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Flüchtlinge in Europa - Wer hat den schwarzen Peter?

Innenminister Thomas de Maizière lieferte den Paukenschlag: 800.000 Flüchtlinge werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen – und 40 Prozent auch hierbleiben. Die Bewältigung der Flüchtlingsfrage könnte Europa weit mehr spalten als die Griechenland-Krise

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Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Wo Angela Merkel Recht hat, hat sie Recht. Im ZDF-Sommerinterview sagte sie: „Die Frage, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen…, diese Fragen werden uns sehr, sehr viel mehr beschäftigen als die Frage Griechenland und die Stabilität des Euro“. Damit hatte sie den Ton gesetzt und die Prioritäten benannt, noch bevor die Abgeordneten überhaupt zurück nach Berlin kommen mussten, um dem Griechenland-Paket über die Hürden zu helfen. 

Die Politik ist aufgewacht. Endlich. Angesichts des Flüchtlingsstroms ist das, wie hätte Merkel gesagt? Genau: alternativlos. Und nun spielt die Politik das Spiel: Wer hat den schwarzen Peter? Die Städte sehen ihn bei den Ländern, die Länder beim Bund, und alle zusammen bei Europa. Die Zahlen sprechen für diese Annahme. 40 Prozent aller Flüchtlinge kommen ins reiche Deutschland. Die meisten EU-Länder im Süden winken die Flüchtlinge einfach durch, Richtung Norden, Großbritannien riegelt sich hermetisch ab.

Und plötzlich ist das gesamte europäische Projekt in Gefahr. Hier zeigt sich: Nicht Griechenland erschüttert die EU in den Grundfesten, sondern die Flüchtlingsfrage. „Nicht am Thema Griechenland, das für viele abstrakt ist, sondern am Thema Flüchtlinge und Asyl, das den Menschen persönlich immer näher kommt, da wird es darauf ankommen, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern in Europa eine Lösung finden,“ mahnt Volker Kauder.

Darüber ist man sich in der Berliner Politik weitgehend einig: Die in Brüssel sind am Zug. Selbst solche, die noch lange kein Ende bei der deutschen Aufnahmefähigkeit für Flüchtlinge sehen, wollen mehr europäische Solidarität.

Giousouf: Wer nicht aufnehmen will, muss zahlen
 

Die Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf ist Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion und die erste Muslima in diesem Gremium. Sie sagt gegenüber Cicero: „Es gibt viele europäische Länder, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Die sagen, das ist kein europäisches, sondern ein deutsches Problem, die Flüchtlinge wollen sowieso nach Deutschland. Das finde ich schon ziemlich dreist, uneuropäisch und unchristlich.“

Die Auseinandersetzung führt sie aber auch im eigenen Lager, vor allem gegen die CSU, die sagt, die Grenze sei erreicht. „Das finde ich falsch. Ich glaube nicht, dass die Grenzen bei der Bevölkerung erreicht sind. Im Gegenteil, Hilfsbereitschaft und Empathie sind groß. Das deutsche Volk hat ein großes Herz. Diejenigen, die meinen, Schutzlose bedrohen zu müssen, stehen außerhalb unserer Rechts- und Werteordnung! Nicht die Menschen, sondern Verwaltung und Politik haben das Problem, die Herausforderung zu meistern. Deshalb brauchen wir mit Bund und Ländern ein Gesamtkonzept - und das im parteiübergreifenden Konsens."

Aber man müsse definitiv zwischen den Flüchtlingen unterscheiden, die ein Recht auf Asyl haben und denen, die abgewiesen werden müssen. „Hier brauchen wir viel schnellere Verfahren.“ Syrien-Flüchtlinge etwa solle man zu sogenannten Kontingentflüchtlingen machen, das heißt, ein aufwändiges Prüfverfahren würde dann entfallen.

Aber Deutschland könne das nicht alleine schultern, sagt Giousouf. Es fehle in Europa ein Sanktionssystem gegenüber Ländern, die sich drücken. Und wenn andere EU-Staaten schon keine Flüchtlinge aufnehmen wollten, dann sollten sie wenigstens zahlen. „Es muss fair verteilt werden, denn das wird uns noch lange beschäftigen.“

De Maizière droht mit Wiedereinführung von Grenzkontrollen
 

Mehr Geld, mehr Solidarität, das sind die dringlichen Rufe aus Berlin. Aber es geht noch weiter. Ausgerechnet die Deutschen holen jetzt die Folterwerkzeuge hervor. Giousoufs Parteifreund Thomas de Maizière stellt flugs mal ein Kernstück des Europrojekts auf den Prüfstand: die Freizügigkeit, das Europa ohne Grenzen. Natürlich, so argumentiert der Innenminister, sei er ein „überzeugter Europäer“, nur, wenn es mit den Flüchtlingen so weiter gehe, dann müsse man eben doch über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen nachdenken. „Kontrollfreie Grenzen werden auf Dauer keinen Bestand haben ohne eine wirkliche europäische Asylpolitik.“ Das sei „keine Drohung“. Ja, was denn sonst?

Klar, es ist legitim, Druck aufzubauen. Die deutschen Forderungen nach mehr europäischer Solidarität sind berechtigt. Ob sie realistisch sind, ist eine andere Frage. Noch ist der Zaun, der zur Abwehr der Flüchtlinge an der Grenze des EU-Landes Ungarn entsteht, nach außen gerichtet. Aber wenn auch innerhalb der Europäischen Union wieder die Schlagbäume an den Grenzen heruntergehen, dann ist das europäische Projekt schnell am Ende. Deutschland, umgeben von EU-Staaten, wäre davon auf eine katastrophale Weise betroffen. Es könnte schnell vom größten Gewinner der europäischen Integration zum größten Verlierer werden.

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