Holger Zastrow über seinen FDP-Austritt - „Wir haben unsere Seele verkauft“

Der langjährige sächsische Landesvorsitzende Holger Zastrow tritt aus der FDP aus. Im Interview spricht er über die Ampelkoalition als historischen Fehler, Lindners Rede auf der Bauerndemonstration und den Zeitgeist-Opportunismus der Freidemokraten.

Seele verkauft? FDP-Chef Christian Lindner / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Holger Zastrow ist Unternehmer und war bis 2019 Landesvorsitzender der FDP in Sachsen. Von 2004 bis 2014 führte er zudem die FDP-Fraktion im sächsischen Landtag an.

Herr Zastrow, am Dienstag sind Sie aus der FDP ausgetreten. In Ihrer Austrittserklärung schreiben Sie, dass Linders Rede auf den Bauernprotesten der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Was hat Ihnen an seiner Rede derart missfallen?

Ich war entsetzt als ich die Rede auf den Bauernprotesten gehört habe. Denn eines dürfen wir doch nicht vergessen: Der Parteivorsitzende hat dort in Berlin nicht vor unseren Feinden gesprochen, sondern vor unseren Leuten. Da waren viele Unternehmer und ihre Mitarbeiter, die täglich hart für ihren Betrieb arbeiten und Steuern zahlen. Ich kenne aus meinem Bekanntenkreis viele Landwirte, Handwerker und Gastronomen, die sich durch die FDP massiv im Stich gelassen fühlen. Wir verlieren den Mittelstand.

Christian Lindner hätte auf dem Podium verkünden müssen, dass die Ampel-Entscheidung der Dieselrückvergütung zurückgenommen wird. Danach hätte er seine Rede als Anlass nehmen können, eine Entbürokratisierungsoffensive für die Landwirte zu versprechen. Erst den Fehler korrigieren, dann nach vorne schauen! Die FDP hat ihre DNA verloren, wenn sie nicht mehr auf der Seite des Mittelstandes und der Leistungsträger unserer Gesellschaft steht.

Auch haben Sie die Ampelkoalition in Ihrer Austrittserklärung als „historischen Fehler“ bezeichnet. Hat die FDP Ihre politische Identität in der Ampelkoalition aufgegeben?

Die FDP hätte niemals in die Ampelkoalition eintreten dürfen. Die Grünen stehen in vielen Punkten für all das, was uns als überzeugten Liberalen zutiefst zuwider ist. Wir haben durch diese Entscheidung unsere eigenen Grundüberzeugungen verraten. Unser Mitmachen ermöglicht sogar erst die ideologische Politik der Grünen, die für den Wohlstand unseres Landes hochgefährlich ist. Ich glaube, wir haben unsere Seele verkauft.
 

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Harte Worte.

Ich stelle nicht in Abrede, dass die Bundestagsfraktion und die FDP-geführten Ministerien fleißige Arbeit leisten. Doch welche Partei wird schon aus Leidenschaft gewählt, die sich nur darauf beschränkt, „Worst-Case Szenarien“ zu verhindern? Wir tolerieren zu oft die immer schlimmer werdende Bevormundung und Gängelei der Bürger, und schauen weg, wenn die Grünen uns umerziehen wollen. Wo ist der Stolz der FDP geblieben und wo unser glühender Kampf zur Verteidigung der Freiheit?

Welche politischen Maßnahmen hätte die FDP in der Ampel nicht mittragen dürfen, da sie liberalen Grundüberzeugungen widersprechen?

Ich habe die FDP immer als die Partei der Vernunft gesehen, die für die Mitte der Gesellschaft da ist. Zurzeit erleben viele Menschen, dass ihr hart erarbeitetes Geld beispielsweise durch Inflation und hohe Energiepreise wegschmilzt. Dafür ist selbstverständlich nicht allein die „Ampel“ verantwortlich. Auch der russische Überfall auf die Ukraine spielt eine Rolle.

Doch wie man in einer solch schwierigen Lage die restlich verbleibenden Kernkraftwerke vom Netz nehmen und dieses Heizungsgesetz auf den Weg bringen kann, erschließt sich mir beim besten Willen nicht. Das ist bürgerfeindliche Politik, die gegen die Interessen der Mehrheit gerichtet ist und von der FDP hätte aufgehalten werden müssen.

Müsste die FDP nun aus der Ampelkoalition austreten, um ihre politische Glaubwürdigkeit zu retten?

Das Kind ist mittlerweile wohl in den Brunnen gefallen. Die FDP hat mit der Beteiligung an der Ampel viele überzeugte Liberale vor den Kopf gestoßen. Leider fürchte ich, dass dieser Vertrauensverlust nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Lindner selbst sagte beim Scheitern der Jamaika-Koalition „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Wenn er diese Worte ernst nehmen würde, hätte die FDP die Reißleine ziehen müssen, um die eigene politische Würde zu bewahren.

Warum klammert sich die FDP-Führungsriege derart an die Ampelkoalition?

Es ist das Prinzip Hoffnung. In allen Parteien gibt es zu viele Abgeordnete, die sich an ihr Mandat klammern. Die Wahl zum Bundestagsabgeordneten bedeutet für viele Menschen einen ungemeinen sozialen Aufstieg. Das birgt die große Gefahr, dass das Abgeordneten-Dasein als ein klassischer Beruf missverstanden wird, was Opportunismus den Weg ebnet. Ja, es mag zugespitzt sein, aber das Berufspolitikertum ist wie ein Krebs für die Demokratie und das freie Mandat. Der mit dem Berufspolitikertum einhergehende Mangel an Berufen und Lebensläufen sorgt zudem für einen großen Repräsentativitätsverlust. 

Unsere Parlamente spiegeln die Vielfalt der Gesellschaft und die Lebenswirklichkeit längst nicht mehr wider. Die Parteien stört das aber nicht. Wir brauchen in unseren Parlamenten aber unabhängige und kritische Abgeordnete, die reichlich berufliche Erfahrung mitbringen, ein festes Standbein neben ihrer politischen Tätigkeit haben und sozial unabhängig sind. Als ich Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion war, gehörte es immer zu unserem Credo, seinen Beruf möglichst weiter fortzusetzen. Mir war es ausgesprochen wichtig, meinen Job als Unternehmer nicht an den Nagel hängen zu müssen. Doch dieses Selbstverständnis gibt es in der jüngeren Politikergeneration kaum noch.

In einer Mitgliederbefragung um den Verbleib in der Ampel kam es mit 52 Prozent zu einem hauchzarten Sieg für die Befürworter einer Fortsetzung der Regierungskoalition. Sicherlich kein Befreiungsschlag für die Parteiführung. Lindner hat dies dennoch als Erfolg und Bestätigung seiner Politik verkaufen wollen. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Die Befragung war der Führung offenbar sehr lästig. Nicht umsonst hieß es sofort aus Berlin, dass man unabhängig vom Ergebnis sowieso in der Ampel bliebe. Alle Funktionäre vertraten unisono diese Position. Für die Befragung wurde kaum geworben und die Wahl wurde zeitlich ungünstig zwischen den Jahren abgehalten. Eine offene Debatte gab es quasi nicht. Dass hinterher noch versucht wurde, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen, war sehr irritierend. Die Wahlbeteiligung war ja sehr gering und deutet eher auf eine gewisse Resignation in der Basis denn auf ein klares Votum hin.

Holger Zastrow / dpa

Was waren die Gründe, warum Sie einst in die FDP eingetreten sind?

Es gibt ein Wort, das in meinem Leben schon immer die größte Bedeutung hatte: Freiheit. Ich war 20 Jahre alt, als die eigenen Bürger ihr Regime im Jahr 1989 zum Teufel jagten. Damals bin ich mit auf die Straße gegangen, war Anfang Oktober 89 dabei, als in Dresden die Steine flogen. Ich wollte endlich ohne Wenn und Aber sagen dürfen, was ich wollte, ohne dafür sanktioniert zu werden. Das ist Teil meiner Familiengeschichte: Mein Vater war der einzige parteilose Schulleiter in ganz Dresden. Eine mutige Entscheidung, die auch mit Konsequenzen verbunden war. Für mich stand die FDP für all das, wonach ich mich in der DDR immer gesehnt hatte. 1993 bin ich schließlich in die Partei eingetreten.

Wie hat sich die FDP seither verändert?

Die FDP hat sich verändert, leider auch zu ihren Ungunsten. Sie hat sich immer mehr von der echten Mitte der Bevölkerung entfremdet und zunehmend Politik für exklusive Bevölkerungsschichten gemacht. Wir kümmern uns um alles mögliche, empfinden große Freude bei der Befassung mit Nischenthemen und opfern uns dem Zeitgeist. Dabei vergessen wir unseren Markenkern und diejenigen, für die wir eigentlich in den Parlamenten sitzen. 

Haben Sie schon Reaktionen von ehemaligen Parteifreunden auf Ihren Austritt aus der FDP bekommen?

Mein Postfach ist voll – ich war überwältigt über die Zustimmung, die ich in den letzten Tagen erfahren habe. In meinem Leben habe ich als Vorsitzender der sächsischen FDP wichtige Wahlen gewonnen und verloren, aber diese Dimension habe ich noch nicht erlebt. Meine Austrittserklärung ist auf X mit einer Reichweite von weit über eine halbe Millionen Menschen viral gegangen. Anscheinend habe ich mit meiner Kritik einen Nerv getroffen.

Können Sie sich vorstellen, in eine andere Partei einzutreten?

Nein, im Moment nicht. Ich habe tatsächlich Aufforderungen von der Wagenknecht-Partei bis zur Werteunion bekommen, was recht skurril ist. Ich sehe zurzeit keine Partei, die meine Vorstellung von Liberalität teilt. Ich glaube übrigens, dass das ganz vielen Menschen so geht. Wer dieser Tage freiheitlich und liberal ist, ist politisch heimatlos geworden.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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