Jugendorganisation der AfD klagt gegen Verfassungsschutz - Thomas Haldenwang macht vorerst einen Rückzieher

Die Jugendorganisation der AfD klagt gegen den Verfassungsschutz, weil der sie als „erwiesen extremistisch“ einstuft. In der Tat ist die Begründung der Haldenwang-Behörde für diese Einstufung fragwürdig.

Hinweise auf der Internetseite gelöscht: Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Als „ersten Sieg“ bezeichnet es der Bundesvorsitzende der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA), Hannes Gnauck, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Rückzieher gemacht hat. Anlass ist eine Klageschrift vom 12. Juni 2023 gegen den Verfassungsschutz. Die JA geht damit gegen die Einstufung der Organisation als „erwiesen extremistisch“ vor.

Im Rahmen eines Eilverfahrens hat die Behörde von Thomas Haldenwang sich nun verpflichtet, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Organisation „einstweilen weiterhin lediglich als Verdachtsfall“ zu behandeln. Gegenteilige Hinweise auf den Internetseiten des Verfassungsschutzes wurden bereits getilgt.

Als einen „ersten Sieg“ wird man den Vorgang allerdings kaum bewerten können. Nach Auskunft des Pressesprechers des Verwaltungsgerichtes Köln habe das Gericht „keinerlei rechtlichen Hinweis“ an das Bundesamt erteilt. Es handelte freiwillig, kam damit aber möglicherweise einer gerichtlichen Anordnung zuvor. Alles in allem ein ziemlich gewöhnlicher Vorgang also.

Der casus belli

Im Kern geht es in dem Verfahren vor allem um den „ethnischen Volksbegriff“. Auslöser hierfür ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die NPD aus dem Jahre 2017. Tatsächlich hatte dieses es für letztlich erwiesen erklärt, dass die NPD eine rechtsextremistische Partei ist und dies auch mit deren „ethnischem Volksbegriff“ begründet. Aber dem Gericht ging es dabei erkennbar nicht um den Begriff als solchen, sondern darum, wofür dieser Verwendung findet.

 

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Das Gericht warf der NPD vor, den Status der Staatsbürgerschaft und damit Rechtsgleichheit nur auf jene Menschen beschränken zu wollen, die „deutscher Abstammung“ seien. Das allerdings hätte zur Folge, deutschen Staatsbürgern „nicht-deutscher Abstammung“ die Staatsbürgerschaft zu entziehen – was gemäß Artikel 16 Grundgesetz unzulässig ist. Verfassungswidrig ist ein ethnischer Volksbegriff also dann und nur dann, wenn dieser genutzt wird, um daraus nahtlos ein Staatsvolk zu konstruieren und deshalb zu ungerechtfertigten rechtlichen Diskriminierungen zu greifen. Dies, so das Gericht damals, verstoße gegen das Prinzip der Menschenwürde.

Bundesregierung schützt „ethnokulturelle Identität“

Die Übertragung dieser Argumentationslogik auf die JA ist also nur möglich, wenn es dem Verfassungsschutz gelingt, genau denselben Sachverhalt auch für die Jugendorganisation der AfD geltend zu machen. Das scheint keinesfalls ausgemacht. Zumindest ist die offiziell verlautbarte Argumentation hierfür äußerst dünn. Als das Bundesamt für Verfassungsschutz die JA im Jahr 2020 erstmals als „Verdachtsfall“ einstufte und sie im Verfassungsschutzbericht 2019 erwähnte, geschah dies fast ausschließlich mit folgendem Argument: „Die Ideologie der JA ist durch einen ethnisch-kulturell geprägten Volksbegriff bestimmt, der im Widerspruch zur Offenheit des Staatsvolkverständnisses des Grundgesetzes steht.“

Daraus allerdings wird nicht klar, ob der JA bereits vorgeworfen wird, überhaupt einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ zu verwenden – oder ob es um dessen hermetische Verknüpfung mit dem Staatsvolksbegriff geht. Wäre ersteres der Fall, entbehrte das nicht einer gewissen Komik. Selbst das Bundesinnenministerium zählt zu seinen Leitlinien für die Minderheitenpolitik „Erhalt und Weiterentwicklung der ethnokulturellen Identität“ der Auslandsdeutschen und gibt hierfür jährlich Millionenbeträge aus. Der Klageschrift gegen das Bundesamt jedenfalls ist zu entnehmen, „dass der von der Beklagten behauptete und stetig wiederholte Volksbegriff nicht mit dem Tatsächlichen übereinstimmt“.

Worauf genau sich der Verfassungsschutz bei seiner Argumentation stützt, ist nicht einmal der JA bisher vollumfänglich bekannt. Wenn die Behörde Maßnahmen ergreift, tut sie dies ohne Anhörung der Betroffenen und gewährt diesen auch keinen Einblick in die Akten. Dies ist vielmehr erst im Rahmen eines Klageverfahrens möglich. Erst im Laufe der nächsten Monate wird sich somit zeigen, worauf sich der Verfassungsschutz stützt und ob diese Belege vor Gericht standhalten werden.

Korrektur historischer Dokumente

Zum Vorgang selbst will sich der Verfassungsschutz „aus Respekt vor dem Gericht“ nicht äußern. Das trifft sogar auf die Frage zu, warum die Behörde auf ihren Internetseiten die entsprechenden Tilgungen nicht transparent macht. Zu den überarbeiteten Dokumenten gehört dabei sogar das Manuskript einer Rede des Behördenchefs Haldenwang vom 22. Mai 2023, in der er die Hochstufung der JA zur „erwiesen extremistischen“ Organisation verkündete.

Auch dort sind, wie vom Verfassungsschutz gegenüber dem Gericht angekündigt, entsprechende Behauptungen getilgt – aber ohne die Öffentlichkeit über den nachträglichen Eingriff in das Manuskript überhaupt zu informieren. Im Grunde kommt das somit der Fälschung eines historischen Dokumentes gleich. Der Originalfassung war noch gestern die Bemerkung vorangestellt „Es gilt das gesprochene Wort!“. Auch dieser Hinweis wurde nun vorsorglich getilgt. Transparente Öffentlichkeitsarbeit geht anders.

Anmerkung der Redaktion: Kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels vermerkte der VS im Vorspann der Rede Thomas Haldenwangs plötzlich, dass diese Rede "gekürzt" sei. Um welche Kürzung es sich aus welchen Gründen handelt, bleibt dabei weiter im Verborgenen.

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