Grippewelle - „Das ging am infektiologischen Sachverstand vorbei“

Die Grippesaison ist wieder da. Und egal ob Rhinoviren, Influenza oder Corona: besonders Kinder sind aktuell betroffen. Im Interview erklärt der Berliner Hausarzt Erich Freisleben, woher die aktuelle Welle an Atemwegserkrankungen kommt und was das Infektionsgeschehen auch mit der falschen Corona-Politik zu tun haben könnte.

Die Sprechstunden sind wieder voll: Blick in eine Arztpraxis in Rehinland-Pfalz
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Dr. med. Erich Freisleben studierte Medizin in Berlin und Kiel und absolvierte seine Facharztausbildung zum Internisten. Seit 37 Jahren praktiziert er als Hausarzt. Er promovierte in der Geschichtsmedizin zum Thema Rassenhygiene und Rassenideologie, war als Delegierter in der kassenärztlichen Vereinigung tätig und publiziert Artikel und Bücher zu gesundheitspolitischen Themen.  

Herr Freisleben, überall hört man dieser Tage von erkälteten Arbeitskollegen, fiebrigen Kindern und hustenden Familienmitgliedern. Ist die aktuelle Welle an Atemwegserkrankungen wirklich so dramatisch, wie von Vielen behauptet?

In der Praxis erlebe ich derzeit in der Tat ein „Anfluten“ von grippalen Erkrankungen. Mit der genauen Diagnose ist es zum Teil schwierig. In der Regel identifizieren wir nicht den genauen Erreger. Man kann dennoch sagen, dass Corona für das aktuelle Geschehen stark an Bedeutung verloren hat. Das Sars-Virus wird in diesen Tagen vermehrt durch übliche respiratorische Viren abgelöst. Jahreszeitlich ist das aber ein normaler Prozess.

Wo ist dann genau das Problem?

Das Geschehen hat in diesem Jahr einfach eine größere Dimension. Besonders Kinderkliniken und Kinderärzte bemerken, dass insbesondere kleine Patienten von der aktuellen Welle betroffen sind, und das oft länger und heftiger als in früheren Jahren. In vielen Schulklassen ist es nicht ungewöhnlich, dass gut die Hälfte der Schüler krank ist.

Nun ist es mit der Erstellung von Kausalitäten sicherlich nicht ganz einfach. Haben Sie dennoch Vermutungen, wo die aktuelle Welle ihren Ursprung hat?

Ich kann da natürlich kein wissenschaftliches Statement zu abgeben. Zunächst gilt das Basiswissen der Infektiologie: Endemische Viren, zu denen ja normalerweise auch das Corona-Virus gehört, treten zu bestimmten Jahreszeiten gehäuft auf. Dabei sind die Grunderreger den Menschen immunologisch bekannt, die neuen Varianten aber, die mit jeder neuen „Grippesaison“ auftreten, triggern das Immunsystem immer wieder neu. Das ist wichtig. Man kann sich diesen Prozess wie ein leichtes Muskeltraining vorstellen. Mit jeder Trainingseinheit wird der Körper ein bisschen stärker. Dadurch aber, dass wir in den zurückliegenden Jahren den natürlichen Fluss der Viren mittels Kontaktvermeidung und Maskenpflicht unterbrochen haben, konnten auch die Abwehrkräfte nicht weiter stimuliert werden.
 

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Wir sind also in gewisser Weise wie ein schlaffer 100-Meter-Läufer, der zu lange auf dem Sofa lag und der nun von jetzt auf gleich einen Sprint hinlegen soll?

So kann man sich das vorstellen. Wir sind durch die Maßnahmen geschwächt. Und wenn man dann noch bedenkt, dass wir während der harten Corona-Zeit durch strikte Kontaktvermeidung zum Teil lediglich 35 Infektionen auf 100.000 Personen zugelassen und wir diese Forderung sogar in einem Gesetz fixiert haben, dann ist unser Verhalten schon wirklich stark am infektiologischen Sachverstand vorbeigegangen. 

Es gibt dieser Tage aber auch Stimmen, die davon ausgehen, dass weniger die falschen Maßnahmen zur aktuellen Welle geführt hätten, sondern, dass es vielmehr die Corona-Infektion selbst sei, die das Immunsystem derart geschwächt habe, dass nun in der Folge vermehrt Infektionskrankheiten aufträten. Was ist davon zu halten?

Letztlich ist das schwer zu sagen. Je länger wir darüber diskutieren, desto mehr müssen wir wieder einmal feststellen, dass wir in Deutschland einen großen Mangel an Daten haben: Wir hätten die Pandemie mit einem strikten Monitoring begleiten müssen. Wir hätten erforschen müssen, was genau bei Geimpften, was bei Ungeimpften und was in den verschiedenen Alterskohorten geschehen ist. Nur so könnte man genau beschreiben, welches Geschehen da gerade wirksam ist. Dieser Mangel an Daten fällt uns also auch jetzt wieder auf die Füße.

Auf dieses Manko hat selbst der von der Regierung und vom Parlament in Auftrag gegebene Evaluationsbericht hingewiesen.

Genau. Und weil es dieses Manko eben gibt, kann man jetzt natürlich auch alle möglichen Thesen aufstellen. Das ist einfach schlechte Wissenschaft. Es ist aber definitiv richtig, dass eine Corona-Infektion auch die Möglichkeit der Beeinträchtigung der Immunität beinhaltet. Das sehen wir bei leichten wie bei schweren Verläufen; das sehen wir vor allem aber auch bei Long-Covid-Patienten. Etwas anderes aber ist auch richtig …

Und zwar?

Ich habe in meiner Praxis viele Menschen untersucht, die eine Schädigung durch die Impfung erfahren mussten. Auch bei diesen Menschen ist eine immunologische Schwächung deutlich erkennbar. 

Woran liegt das?

Das große Problem ist, dass wir bei der Corona-Impfung nicht den abgeschwächten Erreger geimpft haben, so wie man das in der Medizin gemeinhin macht. Was wir aber geimpft haben, war das Toxische, das dieser Erreger an sich hat: die sogenannten Spikes. Die veränderten Untereinheiten S1 und S2 dieser Spikes sind es offensichtlich, die das Immunsystem beeinträchtigen können. Vermutlich also hätten wir bei der Impfung viel stärker differenzieren müssen.

Inwiefern?

Wir hätten fragen müssen, ob ein Mensch eine gute Immunität hat, die ihm hilft, den Erreger in den Griff zu bekommen, oder ob er diese Immunität eben nicht hat. Diejenigen mit schwacher Immunität hätte man schützen müssen – da hätte auch die Impfung ganz sicher eine Rolle spielen müssen, auch wenn wir das noch nicht mit absoluter Gewissheit sagen können. In der Breite gesehen hat es einfach an infektiologischem Sachverstand gemangelt, und das hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, dass wir nur ganz bestimmte Wissenschaftler zur Debatte zugelassen haben. Und die, die zugelassen wurden, waren nach meinem Dafürhalten nicht immer die erfahrensten.
 

Epidemiologe Klaus Stöhr im Cicero-Podcast


Kommen wir noch einmal zu den Masken zurück: Sie meinten vorhin, dass das Immunsystem immer wieder neu durch veränderte Virenvarianten getriggert werden müsse. Würde das nicht aber bedeuten, wir müssten als Gesellschaft allmählich auf diese Masken verzichten lernen – so wie es ja mittlerweile auch zahlreiche Landesgesundheitsminister fordern?

Das kann ich nur unterstreichen. Das, was wir mit den Masken machen, ist ein Eingriff in das Naturgeschehen. Das ist kurzfristig und letztlich auch sehr flach gedacht. Wir sollten wieder begreifen, wie sinnvoll letztlich dieses große Naturgeschehen in und um uns herum ist. Unser Körper ist über und über mit Erregern bevölkert, und wir wissen viel zu wenig über all die Interaktionen und Zusammenhänge. Es gibt so viele Erreger, die durchaus sinnvolle Tätigkeiten im Körper verrichten. Auch wenn manchmal ein Schutz im Vordergrund stehen mag, müssen wir uns allgemein inzwischen mehr vor weiteren Kollateralschäden durch eine Überbetonung von Maßnahmen schützen.

Können Sie dennoch auch besorgte Eltern verstehen, die in Anbetracht der aktuellen Welle der Atemwegserkrankungen der Meinung sind, auch diese Welle ließe sich durch abermaliges Maskentragen in den Griff bekommen?

Das ist für mich hochgefährlich. Das, was wir derzeit sehen, ist nur der Vorbote. Die aktuelle Welle beschreibt noch kein gefährliches Geschehen. Neuseeland aber könnte uns hier eine Warnung sein: Dort sind vor allem vermehrt Kleinkinder plötzlich an Krankheiten verstorben, die zuvor extrem selten tödlich verliefen. Wir sollten also aufhören, die natürlichen Vorgänge und die natürliche Immunität in unserem Körper schlechtzureden oder gar zu unterbinden – und das nur, weil das Marketing großer Konzerne uns dazu verleitet. Fear sells. Meine Hoffnung jedenfalls ist es, dass wir uns wieder vermehrt den ganzheitlichen Dimensionen unserer Gesundheit zuwenden. Vertrauen ist auch ein gesundheitsstärkender Faktor.
 

Erich Freisleben: Sie wollten alles richtig machen: Dokumentation eines verschwiegenen Leidens. Cajus, München 2022. 260 S., 16,95 €. 

 

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