Energie-Staatssekretär Philipp Nimmermann - Kann der Graichen-Nachfolger Habeck retten?

Wirtschaftsminister Robert Habeck ist angezählt. Der einstige Hoffnungsträger der Grünen ist zur Belastung für die Ampelkoalition geworden. Nun versucht er mit einer mutigen Personalentscheidung zu retten, was noch zu retten ist. Doch das wird schwierig.

Bringt immerhin wirtschaftlichen Sachverstand mit: Philipp Nimmermann / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Beamtete Staatssekretäre sind normalerweise Ingenieure im Maschinenraum der Macht, die auf dem Oberdeck nur diskret in Erscheinung treten. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist das inzwischen anders. Wen Robert Habeck als Nachfolger des über die Trauzeugenaffäre gestürzten Agora-Energiewende-Staatssekretärs Patrick Graichen auswählt, war in den vergangenen Tagen Topthema in Berlin. Denn es ist Habecks letzter Versuch, seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Einer Schlinge, die er sich selbst um den Hals gelegt hat.

Der mit großen Ambitionen und reichlich Vorschusslorbeeren gestartete Wirtschaftsminister und Vizekanzler ist ob seiner Kopf-durch-die-Wand-Klimapolitik, seines schlechten Krisenmanagements und seiner bisherigen Personalauswahl mittlerweile zur Belastung für die gesamte Ampelkoalition geworden. Auch in seiner eigenen Partei verliert der einstige Grünen-Liebling an Rückhalt. Seine Rivalin Annalena Baerbock lauert nur auf Habecks nächsten Fehler.

Keine Verbindung zum Graichen-Netzwerk

Mit der diesen Montag verkündeten Nachfolgeentscheidung hat er noch keinen gemacht. Denn Philipp Nimmermann, der künftige Energie-Staatssekretär unter Robert Habeck, hat den großen Vorteil, dass er nicht aus jenem dunkelgrünen Dickicht staatlich unterstützter Lobbyorganisationen der Windkraft- und Solarindustrie stammt, das in der Affäre Graichen nur schlaglichtartig beleuchtet wurde.

Nimmermann ist Mitglied der Grünen und hat als Staatssekretär in zwei Bundesländern, Schleswig-Holstein und Hessen, reichlich Regierungserfahrung. Doch Energie- und Klimaschutzpolitik gehörte bislang nicht zu seinen Spezialgebieten. Er zählt also nicht zu jener „Klima- und Energieszene“, in der sein Vorgänger Graichen eigenen Worten zufolge „seit über 20 Jahren“ unterwegs war und durch Freundschaften oder (angeheiratete) Verwandtschaften eng eingewoben ist.

Ökonomischer Sachverstand fehlte bisher

Ihm fehlt zwar die Fachkenntnis, aber dafür bringt er den notwendigen Abstand zum Graichen-Netzwerk und dessen Schlüsselorganisation „Agora Energiewende“ mit, ohne den ein glaubhafter Neuanfang in Habecks Ministerium nicht möglich wäre. Zudem ist Nimmermann promovierter Volkswirt, arbeitete vor seinem Wechsel in die Politik als Chefökonom der BHF-Bank in Frankfurt. Er bringt also wirtschaftlichen Sachverstand in die Leitungsebene des Ministeriums, was Habeck zu Beginn seiner Amtszeit offenbar für unwichtig hielt, was ihm schnell auf die Füße fiel.

 

Mehr zum Thema:

 

In Wiesbaden zählt Philipp Nimmermann als Staatssekretär des grünen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir zu dessen besten Leuten. Dass Al-Wazir ihn vier Monate vor der hessischen Landtagswahl als Krisenmanager nach Berlin ziehen lässt, zeigt, als wie ernst die Grünen ihre Lage einschätzen. Nach dem Wahldebakel in Bremen wäre eine weitere Niederlage in Hessen für die Partei verheerend. Nun soll Nimmermann offenbar im Eiltempo in Ordnung bringen, was sein Vorgänger und dessen Chef angerichtet haben: das Chaos um die gesetzliche Wärmepumpen-Offensive, die selbst Stammwähler der Grünen verschreckt hat.

Hat Habeck verstanden?

Über seinen Pressesprecher lässt Robert Habeck folgendes Zitat zu seiner Personalentscheidung verbreiten:

„Mit Philipp Nimmermann kommt ein erfahrener Staatssekretär mit ökonomischer Expertise, viel Verwaltungserfahrung und ein Kenner von politischen Prozessen ins BMWK. Er hat mehrfach bewiesen, dass er hochkomplexe Aufgaben stringent strukturieren kann, in einem politisch aufgeladenen Umfeld breit getragene Lösungen schaffen und mit seinem ökonomischen Verstand und seiner Kenntnis der politischen Debatten sofort in die Themen finden kann. Er wird mit einem frischen Blick die Prozesse neu durchdenken, mit seiner Erfahrung die unterschiedlichen Perspektiven einbinden und mit seiner Stringenz die Energiewende, die Wärmewende und die Transformation voranbringen. Er weiß, wie sich politische Entscheidungen auf Menschen auswirken und weiß, wie man gemeinsame Lösungen findet.“  

Das klingt erst einmal gut. So als hätte der Minister verstanden, dass die Methode Graichen, der seinen Plan zum putschartigen Heizungsumsturz bereits als Chef von Agora Energiewende entwickelt hatte und dann ohne Rücksicht auf Handwerker, Hauseigentümer, heimische Heizungshersteller und Koalitionspartner durchsetzen wollte, dem Land schadet und seine eigene Karriere gefährdet.

Einen Kopf auszutauschen, reicht nicht

Nur reicht diese eine Personalentscheidung nicht aus, um einen wirklichen Neuanfang in der Energie- und Klimaschutzpolitik zu wagen. Graichen ist zwar eine Schlüsselfigur des einflussreichen Netzwerks grüner Energiewende-Utopisten, die ihre wirklichkeitsferne Idee einer wetterabhängigen Stromversorgung der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt mit Beharrlichkeit und Machtbewusstsein verfolgen. Aber dieses Netzwerk wird weiter wirken – im Wirtschaftsministerium und innerhalb der Partei.

Habeck, dem nicht nur die Wärmepumpensache sondern sein ganzes Amt erkennbar über den Kopf wächst, wird sich kaum trauen, auf Konfrontationskurs zu diesen gut organisierten Teil der Grünen gehen. Genau das wäre aber notwendig, um das schwindende Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen und beim nächsten Skandal aus dem verfilzten Energiewende-Komplex nicht selbst zurücktreten zu müssen.

Anzeige