Laut dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll der Ausstieg aus der Braunkohle „idealerweise“ bereits bis zum Jahr 2030 realisiert werden, während der „Kohlekompromiss“ der alten Bundesregierung noch 2038 als Deadline für die Kohle festgelegt hatte. Mit milliardenschweren Subventionen soll der damit besonders in einigen ostdeutschen Bundesländern, aber auch im Rheinland einhergehende Strukturwandel abgepuffert werden, etwa durch Infrastrukturprogramme und die Ansiedlung neuer, zukunftsträchtiger Betriebe. Alleine in der Lausitz hängen derzeit noch 16.000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle.
„Rückholaktion“ für die Braunkohle.
Doch dieser Zeitplan dürfte vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der dramatischen Energiekrise in Deutschland und einigen Nachbarstaaten bereits Makulatur sein, denn bei vielen Kraftwerken, die sich derzeit im Bereitschaftsstatus befinden, geht es nicht mehr um das Abschalten, sondern um die Reaktivierung des Netzbetriebes. Eine entsprechende „Rückholaktion“ hatte der Bundestag bereits im Juli beschlossen, im Oktober sollen unter anderem die dem Energiekonzern RWE gehörenden Kraftwerksblöcke Neurath C und die Kraftwerksblöcke E und F in Niederaußem wieder Strom liefern. Planmäßig sollten die beiden Blöcke eigentlich Ende September stillgelegt werden. Auch zwei Blöcke des Kraftwerks Jänschwalde in Brandenburg sollen im Herbst wieder mit 1000 Megawatt auf den Markt kommen. Dabei sind allerdings viele Probleme noch nicht gelöst. So fehlt es an den meisten Standorten an Fachkräften, da diese bereits teilweise in den Vorruhestand verabschiedet wurden oder sich in Umschulungen für neue Jobs befindet, etwa beim geplanten großen Bahn-Instandsetzungswerk in Cottbus
Zweifel an der Versorgungssicherheit
Vor diesem Hintergrund trafen sich am Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz und der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Braunkohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Michael Kretschmer, Reiner Haselhoff (beide CDU) und Dietmar Woidke (SPD). Diese sehen sich in ihrer Skepsis gegenüber einem schnellen Braunkohleausstieg bestätigt. Woidke bezeichnet das Vorhaben, abgeschaltete Kohlekraftwerke wieder anzufahren, als „richtigen Schritt“. Man müsse jetzt alles dafür tun, um sicher durch den Winter zu kommen. Man brauche vor allem für die kommenden Monate, vielleicht sogar Jahre, Sicherheit in der Energieversorgung, so Woidke. Es müsse „in jeder Ecke Deutschlands Strom da sein – auch, wenn es dunkel ist und der Wind nicht weht.“ , so Woidke am Freitag im rbb. Da werde die Kohle für die kommenden Jahre eine Rolle spielen. Es gelte daran zu arbeiten, „dass die erneuerbaren Energien zuverlässige Energien werden, um dann Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke in vielleicht zehn, zwölf, fünfzehn Jahren vollständig ersetzen zu können."
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Energiepolitik aus Absurdistan
Dass klingt nach nicht weniger, als einem Abgesang auf den vereinbarten Kohleausstieg. Doch das ist nur eine Facette einer Energiepolitik, die längst Züge eines Stückes aus Absurdistan angenommen hat.
Man bettelt bei Autokraten aller Couleur um ein paar Eimer Flüssiggas (die – wenn überhaupt – frühestens 2025 geliefert werden könnten). Man kauft teuren Diesel aus Indien, der dort aus billigem russischen Erdöl raffiniert wurde. Oder teures Öl aus Saudi-Arabien, während dort die einheimische Stromversorgung mit billigem russischen Öl betrieben wird. Bei der „Energiewende“ wurde der Rückwärtsgang eingelegt. Stein- und Braunkohle erleben eine Renaissance, es wird langfristig auf teures Fracking-Gas aus den USA gesetzt, während hierzulande rund 6 Millionen Terawattstunden Solarstrom (entspricht dem Bedarf von rund 2,5 Millionen Haushalten) pro Jahr ungenutzt abgeregelt werden, weil es an Netz- und Speicherkapazitäten fehlt. Die Produzenten erhalten den Strom dennoch vergütet, die Zeche zahlen alle Stromkunden. Ähnliches gilt für die Windkraft.
Trotz Gasknappheit und ungewissen Liefermengen in den kommenden Monaten wird Erdgas für den Export nach Frankreich verstromt, um den Nachbarn aus der Klemme mit ihren derzeit nicht betriebsfähigen AKW zu helfen. Und beim Öl-Embargo gegen Russland geht Deutschland noch weit über die Beschlüsse der EU hinaus und will ab Januar den Import von russischem Erdöl über die Drushba-Pipeline in der Raffinerie Schwedt (Brandenburg) stoppen, was sowohl die Kraftstoffversorgung in der Region, als auch die Zukunft dieses für die Uckermark besonders wichtigen Betriebs gefährdet. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Optimistischer Bundeskanzler
Doch beim heutigen Treffen des Bundeskanzlers mit den ostdeutschen Spitzenpolitiker ging vor allem um Schadensbegrenzung und Vertrauensbildung, denn die Verunsicherung der Bevölkerung in den betroffenen Regionen wächst rasant, und die Zustimmung zur Sanktionspolitik der Bundesregierung schwindet. Doch über Allgemeinplätze kam der Bundeskanzler nach den Gesprächen nicht hinaus. Es sei von größter Bedeutung, „dass das Versprechen, das unser ganze Land, aber auch die Regierungschefs der Länder gegeben haben, auch wirklich umgesetzt wird”. Vor allem komme es auf gute, sichere Arbeitsplätze in den Strukturwandelregionen auch in den kommenden Jahren an. Deshalb sei auf einen rechtzeitigen Beginn des Strukturwandels geachtet worden. „Das gelingt, kann man sagen”, sagte Scholz. An diesen Worten wird er gemessen werden.