Geplante Legalisierung der Abtreibung - „Auch der Embryo hat Menschenwürde“

Eine Regierungskommission will Abtreibung legalisieren. Katharina von Falkenhayn hält dagegen. Man helfe den Frauen nicht, wenn man den Ungeborenen ihr Menschsein abspricht, so die Landesvorsitzende der Beratungseinrichtung „Donum Vitae“.

Ein Embryo im Ultraschall. Auch die medizinische Entwicklung verändert den Blick auf das Ungeborene / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Katharina von Falkenhayn ist promovierte Philosophin und Betriebswirtin. Seit 2017 ist sie ehrenamtliche Landesvorsitzende der Schwangerenberatung „Donum Vitae Berlin-Brandenburg e.V“. 

Frau von Falkenhayn, die von der Regierung beauftragte Gutachter-Kommission empfiehlt, Abtreibung nicht mehr im Strafrecht zu regeln und bis zur zwölften Schwangerschaftswoche zu legalisieren. Wie bewerten Sie den Vorschlag aus Ihrer Arbeit heraus?

Die Einseitigkeit des Vorschlags der Kommission erstaunt. Die Perspektive des Ungeborenen kommt viel zu kurz. Die Beschäftigung mit der Frage nach dem Menschsein des Ungeborenen in allen Phasen seiner Entwicklung und seines daraus folgenden Anspruchs auf Achtung seiner Menschenwürde ist entscheidend. Denn gerade das ist ja der Kern der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Grund für die Regelung im Strafgesetzbuch. Soweit die Gutachterkommission den Schwangerschaftsabbruch liberalisieren möchte, setzt sie voraus, dass es sich bei dem Embryo nicht um einen Menschen mit allen Rechten, sondern um etwas anderes handele, das sich erst zu einem Menschen entwickele. Wer dies vertritt, muss gut darlegen, ab welcher Entwicklungsstufe das Ungeborene zum „richtigen“ Menschen wird und warum genau dann.

Die Gutachter gehen von der Kategorie der Lebensfähigkeit aus. Ist das für Sie akzeptabel?

Nein, ich sehe das kritisch. Den Beginn des Menschseins an Eigenschaften zu knüpfen, beispielsweise die Fähigkeit, außerhalb des Mutterleibes zu überleben, ist willkürlich. Es verkennt, dass sich diese Grenze mit dem medizinischen Fortschritt weiter nach vorne verlagern wird. Aber es verkennt auch: Selbstständig leben zu können, macht den Menschen nicht zum Menschen. Denn es gibt immer Umstände, in denen Menschen auf andere oder auf Maschinen angewiesen sind, um zu überleben. Menschsein und die Menschenwürde bestehen absolut und unabhängig von den jeweiligen Eigenschaften, dem Kontext und auch dem Zeitgeist. Nach der Karlsruher Rechtsprechung beginnt das Menschsein mit dem Verschmelzen von Ei- und Samenzelle, spätestens mit der Nidation. Ab diesem Zeitpunkt, der sogenannten Individuation, entwickelt sich der Mensch als Mensch und nicht zum Menschen.

Katharina von Falkenhayn / privat

Die Beratungsstellen von Donum Vitae stellen den Beratungsschein aus, mit dem straffreie Abtreibungen möglich sind. Welche Erfahrungen machen Sie in der Praxis? Ist die Pflichtberatung für die Frauen eine Belastung?

Die meisten Frauen sind froh, in einem geschützten Raum ohne Druck und gegebenenfalls auch unabhängig von ihrem Partner über ihre Sorgen und Ängste sprechen zu können. Selbst wenn eine Frau zu Beginn skeptisch in die Beratung kommt, erlebt sie die Beratung meistens als Stärkung. Die Beraterinnen und Berater von Donum Vitae e.V. nehmen sich Zeit und hören zu, geben Informationen und helfen ihr, zu einer für sie richtigen Entscheidung zu kommen. Eine Entscheidung, mit der sie gut leben kann. Die Frau kann bei uns erstmal durchatmen, sich sortieren und ihre Ressourcen abklopfen sowie alles über die unterschiedlichen staatlichen und rechtlichen Unterstützungsmöglichkeiten erfahren. Pro Termin nehmen sich unsere Beraterinnen und Berater 90 Minuten Zeit. Die Frau kann aber jederzeit wiederkommen. Egal wie sie sich entscheidet, wir sind für sie da – auch nach einem Abbruch.

Kritiker sagen, Frauen würden kriminalisiert. Was ist Ihrer Meinung nach der Wert der aktuellen Regelung?

Aus unserer Sicht hat sich die aktuelle gesetzliche Regelung in der Praxis bewährt und trägt beiden Schutzgütern, der Würde des Ungeborenen und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, Rechnung. Das heißt: Die Vorschriften zur Beratung sollten sowohl in Paragraf 219 Strafgesetzbuch als auch im Schwangerschaftskonfliktgesetz beibehalten werden. Sie regeln die ergebnisoffene Beratung. Dabei geht es nicht nur, aber eben auch darum, dass sich die Frau bewusst ist, dass es sich bei dem Embryo nicht um bloßes Schwangerschaftsgewebe, sondern um einen Menschen handelt. Ein Mensch, der ebenso wie sie eine Würde hat – und grundsätzlich auch ein Recht zu leben.

Dem eigenen Recht auf Leben des Embryos steht aber das Selbstbestimmungsrecht der Frau entgegen. Wird dieses nicht beschnitten?

Es geht um eine schwierige Güterabwägung. Nach unserer Rechtsordnung kommt daher ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht. In der Beratung erfährt insofern nicht nur die Frau Raum und Anerkennung, sondern auch das ungeborene Kind. Es wird als Subjekt sichtbar. Das mag vielleicht mancher in der politischen Debatte als Zumutung empfinden. Wer das Selbstbestimmungsrecht der Frau aber ernst nimmt, dem kann nicht daran gelegen sein, den Frauen den Konflikt kleinzureden. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird nicht gestärkt, wenn wir als Gesellschaft dem Embryo sein Menschsein und seine Menschenwürde absprechen. Die Selbstbestimmung wird vielmehr gestärkt, wenn die Frau einen geschützten Raum hat, sich mit der Situation in aller Klarheit auseinanderzusetzen, und dann zu einer abgewogenen Entscheidung kommt, die alle Aspekte einbezieht. Ihre Entscheidung zu respektieren, gebietet wiederum ihre Menschenwürde. Die Frau zu bevormunden oder gar zu stigmatisieren, verbietet sich dagegen.

Ließe sich Beratung nicht auch ohne Strafandrohung organisieren?  

Das sogenannte Untermaßverbot, welches das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung explizit betont, erfordert, dass der Schutz der höchsten Rechtsgüter, wie der Schutz von Leben und Menschenwürde, nicht in Nebengesetzen geregelt wird. Da es sich bei dem Ungeborenen in jeder Schwangerschaftsphase um einen Menschen handelt, hat sich der Gesetzgeber vor 30 Jahren bewusst entschieden, die aktuelle Regelung zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch zu verankern. Das Strafgesetzbuch ist der Ort, an dem der Gesetzgeber die wesentlichen Normen zum Schutz der wichtigsten Rechtsgüter seiner Bürgerinnen und Bürger versammelt. 

 

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Nach welcher Grundlage beraten Sie die Frauen? Wollen Sie sie von der Abtreibung abhalten?

Wir beraten gemäß dem gesetzlichen Auftrag und stellen auf Wunsch der Frau einen Nachweis nach Paragraf 219 StGB aus, der Voraussetzung für einen Abbruch ist. Unsere Beratung ist kostenlos, vertraulich, auf Wunsch auch anonym und ergebnisoffen. Sie ist geprägt von der „doppelten Anwaltschaft“. Wir sind davon überzeugt, dass jeder Mensch ein Geschenk ist. Ein Kind kann aber niemals ohne die Schwangere, sondern nur mit ihr geschützt werden. Sie zu stärken und Perspektiven mit einem Kind aufzuzeigen, ist die Aufgabe unserer Gesellschaft, nicht, sie zu bevormunden oder unter Druck zu setzen. Es ist und bleibt die selbstbestimmte Entscheidung der Frau, die zu respektieren ist. Die Beraterinnen und Berater bei Donum Vitae e.V. begegnen den Ratsuchenden mit Empathie, Wertschätzung und Respekt. 

Es gibt einen Trend zur Liberalisierung von Abtreibung, siehe Frankreich. Was spricht Ihrer Meinung nach dagegen?

Ich kenne die verfassungsrechtliche Logik des französischen Abtreibungsrechts nicht. Aber ich denke, dass wir in Deutschland mit der derzeitigen Regelung die bestmögliche haben. Wir werden damit beiden Menschenwürdeträgern in diesem Konflikt gerecht: der Frau und dem ungeborenen Kind. 

Nehmen Sie in den Beratungsgesprächen wahr, dass Schwangerschaftsabbruch als zunehmend weniger problematisch gesehen wird, oder nicht?

Die Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs ist höchst individuell. Manchmal kommen Probleme erst Jahre nach dem Abbruch hoch. Manche Frauen haben gar keine Probleme. In jedem Fall hilft es, wenn man sich nicht überstürzt für einen Abbruch entschieden hat, sondern auch Jahre später noch nachvollziehen kann, warum.

Was empfehlen Sie der Politik, wie sollte sie mit den Ergebnissen des Gutachtens umgehen?

Wir empfehlen, den gesellschaftlichen Konsens nicht aufzulösen. Wir haben in Deutschland eine Lösung gefunden, die beide Menschenwürdeträger, die Schwangere und das Ungeborene, im Blick behält. Die aktuelle Regelung sollte beibehalten werden. 

Das Gespräch führte Volker Resing.

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