Großdemonstration in Berlin - Pazifisten im Schneeregen

In Berlin haben sich am Samstagnachmittag mehrere Zehntausend Menschen zu einer Kundgebung für Verhandlungen mit Russland im Ukraine-Krieg versammelt. Zu der Demonstration hatten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer aufgerufen. Es präsentierte sich ein gemischtes Publikum, mit angespannter Stimmung und großer Kriegsmüdigkeit.

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hatten zu der Demonstration aufgerufen / dpa
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Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

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Bei grauem Himmel und starkem Schneeregen begann der Marsch in Richtung Brandenburger Tor, die S-Bahnhöfe waren gefüllt und die Polizei vor Ort. Der Pariser Platz war voller Demonstranten, zwischen Schlammpfützen und Friedenstauben waren bereits einige tausende Menschen verteilt. Trotz des kalten Wetters gab es auch weit nach 14 Uhr noch Zulauf, sodass von der Bühne zu einer besseren Verteilung Richtung Siegessäule aufgerufen und die Reden nach hinten verschoben werden mussten. Die Polizei hatte um 14 Uhr noch offiziell von nur rund 5.000 Teilnehmern gesprochen, doch die offiziell gemeldeten 10.000 Menschen wurden definitiv überschritten. Unter lautem Jubel wurde von Veranstalterseite sogar von 50.000 Menschen gesprochen.

Allerlei Flaggen

Dicht an dicht gedrängt, mit definitiv erhöhter Anspannung standen vermummte Antifaschisten, viele ältere und einige jüngere Leute vor dem Brandenburger Tor. Auf der Webseite zur Kundgebung „Aufstand für Frieden“ wurden Teilnehmer zum Verzicht auf Partei- und Nationalfahnen aufgerufen. „Rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole haben auf unserer Kundgebung keinen Platz“, hieß es weiter. Trotzdem waren in der Menge russische und deutsche Flaggen zu erkennen. Auch Regenbogeflaggen, Friedensbanner und „Ami-Go-Home“-Schilder waren häufig vertreten. Diese wilde Mischung erinnerte an Demonstrationen während der Corona-Pandemie.

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In der Sache vereint

Auf dem Weg zum Brandenburger Tor hatten viele Vertreter politischer Gruppen Stände aufgebaut und machten mit Plakaten ihren Unmut deutlich. Einige jüngere Studenten verteilten Flugblätter für den Kommunismus und ein älterer Herr der MLPD sang ein Lied über den Tod seiner Feinde. Zwei ältere Männer sprachen über die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Weltgesundheitsorganisation WHO, auf Nachfrage erklärten sie, dass diese sich unter satanistischer Führung aus den USA befänden. Viele andere wilde Theorien schnappte ich im Vorbeigehen auf. Corona sei seit 2010 geplant gewesen, Joe Biden eine Marionette und Wladimir Putin eigentlich Pazifist. Sie und alle anderen waren sich in einer Sache einig, der Ukrainekrieg sollte am besten heute enden.

Eigentlich ganz normale Leute

Die meisten Teilnehmer der Demonstration waren im mittleren bis gehobenen Alter. Eine Frau mit „Schwerter-zu-Pflugscharen“-Flagge erklärte mir, dass das Demonstrieren gegen Krieg in ihrer Generation eben stärker verankert sei als in der jüngeren. Der Großteil der Menschen lief mit deutlichen Aussagen gegen den Krieg und gegen Waffenlieferungen umher und brachte sein Bedauern über die Aussichtslosigkeit militärischer Aktionen zum Ausdruck. Es wurden Friedens- und Regenbogenanstecker verteilt und eine mittelgroße, aufgeblasene Friedenstaube flog über die Zuhörerschaft vor der Bühne hinter dem Brandenburger Tor. Die Menge skandierte an verschiedenen Stellen zwischen den Reden „Frieden schaffen, ohne Waffen“. Vereinzelte „Nazis raus“ Rufe von den vielen kleineren Gegendemos wurden in meiner Nähe mit Unverständnis und Lachen kommentiert.

Großes Polizeiaufgebot, kaum Eskalitionen

Die Polizei war wegen laut offizieller Auskunft mit 1400 Beamten im Einsatz. Unterstützt wurde sie von Kollegen aus Sachsen-Anhalt. Auch vor Ort war eine deutliche Präsenz zu bemerken, so wurden Wege gesperrt, Gegendemonstranten abgeschirmt und Streitigkeiten aufgelöst. Es habe am Rande der Veranstaltung am Brandenburger Tor lediglich kleinere Handgreiflichkeiten gegeben, berichtete ein Polizeisprecher. Auch an anderer Stelle kam es zu hitzigen Diskussionen, denn die „Antischwurbler“ hatten Unter den Linden ebenfalls einen Stand, von dem aus sie anderen Linken vorwarfen, sich mit Nazis gemein zu machen. Das führte bei vielen der Demonstranten zu hitzigen Wortgefechten mit den teils vermummten Antifa-Aktivisten. So schrie ein junger Mann in Richtung eines anderen mit Drachenmaske: „Du bist kein richtiger Antifaschist, du warst nicht einmal bei einer Besetzung dabei.“ Doch immer, wenn Schilder oder Fahnen berührt wurden, waren Polizeibeamte zur Stelle.    

Der Wunsch nach Frieden

Die Reden starteten mit Vorstellungen und einem Witz auf Kosten der Grünen. „Diese seien ja ursprünglich auch mal Pazifisten gewesen“, hieß es von der Bühne. Nachdem alle vorherigen Redner eher generelle Themen und große Worte wie Frieden und Atomkrieg abgearbeitet hatten, sprach abschließend Sahra Wagenknecht. Sie wiederholte die wichtigsten Punkte, die bereits aus dem Manifest ersichtlich waren, unter lautem Applaus. Inhaltlich forderte sie den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine und betonte erneut die Dringlichkeit von Friedensverhandlungen. Ziel sei es, „das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden“. Sie stehe dafür ein, mit Russland in Verhandlungen zu gehen, denn „einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren“, sei aussichtslos. Wie von ihren Vorrednern betont, bestünde aktuell die Gefahr für eines Dritten Weltkriegs mit Atomwaffen. Dieses Risiko sei „verdammt groß“.

Startschuss für den Frieden

Die Proteste und Beteiligung ließen Sahra Wagenknecht von einem „Startschuss für eine neue, starke Friedensbewegung“ sprechen. Wie bereits Alice Schwarzer im Vorfeld distanzierte auch sie sich klar vom rechten Spektrum, Neonazis und Reichsbürgern, denn diese wären auf der Friedenskundgebung natürlich nicht gerne gesehen.

 

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