Europäische Union einigt sich auf neue Asylpolitik - Das Flackern der Ampel

In der Migrationspolitik pflegt die Ampel-Regierung ein entschiedenes Jein. Sie begrüßt striktere Regeln der EU für Flüchtlinge, um sie gleich wieder zu zerpflücken. Sie will mehr Abschiebungen, steht aber auf der Bremse. So wird sie den Problemen nicht gerecht – und den Wählern auch nicht.

Welche Migrationspolitik will die Ampel? Soldat an der EU-Außengrenze /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der Soziologe Heinz Bude nennt es „Anti-Politik“, wenn Argumente und Maßnahmen sich nicht an der Realität orientieren, sondern in abgeschlossenen Ideengebäuden gefangen bleiben. Die Migrationskrise ist das dominierende Thema in ganz Europa, das Parteilandschaften umpflügen und Regierungen stürzen kann. Die jetzt gefundene Einigung zur Reform der Asylpolitik ist deswegen überfällig, richtig und wichtig. Doch die Ampel-Regierung, die einerseits auf der europäischen Ebene mitverhandelt, ist auf der anderen Seite nicht in der Lage, den gefundenen Kompromiss beherzt zu verteidigen und vorbehaltlos mitzutragen. Wieder greift der anti-politische Reflex, der sich in Traumwelten flüchtet. 

Der Reform der Migrationspolitik, auf die sich Europaparlament und die spanische EU-Ratspräsidentschaft geeinigt haben, sieht vor, dass künftig jeder Flüchtling an den EU-Außengrenzen kontrolliert und registriert werden muss. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, soll ein Asylverfahren direkt an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren müssen. Zudem gibt es eine Vereinbarung zur Lastenverteilung; Länder, die besonders betroffen sind, sollen von anderen unterstützt werden. Diese deutliche Verschärfung der Rechtslage soll der Eindämmung der irregulären Migration dienen. 

Die weiße Salbe der Migrationspolitik

Der Grünen-Chef Omid Nouripour mag zu den Beschlüssen nur gemischte Gefühle kundtun. „Die Ergebnisse enthalten an vielen Stellen schmerzhafte Punkte“, sagte er. Die Verfahren an den Außengrenzen sehe er kritisch, vielmehr sei das Ziel der Grünen „Humanität und Ordnung zusammenzubringen“. Diese wohlfeile Formel, die auch den zurückliegenden Parteitag geprägt hat und besänftigen sollte, verschleiert aber die Kernbotschaft. Die Grünen wollen eben keine „Begrenzung“, sondern lediglich „Ordnung“ der Zuwanderung. Die Grüne Jugend verlangt gleich ein generelles deutsches Nein zum EU-Asylkompromiss und wendet sich gegen das „menschenfeindliches Abschottungspaket“. 

Was gilt aber nun? Die offizielle Politik der Bundesregierung oder die politische Lyrik fernab der wirklichen Welt? Es ist dringend mehr Ehrlichkeit und Klarheit in dieser Debatte erforderlich. Das brächte auch das Vertrauen in Politik zurück. Wer aber in der Migrationspolitik nur weiße Salbe austeilen will, die Wirkung nur vortäuscht, wer also nicht wirklich eine Veränderung der Lage will, schürt Frust und Verunsicherung. 

Tatsächlich operieren SPD und Grüne mit gespaltener Zunge. Einerseits soll die Basis besänftigt werden mit dem Absingen süßer Lieder zum Flüchtlingsschutz, anderseits will man eine striktere Politik durchsetzen oder zumindest andeuten, um eine Antwort auf die drängende Krise zu präsentieren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte dann auch zur europäischen Einigung: „Wenn wir das Europa der offenen Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen.“ Auf dem SPD-Parteitag war noch die große Skepsis gegenüber den Grenzverfahren betont worden. Vor allem sollte es Ausnahmen für vulnerable Gruppen geben, das konnte nun nicht durchgesetzt werden.

Simulation harter Politik

Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Erik Marquardt, nennt es eine „verpasste Chance“ in der Asylpolitik. Nun würden „bürokratische Verfahren und harte Asylrechtsverschärfungen Menschen jetzt von der Flucht nach Europa abschrecken“. Doch genau das ist ja das Ziel. Es ist die Absurdität der Ampel-Politik, dass sie das Gegenteil von dem macht, was sie in Parteitagsreden sagt, und zugleich vorgibt etwas zu tun, was sie tatsächlich nicht macht. Es ist die Simulation von harter Politik und im Effekt ein Leerlauf von Politik oder allenfalls eine Politik der Trippelschritte – oft auch noch im Kreis.  

Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete die EU-Einigung nun einerseits als „dringend notwendig und längst überfällig“, anderseits bedauerte sie, eben keine Einschränkungen der Grenzverfahren habe durchsetzen können. Stattdessen wird mit großer Geste gefordert, was keiner bestreitet: Selbstverständlich müssen überall in Europa humanitäre Standards gelten, auch in Flüchtlingsunterkünften in Grenzstaaten. Doch welches Ziel treibt die Politik, das müsste deutlich werden. Begrenzung oder nicht? 

Baerbock sagt, „unmenschliche Zustände“ dürften nicht das Gesicht Europas sein. Was heißt das? Keine Begrenzung der Migration? Die Organisation „Pro Asyl“ kommentiert den Kompromiss mit Entsetzen. Es finde ein Abbau von Flüchtlingsschutz statt. Bisher fehlt es der deutschen Regierung an Ehrlichkeit zu sagen, dass sie in der Tat nicht „Menschenrechte“ missachten will, aber sehr wohl den Zuzug erschweren will. Ohne diese Ehrlichkeit aber, wird echte Politik nicht funktionieren, dann bleibt nur Anti-Politik. 

Mehr Abschiebungen oder nicht?

Ähnlich sieht es auch bei der Debatte über Abschiebungen aus. Auch hierzu hat die Ampel nun anscheinend (und wohl nur scheinbar) eine Einigung gefunden. Es soll eine Vereinfachung der Verfahren geben, damit Abschiebungen nicht im letzten Moment scheitern. Zugleich ist die Ampel-Politik bei Abschiebungen immer von einer Art Selbstverdächtigung getrieben. Einerseits wird der Ausreisegewahrsam von 10 auf 28 Tagen verlängert, um eben die Abschiebung leichter durchführbar zu machen. Zugleich wird aber künftig automatisch und auf Staatskosten ein Rechtsbeistand dem Ausreisepflichtigen im Gewahrsam beiseite gestellt. Dies sei eine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren, sagt Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Doch das würde ja bedeuten, dass es bislang Defizite in der deutschen Rechtsstaatlichkeit gegeben hätte. Will von Notz das behaupten? Im Kern geht es vielmehr darum, Abschiebungen zu verhindern. Wieder greift die Methode der Anti-Politik, die immer wieder das Kunststück vollbringen soll: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. 

Man muss sich dazu das Spiegel-Interview von Olaf Scholz in Erinnerung rufen. Darin erklärte er: „Wir müssen im großen Stil abschieben“. Doch will seine Partei das wirklich. Auf dem SPD-Parteitag wurde das Gegenteil betont. Und seine Innenministerin, sie erweist sich als Meisterin, des pathetischen Sowohl-als-auch. Als sie neulich den Koalitionsvertrag von CDU und SPD (!) in Hessen kommentieren sollte, sagte sie laut Bild-Zeitung im Bezug auf die darin beschriebene „echte Rückführungsoffensive“ , da „schüttelt es einen“ und so schlimm, wie es darin stehe, werde es nicht kommen. Diese Politik der Uneigentlichkeit ist schwer erträglich. Sie wird den Problemen nicht gerecht und auch nicht den Wählern, die einen Anspruch auf Klarheit haben.  

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