Gender-Debatte - Queerpolitische Aluhutträger

Offenbar braucht es mittlerweile Nobelpreisträger wie die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard, um der politischen Öffentlichkeit zu erklären, dass es genau zwei biologische Geschlechter gibt. Für den Queerbeauftragten Sven Lehmann sind solche banalen Wahrheiten „homo- und transfeindlich“.

Die Biochemikerin und Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard in ihrem Büro im Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Eigentlich kann man sich nur noch an den Kopf fassen: Offenbar braucht es mittlerweile Nobelpreisträger, die der politischen Öffentlichkeit erklären, dass das, was die Kinder in der Schule lernen, tatsächlich stimmt. Gemeint ist der simple Unterschied zwischen Männlein und Weiblein. Denn wenn es nach dem Queerbeauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), geht, stimmt das alles nicht.

In einem Interview mit der feministischen Zeitschrift Emma meldete sich hierzu die renommierte Biologin Christiane Nüsslein-Volhard zu Wort. Herr Lehmann habe offenkundig den „Grundkurs in Biologie“ verpasst, da es in der Biologie eben nur zwei Geschlechter gebe. An dieser genetischen Tatsache komme niemand vorbei. Unter den Säugetieren habe das eine Exemplar zwei X-Chromosomen und produziere die Eier und das andere ein X- und ein Y-Chromosom und produziere die Spermien. Selbst Intersexuelle, bei denen chromosomale Abweichungen vorlägen, verfügten über die Merkmale der beiden biologischen Geschlechter: „Sie sind kein drittes Geschlecht“, so die renommierte Biologin im Interview.

Für Sven Lehmann hingegen sieht die Sache ganz anders aus. In einem Interview mit der Zeit besteht er ausdrücklich darauf, dass das (biologische) Geschlecht nicht bipolar sei: „Die Gesellschaft basiert auf der Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gibt und dass das, was bei der Geburt festgelegt wird, ein ganzes Leben lang bleibt. Das trifft ja auch für die große Mehrheit zu, aber eben nicht für alle.“ Daher setzt sich auch Lehmann für das neue „Selbstbestimmungsgesetz“ ein. Es soll künftig die Möglichkeit bieten, einmal im Jahr sein „Geschlecht“ zu wechseln. Für Nüsslein-Volhard ist das bloß „Wahnsinn“, vor allem für Menschen, die sich gerade in der Pubertät befinden.

Für Sven Lehmann ist Geschlecht bloß eine „Annahme“

Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Komik, das ausgerechnet der Queerbeauftragte der Bundesregierung in seinem eigenen Themenfeld die Begriffe unbekümmert durcheinanderrührt und nicht ganz faktensicher agiert. Während anlässlich der „Pride Week“ in einem Gastbeitrag in der Welt die entsprechenden Autoren auf dem Unterschied zwischen dem biologischen (sex) sowie dem sozialen Geschlecht (gender) bzw. der geschlechtlichen Identität beharrten, ist für Lehmann – und das sagt er an mögliche Kritiker gerichtet – das Geschlecht unterschiedslos bloß eine „Annahme“ und nicht auch eine biologische Tatsache.

 

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Biologen wie Nüsslein-Volhard unterstellt er damit sogar ausdrücklich „Homo- und Transfeindlichkeit“. Selbst der Chef des Axel-Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, sprang jüngst dieser infamen Logik bei. Insider führen das auf die Eigentümerstruktur des Springer-Konzerns zurück. Rund ein Drittel des Konzerns gehört der in New York börsennotierten Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR), in der woke Geschäftsmodelle gern gesehen sind.

Die Biologie als Wissenschaft höchstselbst soll also etwas gegen Homo- oder Transsexuelle haben. Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Wer die Existenz des Coronavirus als bloße „Annahme“ tituliert, ist ratzfatz ein „Querdenker“, „Aluhutträger“ oder „Verschwörungstheoretiker“. Aber wer die elementarsten biologischen Tatsachen zu bloßen „Annahmen“ erklärt, kann selbst mit den krudesten Theorien politische Karriere machen.

Niemand kann sein biologisches Geschlecht ändern

Christiane Nüsslein-Volhard stellt daher in der Emma klar, dass aus wissenschaftlicher Sicht niemand sein biologisches Geschlecht ändern könne: „Das ist Quatsch! Es ist Wunschdenken. Es gibt Menschen, die wollen ihr Geschlecht ändern, aber das können sie gar nicht.“ Zwar könnten sie Hormone nehmen oder Geschlechtsoperationen durchführen lassen, aber es gebe nun einmal keinen medizinischen Weg, um Menschen mit einem X- und einem Y-Chromosom ein Kind gebären zu lassen.

Die Möglichkeit von uneindeutig ausgeprägten Geschlechtsmerkmalen oder geschlechtlichen Identitätskonflikten zwischen sex und gender leugnet die Nobelpreisträgerin Volhard dabei nicht. Natürlich gebe es das, das sei ja auch gerade „das Spannende“. „Dass Transsexuelle nicht diskriminiert werden sollen, ist ja völlig klar. Wenn Menschen schlecht behandelt werden, ist das schlecht“, sagt sie. Aber deshalb könnten diese Menschen allen anderen doch nicht ihre privaten Vorstellungen „aufdrücken“, die außerdem wissenschaftlich unhaltbar sind.

Dass es mit dem Aufdrücken so eine Sache ist, scheint sich auch im Springer-Konzern herumzusprechen. Dazu dürfte beigetragen haben, dass inzwischen mit Judith Sevinç Basad und Ralf Schuler zwei publizistische Schwergewichte Springer verlassen wollen. Sollte Mathias Döpfner den von ihm angekündigten woken Kurs ernsthaft durchsetzen, wird es zwischen dem Konzern und seiner eher konservativen Leserschaft auf Dauer wohl ein ähnlich herzliches Verhältnis geben wie zwischen der Mehrheitsbevölkerung und dem ÖRR in Sachen gendergerechtes Sprechen.

Immerhin die Bild-Zeitung sah sich daher genötigt, dem „Emma“-Interview von Nüsslein-Volhard breiten Raum zu geben. Dass es einmal die gute alte Emma brauchen wird, um dem Springer-Konzern einen Rest an bürgerlicher Publizität zu sichern: Das hätte sich wohl selbst Alice Schwarzer nie träumen lassen.

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