.“

Ob Paus sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen wird, ist fraglich. Die FDP legt sich aus gutem Grund quer. Ihr Vorsitzender Lindner findet die Vorstellung, dass der Staat eine „Bringschuld“ bei Sozialleistungen habe, geradezu „verstörend“. Das sollte die Liberalen jedoch nicht überraschen. Dass Grüne und SPD zwei „Staatsparteien“ sind, haben sie seit Amtsantritt der Ampel hinlänglich bewiesen. Kindergrundsicherung à la Paus wäre ein weiterer großer Schritt zum Ideal des Sozialstaatsuntertanen – wenig geneigt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, aber dank staatlicher „Bringschuld“ gut versorgt.
 

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