Eine Woche im Leben unserer Ampel-Koalition - Wie ein Keil auf der Flagge zwei Frauen entzweit

Die Arbeit der Ampel-Koalition muss nicht kommentiert werden – sie kommentiert sich weitgehend selbst. Deswegen hat unser Autor Jens Peter Paul eine Art Chronologie der vergangenen acht Tage erstellt. Es ist ein Tagebuch der Kuriositäten.

Regenbogenfahne auf dem Reichstagsgebäude – Familienministerin Lisa Paus war das nicht woke genug / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

So erreichen Sie Jens Peter Paul:

Anzeige

Womit die sich alles herumschlagen müssen – es ist schon krass. Unsere Spitzenpolitiker haben es wirklich nicht leicht. Andererseits: Viele Dinge und Ereignisse muss man als Beobachter dieser Zeiten gar nicht mehr kommentieren – sie kommentieren sich weitgehend von selbst. Auf diesem Feld hat sich die rot-grün-gelbe Bundesregierung bereits in den ersten acht Monaten ihrer Arbeit bleibende Verdienste erworben. Es genügen wenige Sätze, knappe Skizzen, ein paar Äusserungen, Zitate, Widrigkeiten, Ergebnisse und Schlagzeilen – und nur die wenigsten Menschen draussen im Land wird es kalt lassen. Schon gar nicht die naturgemäss politisch besonders interessierten Leser von Cicero. Deshalb hier eine Art Chronologie der vergangenen acht Tage, null polemisch und garantiert nur minimal ironisch-sarkastisch-niederschmetternd: Tagebuch der Kuriositäten – eine Woche im Leben unserer Koalition.

Samstag, 23. Juli 2022

Huch! Benzin plötzlich so billig wie seit einem halben Jahr nicht. Runter bis auf 1,61 Euro der Liter. SPD und FDP heimlich erleichtert (Preisbremse wirkt ja doch), Grüne heimlich sauer (verdammt, Preisbremse wirkt ja doch). Woran es liegt, wissen aber alle drei nicht. „Schell“ (Eigenschreibweise des Magazins Spiegel) meldet trotzdem oder deshalb Rekordgewinne.

Der Bundestag hisst unterdessen anlässlich des Christopher Street Days erstmals die Regenbogenflagge, und zwar gleich morgens um halb sieben, also Stunden, bevor es das erste Mitoderohneglied der Zielgruppe entdecken kann, denn dazu muss es ja erst einmal aufstehen und nach Mitte/Tiergarten radeln. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) dennoch beglückt: „Hach, ein wichtiges Symbol.“ Bild erklärt derweil uns kleinen Dummies „den Scholz-Plan für den Bibber-Winter: Heizkosten-Pauschale, Wohngeld-Reform, Rettungsschirm für Energieversorger“. Letztere freuen sich besonders, denn dank des Kanzler-Machtworts bleiben nicht nur ihre Schäfchen trocken, sondern sie müssen sich auch nicht mehr um so altmodische Dinge wie geltende Verträge kümmern, sondern dürfen ihren Kunden direkt nach Belieben drei- und viermal höhere Preise abverlangen wie abgemacht.

Sonntag, 24. Juli 2022

Der Bund steigt mit insgesamt 15 Milliarden Euro Steuergeld beim finnischen Staatskonzern Uniper ein, denn sonst würde dieser, wie er sagt, ääliö (finnisch für: ruck-zuck) pleite gehen, weil ihn sein neulich noch so toller Partner Gazprom leider, leider hängenlässt und kaum noch liefert. Auf die Idee, erst einmal die Uniper-Aktionäre in die Pflicht zu nehmen mit ihren phantastischen Profiten bis 2021, scheint der demokratische Sozialist Olaf Scholz aber keine Sekunde lang gekommen zu sein. Lieber wird er zum Miteigentümer von zwei schwedischen und unter Volllast laufenden Atomkraftwerken. Aber psssst, nicht weitersagen.

Was Claudia Roth zur Kenntnis nahm: Katharina Wagner verlangt von der Chefin der Bayreuther Festspiele pünktlich zur Spielzeit 2022 endlich ein energisches Durchgreifen gegen Sexismus auf dem Grünen Hügel und die Landeshauptstadt Kiel entzündet auf Twitter drei Kerzen „In Gedenken an die verstorbenen Drogengebrauchenden“.

Montag, 25. Juli 2022

Der Tagesspiegel ist einer ganz heissen Sache auf der Spur: Der Förderverein Berliner Schloß ist rechtsradikal verstrahlt! Beweis: Sein „szenetypisches Vokabular“. Neulich hat er sogar skrupellos den „Schutz der Meinungsfreiheit“ gefordert. Wir hoffen, dass Nancy Faeser bereits Ermittlungen einleiten liess. Keine freien Kapazitäten, sorry – das wäre immerhin eine Erklärung dafür, dass sich das Engagement der SPD-Bundestagsfraktion, herauszufinden, wer auf ihrem Sommerfest am 6. Juli zwölf Frauen und zwei Männer mit k.o.-Tropfen vergiftet hat oder dieses zumindest versuchte, in unverändert überschaubarem Rahmen hält.

Wäre nicht ein interner Chat an die Medien geraten – die Genossen hätten diese Granatenschweinerei wohl am liebsten komplett unter der Decke gehalten. Die taz („Schweigen und weiterverweisen“) fassungslos: Nicht einmal die Jusos, sonst bei jedem schiefen Blick, der eine Person der Farbe möglicherweise in Südtirol getroffen haben könnte, mit NATO-Alarm zur Hand, wollten auf ihre Fragen reagieren. Folgerichtig liegt die Anzahl der bekannten Tatverdächtigen bei null. Der SPD ist der Skandal derart peinlich, dass Frauenrechte im konkreten Fall hier ein wenig zurückstehen müssen. Und nein: Olaf Scholz hat nichts von dem Teufelszeug abgekriegt – der ist immer so.
 

Weitere Artikel von Jens Peter Paul:

Abends spektakulärer Auftritt von Winfried Kretschmann im heute-journal des ZDF aus der lediglich im Publikum beliebten Serie „Grüne am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Gefragt, ob er denn nun ebenfalls einlenke und einer Verlängerung der Laufzeit der verbliebenen drei Atomkraftwerke zustimme, fühlte sich der Ministerpräsident, sagen wir, ein wenig fehlinterpretiert, und bemühte sich nachdrücklich um Richtigstellung: „Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.“ Passend vertont, ein dankbarer Rohstoff für eine Symphonie: Kretschmanns Neinte. Wo ist Stefan Raab, wenn man ihn nicht braucht?    

Dienstag, 26. Juli 2022

Streit in der Bundesregierung um eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets: Während Christian Lindner seine Schuldenbremse in Gefahr sieht, sehen SPD und Grüne die Gefahr, dass die Schuldenbremse 2023 ohne Billigstfahrscheine wieder in Kraft treten könnte. Das Personal der Regionalbahnen sieht dagegen die Gefahr, dank des Massenansturms immer weniger zu werden – so die vernichtenden Zitate des Tagesspiegel, die man im Regierungsviertel zur Kenntnis nehmen musste:

„Wenn man die Berichte der Zugbegleiter liest, kann man nur ausrufen: Nie wieder! Reisen muß teurer werden, die Leute sollen zu Hause bleiben und in ihrer Hood an den Baggersee fahren.“ … „Ich wurde schon angespuckt, geschubst, beschimpft. Eine Kollegin von mir wurde mit der Waffe bedroht. Wir haben viele krankheitsbedingte Ausfälle, weil es Kollegen nervlich nicht mehr packen.“ ... „Neulich hatte ich eine Frau, die ist in Herzhausen eingestiegen und hat sich später beim Verkehrsverbund beschwert, dass ich sie nicht kontrolliert habe. Sie hatte sich extra ein Ticket gekauft und wollte nun auch kontrolliert werden. Außerdem hätten Leute ins Abteil gepinkelt.“

Die Politik will sich feiern lassen, die Rechnung bezahlen die Frauen und Männer an der Front, die sich Realität nennt. Kein Problem für SPD-Chefin Saskia Esken: Diese „Entlastungsmaßnahme“ namens Neun-Euro-Ticket müsse fortgesetzt werden, denn sie sei „voll“ bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen. Das kann man wohl sagen.

Mittwoch, 27. Juli 2022

Schock für Robert Habeck. Es geschieht schon wieder etwas, womit niemand hat rechnen können: Wenn Gasmangel droht, kaufen die Leute elektrisch betriebene Heizlüfter. Jetzt schon, im Hochsommer. Die Baumarktkette Hornbach berichtet von fünfmal mehr Umsatz im Vergleich zum Juli 2021. Für jeden Normalbürger das logischste Welt, für den Wirtschafts- und Klimaminister ein neuerlicher, durchaus unerwünschter Einblick in eine ihm fremde Kultur. Erde an Raumschiff: Bevor sich Kinder und Kanarienvogel in der kalt-feuchten Wohnung die Schwindsucht holen, suchen die Leute Ersatz.

Habecks wochenlanges Gequatsche von „Wir haben kein Stromproblem, wir haben ein Wärmeproblem“, vorgeplappert von verkleideten Aktivistinnen wie Claudia Kemfert und millionenfach, aber vergebens, wie sich nun zeigt, verbreitet von ARD und ZDF, erledigt sich mit einem trockenen FAZ-Artikel.  Und seine Pressestelle macht alles nur noch schlimmer, indem sie erklärt, es gebe lediglich vereinzelt Gaskraftwerke, die für die Netzsicherheit benötigt würden: „Diese Kraftwerke laufen dann wegen der Netzsicherheit und nicht wegen der Stromerzeugung.“ Dass es einen direkten kausalen Zusammenhang gibt zwischen der Menge regenerativ erzeugten Stroms und der Notwendigkeit schnell reagierender Gaskraftwerke, die Schwankungen ausgleichen müssen, wenn der Wind abflaut und ein Wolkenband sich vor die Sonne schiebt, scheint diesen Fachleuten immer noch niemand gesagt zu haben. Verdammte reaktionäre Physik, elende Grundrechenarten! Hinfort mit der Wissenschaft alter weisser Männer!

Donnerstag, 28. Juli 2022

Ärgerlicher Fall von Illoyalität gegenüber dem wunderbaren Projekt der grossen gesellschaftlichen Transformation, begangen durch die Süddeutsche Zeitung: Sie berichtet von Streit zwischen der Innenministerin (SPD) und der Familienministerin (Grüne). Frau Paus wollte es nicht bei der Regenbogenflagge belassen, sondern zog statt dessen eine noch inklusivere hoch, ergänzt durch ein Dreieck. Dieses steht auf der sogenannten Progress-Flagge für transsexuelle und intergeschlechtliche sowie queere nicht-weiße Menschen. Und damit diese sich nicht von der woken Bundesregierung erst recht benachteiligt und unsichtbar gemacht fühlen, sah sie dringenden Handlungsbedarf, was wiederum Frau Faeser als klaren Verstoß gegen den Erlass der Bundesregierung über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes erkannte, dessen Einhaltung die Bundesministerin des Innern zu überwachen hat. Womit sie hier jedoch zu spät kam. Da war der Progress-Keil bereits zwischen die beiden Damen getrieben.

Der Plan der Grünen, möglichst täglich den Beweis zu erbringen, dass es nach dem Rücktritt einer grünen Ministerin durchaus immer auch noch schlimmer werden kann, weshalb von solchen Forderungen künftig im ureigenen Interesse ungeachtet angeblicher oder tatsächlicher Verfehlungen dringend abzusehen sei (sogenanntes „Anna-Spiegel-Paradoxon“), ist ein weiteres Mal voll aufgegangen.    

Derweil dringen Signale der Hysterie und Schmerzensschreie wegen kultureller Aneignung durch eine Mundart-Reggae-Band aus Bern auch an Berliner Politiker-Innen-Ohren. Musiker erdreisteten sich dort, weiss zu sein und trotzdem Rastafrisuren zu tragen. Folge: Konzertabbruch. Ein Eklat, der innerhalb von Stunden Wellen in ganz Europa und speziell in Deutschland schlug, denn dort sind die „Sensibilisierungslücken“, die der Veranstalter zerknirscht bei sich erkannte, ja noch viel grösser als in der Hauptstadt der Schweiz: „Daher möchten wir uns bei allen Menschen entschuldigen bei denen das Konzert schlechte Gefühle ausgelöst hat.“ (Interpunktion wie im Original).

Kommentar von Elvis Presley aus dem Jenseits: „Kenne ich alles. Kenne ich alles nur zu gut. Die Rassisten bei mir zuhause in Memphis wollten mich wegen meiner Negermusik nach meinen ersten Auftritten am liebsten aufhängen.“ Ed Sullivan schnitt ihn fürs Fernsehen unten ab und zeigte den Rock'n'Roll nur oberhalb der Hüfte – zu lasziv sonst für seine Show. Die Tolle durfte Elvis aber 1956 immerhin behalten. Das wird sich nun für Nachfolger ändern.

Zufriedene Pressemitteilung der Bundesregierung: Sie habe diese Woche den „Klima- und Transformationsfonds“ auf den Weg gebracht: „Er wird umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Maßnahmen für die Energiewende und den Klimaschutz fördern.“ Umweltschonend, zuverlässig und bezahlbar. Also genau das Gegenteil dessen, was seit elf Jahren passiert. In der Tat eine Neuerung, die mehr Beachtung verdient hätte.

Freitag, 29. Juli 2022

Rätselraten unter konservativen Politikern: Warum strebt der Nachwuchs nur zu oft ins extrem entgegengesetzte Lager? Was haben wir, um Gottes Willen, nur falsch gemacht? Anlass des verschärften, aber deutlich zu spät kommenden Nachdenkens: Ein jetzt erst auf Twitter erschienener Zusammenschnitt des „Diversity Talks 2022“ des Bayerischen Rundfunks vom 30. Mai, der sich, wie die Schlussabstimmung unter den Teilgenommenhabenden zeigt, als wenig zielführend herausstellte, wie auch Moderatorin Claudia Stamm leicht verdattert angesichts der Umfragebalken erkannte, die so gar nicht in ihrem Sinn waren.

Die ohnehin geringe Begeisterung des jugendlichen Publikums für Sternchen, Gegluckse und sonstige Sprechstörungen schnurrte in Kenntnis des Diskussionsverlaufs auf Werte nahe null. So war das aber nicht gedacht – deshalb das Versprechen der Moderatorin, nun mit doppelter Kraft voranzugehen und „die Diskussion [zu] führen, wie wir die Veränderung weiterkriegen, also wie wir sie schneller voranbringen“, nachdem Gendersprache mit den bisherigen Methoden leider „eben unten dann nicht ankommt“.

Claudias Mutti Barbara errang einst bundesweite Bekanntheit als handfeste und auch gegenüber toxischer Männlichkeit unerschrockene CSU-Kämpferin, wollte oder konnte aber nicht verhindern, dass ihre toughe Kleine erst zu den Grünen ging und anschliessend, als sie mit denen, weil nicht links genug (also die Grünen, nicht die Claudia), fertig war, zum Bayerischen Rundfunk. Dort avancierte sie zur Expertin für Weltverbesserung durch Medienkompetenzprojekte für junge Menschen, speziell Schüler. Weshalb sie allerdings in jener Diskussionssendung die Gender-Ideologie bereits in ihren ersten drei einleitenden Sätzen perfekt der Lächerlichkeit preisgab – darüber rätseln Mutter wie Sender seither gleichermassen.

Soviel an Klartext und Kuriositäten für diese Woche. An Stoff wird es, da sind wir sicher, auch in Zukunft nicht mangeln.

Anzeige