Deutscher Katholikentag in Stuttgart - Heiliger Landesvater: Winfried Kretschmann als grüner Ersatzpapst

Cem Özdemir wünscht sich mehr Bibelkunde im Religionsunterricht und Winfried Kretschmanns Predigt wird bejubelt. Der am Sonntag zu Ende gehende Katholikentag in Stuttgart zeigt: Die Grünen sind der neue Werbepartner des deutschen Laienkatholizismus. Die CDU steht nur noch am Rande.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, beim Deutschen Katholikentag / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Früher war das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das den Katholikentag veranstaltet, eine Art Vorfeldorganisation der CDU. Heute rutschen nach und nach Grüne und SPD in diese Rolle. Doch trotz der neuen Liebe schafft es das ZdK nicht, das Event zum Leuchten zu bringen. Drastisch sinkende Teilnehmerzahlen, mitunter langweilige Diskussionsrunden und die gärende Kirchenkrise belasten die traditionsreiche Veranstaltung an diesem langen Wochenende in Stuttgart.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann brauchte nur wenige Sekunden, dann jubelte der Saal. „Katholisch sein heißt, sich für die ganze Welt einsetzen“, sagte er. „Deswegen sind hier alle irgendwie katholisch.“ Seine Ansprache beim Empfang der Grünen im Stuttgarter Stadtpalais mit Kirchenfunktionären und Politikprofis wird schnell zur Familienfeier. Man mag sich. Bundesminister Cem Özdemir erklärte noch launig, der Winfried mache selbst ihn kurzerhand noch katholisch. Und die Grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann, plädiert für mehr Frauenrechte in der Kirche. So war die Harmonie perfekt. Kretschmann wird zu einer Art grünem Ersatzpapst. Und die grüne Partei mutiert zu so etwas wie dem Werbepartner des deutschen Laienkatholizismus.

Die Liebe des ZdK zu den Grünen

Mit einem „zerschnittenen Tischtuch“ hat der frühere CSU-Kultusminister Hans Maier das Verhältnis von Grünen und Katholischer Kirche verglichen. Das ist lange her. Damals war Kohl noch Kanzler und Johannes Paul II. noch Papst. Maier war Präsident des ZdK. Heute heißt die Präsidentin Irme Stetter-Karp, sie ist noch weitgehend unbekannt, es gibt keine Tischtücher mehr und die Liebe des ZdK zu den Grünen könnte größer kaum sein.

An diesem Wochenende geht der 102. Katholikentag zu Ende. Das Treffen war früher einmal eine Leistungsschau der katholische Kirche in Deutschland. Diesmal hingegen fehlte es leider oft an Leistung und Schau – außer bei den Grünen. Besonders spannend war zu sehen, wer alles nicht kam. Es fehlten vor allem Besucher. Vor vier Jahren waren es in Münster noch 90.000 Teilnehmer, diesmal kamen nur rund 25.000. Aber mehr noch: Es fehlte die Kontroverse, es fehlte Debatte und Konflikt. Immerhin die Digitalisierung hat Einzug erhalten, die 150 Einzelveranstaltungen wurden gestreamt.

In allem einig

Die meisten Podien waren total konsensual besetzt. Man war sich einig in allem, in Kirchenkritik und Reformprojekten, in Klimaschutz und Ukrainesolidarität. Übrigens waren auch nur wenige Bischöfe vor Ort – und nur manchmal durften sie ans Mikro. Es gab immerhin zaghafte Versuche, die konfliktreichen Fragen um Putins Angriffskrieg, Waffenlieferungen und dem früher bejubelten jetzt diskreditierten Pazisfismus offen anzusprechen. Auch zeigte sich in kleinen Formaten die Bandbreite des Katholizismus auch mit Gästen aus aller Welt. Insgesamt aber muss man feststellen: Die katholische Kirche ist durchaus noch lebendiger und noch vielfältiger als das, was in Stuttgart geboten wurde.

Das Gegenstück zu Kretschmann war Norbert Lammert. Der frühere Präsident des Bundestages hielt eine gewohnt tiefgründige und feinsinnige Rede zur allgemeinen Lage. Der Applaus war höflich. Viel interessanter war aber auch hier, wer beim Empfang der CDU, ausgerichtet von der Konrad-Adenauer-Stiftung, alles nicht da war. Es fehlte der Parteivorsitzende Friedrich Merz genauso wie sein Generalsekretär Mario Czaja, beide katholisch. Von dem fünf Stellvertretern sind drei katholisch, an dem Abend war keiner da. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber war angereist, bestritt auch mehrere Veranstaltungen. Und mehr zwangsläufig traf auch CDU-Landeschef Thomas Strobl ein. 

Die CDU als ungeliebte Großtante

Die C-Partei, die einmal aus dem Mistbeet des politischen Katholizismus geboren wurde, steht in Stuttgart beim „katholischen Kirchentag“, wie gespottet wurde, am Rande wie die ungeliebte Urgroßtante. Es gibt keinen CDU-Politiker mehr, der sich mit dem Katholikentag wirklich identifiziert. Es gibt keine Annette Schavan mehr, keinen Bernhard Vogel, keinen Alois Glück. In Berlin wird gerade am neuen CDU-Grundsatzprogramm gearbeitet, verantwortet vom Carsten Linnemann, katholisch. An diesem Montag werden die „Grundwerte“ vorgestellt, weit weg vom Katholikentag. Irgendwie soll das Christliche noch vorkommen. 

Übrigens, der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert war beim Katholikentag zu einer Diskussionsrunde eingeladen worden, dagegen ist ja auch nichts zu sagen. Der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hatte auch einen bejubelten Auftritt, inklusive Dank an die Kirchen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dereinst SPD-Politiker, warb dafür, der Politik die eigenen Fehler zu verzeihen. Und aus der Nachbarschaft war auch noch die (katholische) SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer angereist. Sogar die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte in Stuttgart einen Auftritt.

Die Reise nach Stuttgart war wohl zu weit

Aber wieso war beim Katholikentag kein CDU-Politiker aus der ersten Reihe anwesend? Daniel Günther, Ministerpräsident in Kiel, ist sogar Mitglied im ZdK, aber die Reise nach Stuttgart war wohl zu weit. NRW-Regierungschef Hendrik Wüst, katholischer Münsterländer, blieb in Düsseldorf. Immerhin Andreas Jung saß auf zwei Podien, der noch ziemlich unbekannte Parteivize und Klimaexperte kommt halt aus Bawü. Genauso wie Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, er kaum auch vorbei. 

Es ist keineswegs so, dass Katholikentage überflüssig wären. Gerade in einer säkularen und entkirchlichten Gesellschaft ist ein sichtbares, selbstbewusstes und freundliches Auftreten einer immer noch großen und prägenden religiösen gesellschaftlichen Gruppe wichtiger und notwendiger als in den vergangenen Zeiten der kirchlich-christlichen Selbstverständlichkeiten. Dazu gehört die öffentlich demonstrierte religiöse Praxis, wie es die Gottesdienste in Stuttgart auch waren. Und es gehört dazu auch die gesellschaftspolitische Debatte. 

Fehlende Lust an der Kontroverse

Zum Christentum gehört das Politische wie das Göttliche zum Gebet. Aber warum um Himmelswillen bleiben die Organisatoren im Üblichen und Gewohnten stecken, warum sind sie, was die Lust an Streit und Kontroverse angeht – entgegen allen Bekundungen – so zaghaft? Und warum sind sie so langweilig bei der Themenauswahl und Gestaltung? Selbst zum brisanten wie aktuellen Problem der Sterbehilfe gibt es nicht eine politische Debatte, nur ein ehrenwertes Theologengespräch am Samstagnachmittag.

Cem Özdemir wurde übrigens von seiner türkischen Mutter in den evangelischen Religionsunterricht geschickt, wie er am Katholikentags-Abend beichtete. Damals habe es noch keinen islamischen Religionsunterricht gegeben, „weil es damals noch keinen Winfried Kretschmann gab“, lobte der Minister seinen Landesvater. Im Religionsunterricht aber sei er immerfort mit den Themen Drogen, Sexualkunde und Sekten traktiert worden. Schrecklich. Er aber hätte gerne etwas über den Pentateuch und die Evangelien erfahren. Mehr Bibel, mehr Spiritualität, sagt Özdemir. Applaus! So hübsch können das nur noch Grüne sagen. 

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