Eritreer-Gewalt in Stuttgart - Afrikanische Konflikte auf unseren Straßen

Wieder einmal kam es am Wochenende zu Gewalt im Umfeld eines Eritrea-Festivals. Und erneut wurden Rufe laut, solche Festivals zu verbieten. Aber die Veranstalter sind nicht die Schuldigen.

Von der Polizei sichergestellte Stöcke und Latten, die die Gewalttäter mit sich führten / dpa
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Autoreninfo

Alfred Schlicht ist promovierter Orientalist und pensionierter Diplomat. 2008 erschien sein Buch „Die Araber und Europa“. Sein Buch „Das Horn von Afrika“ erschien 2021, beide im Kohlhammer-Verlag.

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Am vergangenen Samstag wiederholte sich in Stuttgart ein Szenario, das im Juli bereits im hessischen Gießen stattgefunden hatte. Eine von eritreischen Vereinen organisierte Veranstaltung führte zu Gewaltaktionen anderer, „oppositioneller“ Eritreer. Gewalttäter reisten aus anderen Städten oder gar aus dem Ausland an (über 60 kamen aus der Schweiz nach Stuttgart, wer die Anreise bezahlt, bleibt ungewiss. Die medizinischen Folgekosten für die vielen Verletzten zahlt die Solidargemeinschaft). 

Nach Gießen waren Stockholm, Seattle, Toronto und Tel Aviv Schauplätze brutaler Gewalt geworden. Dabei bedienen sich die Gewalttäter immer desselben Narrativs. Die Festivals, die sie stören und auf denen sie Terror unter (wirklichen oder vermeintlichen) Teilnehmern verbreiten, seien Veranstaltungen des Regimes in Asmara und hätten den Zweck, dieses Regime zu unterstützen und zu stärken. Dagegen wollen die Regimegegner vorgehen. Ihre Absicht ist jedoch nicht, wie bei all diesen Vorfällen deutlich wurde, friedlich gegen die Regierung von Eritrea zu demonstrieren, sachliche Forderungen aufzustellen und den eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Ihnen geht es nur um brutale Gewalt. 

Weltweite Gewaltexzesse

In Rechtsstaaten wie beispielsweise Deutschland, Schweden oder Kanada entscheiden Behörden und Gerichte, ob eine Veranstaltung stattfinden darf oder nicht, ob sie unserem Recht entspricht oder eben widerspricht. Nicht brutale Schlägertypen und der Gewaltmob entscheiden solche Fragen. Die Argumente der Steinewerfer und Holzlattenschwinger, man müsse sich gegen ein Unrechtsregime wehren, werden unglaubwürdig, wenn sie zeigen, dass ihre Ansichten, ihr Verhalten und ihre Methoden nicht kompatibel mit dem Rechtsstaat sind, in dem wir ihnen großzügig Asyl und materielle Unterstützung gewährt haben. Und wenn Menschen, die die Staatsangehörigkeit ihrer Gastländer erhalten haben oder hier geboren sind, an solchen Gewaltexzessen teilnehmen, zeigt dies, dass sie hier eben nicht wirklich angekommen sind und das Wesen unseres Rechtsstaates nicht verstanden haben. 

Eingeprägt haben sich Bilder im Netz von einem alten Mann, der von jungen Leuten auf offener Straße aufgehalten und angepöbelt wurde mit provozierenden Fragen, ob er zum Festival wolle. Wollen wir die Straßen in unserem Land solchen Verbrechertypen überlassen? 

Tigray oder Eritrea? 

Die „Nachbesprechung“ der Gewaltexzesse in Gießen hatte ausgerechnet im Restaurant ‚Tigray’ in Frankfurt stattgefunden. Dies stützt die These, Rädelsführer der Ausschreitungen sei die TPLF, die Befreiungsfront von Tigray, deren rücksichtsloser Aufstand in Äthiopien gescheitert war. Sie sprechen Tigrinya, die gleiche Sprache, die auch in Eritrea gesprochen wird. Eritrea hat die äthiopische Regierung in diesem Krieg unterstützt, denn die TPLF, die 27 Jahre lang Äthiopien beherrscht und ausgebeutet hat (1991–2018), hatte auch Absichten, ihre Gewalt auf Eritrea auszudehnen und Teile Eritreas in ein „Groß-Tigray“ einzugliedern. 2022 bereits hat der Sprecher des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Stéphane Dujarric, die TPLF angeklagt, Lager des Welternährungsprogramms überfallen und geplündert zu haben.  

 

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Auch nach dem Friedensschluss von Pretoria war es im Frühsommer 2023 erneut zu Plünderungen und Raub gekommen, sodass die UN und die USA ihre Nahrungsmittelhilfe einstellten.  

Korruption ist in der Tigray-Hauptstadt Mekele weit verbreitet, die Sicherheitslage ist schlecht. Ihren kleptokratischen Charakter hatte die TPLF schon in den Jahren, in denen sie ganz Äthiopien beherrschte, immer wieder gezeigt. Eritreische Oppositionelle lassen sich, sei es aus Naivität oder Ratlosigkeit, von den Rädelsführern aus Tigray instrumentalisieren und spielen ihr Spiel mit – nicht ahnend oder in Kauf nehmend, dass es nicht um die Person des eritreischen Präsidenten oder sein Regime geht, sondern um die Existenz eines unabhängigen Eritrea.  

Zahlreiche Menschen aus Tigray beantragen als angebliche Eritreer Asyl – so verwischen die Grenzen zwischen Eritreern und TPLF-Leuten. Vielsagend ist dabei, dass es erst zu Gewaltexzessen in größerem Stil kommt, seit sich ein Scheitern der TPLF in dem von ihr ausgelösten Bürgerkrieg in Äthiopien abzeichnet, obwohl es die Festivals und eine eritreische Opposition schon lange gibt. 

Hat der ostafrikanische Gewaltmob westliche Verbündete? 

Die Reaktionen der Politik nach dem Stuttgarter Gewaltsamstag waren bezeichnend. Sie bewegten sich zwischen Komplizenschaft und Ignoranz. Man müsse künftig solche Veranstaltungen unterbinden, die zu so viel Gewalt führten. Das Etikett „Festival“ sei benutzt worden, um Konflikte verschiedener Eritrea-Gruppen auszutragen. Hier zeigt sich einmal wieder, dass Abgeordnete Volksvertreter, aber nicht unbedingt Vertreter des Sachverstands sind. Denn es waren nicht die Veranstalter der Festivals, die Gewalt forderten und auslösten, sondern die Gegner des Festivals. Gewalt kam nicht von den Parteigängern der Regierung von Eritrea, sondern von deren Gegnern. Verletzt und bedroht wurden nicht Regimegegner, sondern Festivalbesucher.

Offenbar haben auch deutsche Politiker Schwierigkeiten damit, die Entscheidungen ordentlicher Gerichte anzuerkennen, und machen Opfer zu Tätern. Es geht nicht darum, Kritik an Eritrea zu üben oder die Verhältnisse dort zu kritisieren. Das Wesentliche ist, dass Gewaltkriminelle sich anmaßten, das, was sie für Recht halten, selbst in die Hand zu nehmen.  

Wie geht es weiter? 

Wieder einmal hörte man vonseiten der Verantwortlichen, man habe all das nicht absehen können und sei vom Ausmaß der Gewalt völlig überrascht worden. Fachleute wussten längst, dass es zu weiteren Gewaltaktionen kommen würde, weil solche ausdrücklich angekündigt worden waren. Wir werden solche Exzesse auch künftig bei uns und in anderen Ländern erleben. Der stellvertretende baden-württembergische Ministerpräsident Thomas Strobl (CDU) forderte, die Gewalttäter müssten „jetzt die volle Härte des Strafrechts und des Ausländerrechts“ zu spüren bekommen. Eine beliebte Formulierung von Politikern in solchen Fällen. Hoffentlich hat Strobl die Rechnung nicht ohne die Gerichte seines Landes gemacht. Nötig sind jetzt nicht nur empfindliche Strafen, sondern auch zeitnahe Abschiebungen.  

Wir haben es hier mit einem Teilbereich des umfassenden Problems „Migration“ zu tun. In diesem Kontext wäre es wünschenswert, wenn man sich bei uns beispielsweise am dänischen Beispiel orientieren würde und darauf verzichten könnte, Migranten Anreize zu bieten, vorzugsweise Deutschland anzusteuern. Das gesamte europäische Asylsystem braucht dringend eine Reform – die Bilder aus Lampedusa sprechen ihre eigene Sprache.

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