Entlastungspaket Nr. 3 - Auch Regieren kann „Mist“ sein – jedenfalls in einer Ampel

Das dritte Entlastungspaket ist laut Kanzler Olaf Scholz auf dem Weg. Die Grünen wollen sich offenbar als noch sozialer als die SPD profilieren. Doch die rot-grünen Versprechungen lassen außer Acht, dass es noch einen dritten Koalitionspartner gibt. Die FDP kann bei einer Übergewinnsteuer nicht mitmachen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht vollends verlieren will.

Der Ampel-Koalition stehen beim Schmieden des Entlastungspakets Tage der Kompromisssuche bevor / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Nach der Entlastung ist vor der Entlastung. Die inflationäre Entwicklung im Allgemeinen und die explodierenden Energiekosten im Besonderen treiben die Ampelkoalition um. Ein drittes Entlastungspaket muss her. Korrigiert werden sollen die Schwächen des im April beschlossenen 2. Entlastungspakets: Die zeitliche Befristung des 9-Euro-Tickets, die Senkung der Energiesteuer auf Sprit und zudem die Nicht-Berücksichtigung von Rentnern und Studenten bei der einmaligen Energiepreispauschale.

Noch ist sich die Koalition nicht einig, wie sie vorgehen will. Doch die SPD-Bundestagsfraktion ist bereits vorgeprescht. In den Wintermonaten soll es Direktzahlungen für mittlere und untere Einkommen, Rentner, Arbeitslose, Studenten und Auszubildende geben. Mittelfristig soll der Kreis Wohngeldempfänger „deutlich vergrößert“ werden. Kündigungen wegen nicht gezahlter Betriebskosten sollen für die Abrechnungszeiträume 2021 und 2022 ausgeschlossen werden.

Für Busse und Bahnen ist ein bundesweit geltendes 49-Euro-Ticket vorgesehen. Das würde, wie das auslaufende 9-Euro-Ticket, ÖPNV-Nutzer entlasten und den Ausflugsverkehr am Wochenende beflügeln, aber wohl kaum Autofahrer zum Umsteigen bewegen. Allerdings soll der Bund nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion die Finanzierung nur zur Hälfte bestreiten. Mehrere Länder denken freilich nicht daran, sich an den Kosten dieser Maßnahme zu beteiligen.

Alles bleibt unbestimmt

Wann immer Sozialdemokraten sich mit Sozialpolitik befassen, darf der Ruf nach höheren Steuern nicht fehlen. So auch jetzt. „Übermäßige Unternehmensgewinne, die allein auf die aktuelle Krisenlage zurückzuführen sind, sollen zur Krisenbewältigung beitragen“, heißt es in der Vorlage. Nur: Wie man solche „Übergewinne“ feststellt und wie hoch die Steuer ausfallen soll, bleibt offen.
 

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Ebenso unbestimmt bleibt, welche Einkommenshöhen für die geplanten Direktzahlungen vorgesehen sind. Will die Regierung mit starren Einkommensgrenzen arbeiten, kann die Hilfe an 100 Euro scheitern, die jemand zu viel verdient. Sollen die Direktzahlungen dagegen mit zunehmenden Einkommen verringert werden, erfordert das einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Falls diese Direktzahlungen den Menschen über den Winter helfen sollen, dann müssen sie jedoch schnell fließen.

Die Grünen haben sich ebenfalls Gedanken gemacht, wie die Menschen entlastet werden können. Auch sie sehen ein höheres Wohngeld und eine Energiepauschale von 100 Euro im Monat vor, abhängig von noch nicht festgelegten Einkommensgrenzen. Zudem soll der Hartz-IV-Regelsatz in zwei Schritten um 150 Euro auf 600 Euro steigen. Damit wollen die Grünen sich offenbar als noch sozialer als die SPD profilieren.

Tage der Kompromisssuche

Nach den Grünen-Vorschlägen soll das Kindergeld über die geplanten 8 Euro hinaus angehoben werden, ohne aber die Kinderfreibeträge entsprechen anzupassen. „Reiche“ Eltern sollen davon also nicht profitieren. Auch beim Öffentlichen Verkehr übertrumpfen die Grünen die Sozialdemokraten: Bahn und Bus sollen regional für 29 Euro im Monat genutzt werden können, für 49 Euro zudem bundesweit. Einigkeit herrscht bei Rot-Grün in puncto Steuern: Die Grünen erhoffen sich von einer Übergewinnsteuer Mehreinnahmen von 30 Milliarden Euro im Jahr.

 

 

Klar ist: Die Vorschläge von SPD und Grünen würden vielen Menschen das Leben mit steigenden Preisen erleichtern. Doch stecken in den rot-grünen Versprechungen gleich mehrere Webfehler. Bei allen Ankündigungen fehlen die Preisschilder, der Kreis der Begünstigungen bleibt im ebenso im Dunkeln wie die Finanzierung. Dabei geht es hier um deutlich zweistellige Milliardenbeträge.

Vor allem aber bleibt bei diesen rot-grünen Plänen außer Acht, dass es noch einen dritten Koalitionspartner gibt, der den Bundesfinanzminister stellt – die Freien Demokraten. Die werden und können bei einer Übergewinnsteuer nicht mitmachen, wenn sie nicht ihre Glaubwürdigkeit vollends aufs Spiel setzen wollen. Zudem dürfte Christan Lindner bei keinem Entlastungspaket mitwirken, das nicht den Abbau der kalten Progression beinhaltet. Der Ampel stehen also Tage bei einer Kompromisssuche bevor, bei der es naturgemäß nicht nur Gewinner geben kann. Da dürfte manchem Beteiligten klar werden, dass auch Regieren „Mist“ sein kann – jedenfalls in einer Koalition mit so geringen wirtschafts- und sozialpolitischen Schnittmengen.

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