Diskussion um gesetzliche Impflicht - Wie hältst du’s wirklich mit der Freiheit, FDP?

Am Sonntag stimmt die FDP auf einem Parteitag weitgehend pro forma über den mit SPD und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Ärger braut sich trotzdem zusammen. Dass Christian Lindner wenige Wochen nach der Wahl nun plötzlich doch eine gesetzliche Impfpflicht fordert, schadet der Glaubwürdigkeit der FDP. Und es weckt Erinnerungen.

Impfpflicht aus dem Hinterhalt: Christian Lindner / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Am Dienstag, den 8. Oktober 2013, trifft sich zum vorerst letzten Mal die Bundestagsfraktion der FDP im Berliner Reichstag. Kisten und Koffer sind bereits gepackt, und wenn nicht, werden sie zeitnah gepackt sein. „Hoffnung, Beharrlichkeit und Gottvertrauen“, lautet fortan die Losung. Sie ist eingestanzt in Holzmännlein aus dem Erzgebirge, die die Anwesenden mit nach Hause nehmen dürfen. Als Partei steht die FDP im Bund zu diesem Zeitpunkt vor dem Nichts, aber mit leeren Händen gehen, das will man auch nicht. An irgendwas muss man sich ja festhalten.

65 Jahre Parlamentarismus mit den Liberalen gingen damals zu Ende. Bei der Bundestagswahl vier Jahre zuvor kam die Partei noch auf 14,6 Prozent der Zweitstimmen, wurde Juniorpartner der Regierung Merkel. Dann kam der Absturz. Minus 9,8 Prozent stand 2013 auf der Soll-Seite, auf der Haben-Seite 4,8 Prozent. 0,2 Prozentpunkte zu wenig also, um weiterhin Teil des Bundestags sein zu dürfen. So grausam kann Demokratie sein.

Keine großen Überraschungen

Acht Jahre später sind die Liberalen wieder voll da. Zuerst kehrte man unter der Führung Christian Lindners mit über zehn Prozent der Zweitstimmen zurück in den Bundestag, 2017 war das. Im vergangenen September dann die nächste, wenn auch eher moderate Steigerung um 0,8 auf 11,5 Prozent der Zweitstimmen. Ein Ergebnis, das – dem miserablen Abschneiden der Union und dem beachtlichen, wenn ehrlicherweise auch nicht überragenden SPD-Ergebnis von 25,7 Prozent gedankt – nun sehr sicher dazu führt, dass die FDP als eine von drei Regierungsparteien die kommenden vier Jahre mitregieren wird.

Weil dem so ist, stimmen die Delegierten am Sonntag über das Koalitionspapier einer künftigen Ampelregierung ab. Größere Überraschungen oder gar Zwischenfälle sind nicht zu erwarten. Die Zustimmung der Parteimitglieder: eher pro forma. Denn die FDP kann alles in allem zufrieden sein mit dem Ergebnis ihrer Koalitionsverhandlungen. Und das ist sie auch, nach allem, was man aus der FDP-Parteispitze so hört.

Optimismus bei der FDP

Wie ein roter Faden zieht sich durch den Koalitionsvertrag etwa das Thema Digitalisierung. Freilich kein exklusives FDP-Thema, aber eines, das die FDP seit Jahren konsequent besetzt. Man erinnere nur an den 2017er-Slogan „Digital First, Bedenken Second“. Besonders deutlich wird der Verhandlungserfolg der FDP bei ihrem Kernthema: der Wirtschaft. Die wirtschaftspolitischen Ideen und Positionen lesen sich im Koalitionspapier der Ampel-Parteien nämlich deutlich liberaler und pragmatischer, als mancher mit Blick auf die Grünen befürchtet haben mag: von der CO2-Speicherung über ein gewisses Bekenntnis zur Technologieoffenheit bis zur Zukunft des Verbrennungsmotors (hier eine Analyse des Koalitionspapiers).

Anderes wiederum – etwa das symbolträchtige Tempolimit von 130 auf der Autobahn – hat es als Idee nicht einmal über die Sondierungsverhandlungen hinaus geschafft. Weiter freie Fahrt für freie Bürger also. Und auch Steuererhöhungen soll es nicht geben. Neue Substanzsteuern, eine Vermögenssteuer etwa, wie sie SPD und Grüne gerne gehabt hätten, kommen auch nicht. Wie sich all die Ampel-Projekte am Ende finanzieren lassen werden, wird sich daher zeigen müssen. Aber auch da überwiegt derzeit der Optimismus bei der FDP. Man arbeite daran, ist zu hören.

Impfpflicht ist ein scharfes Schwert

Anderes ist ohnehin erstmal wichtiger: zum Beispiel, den durch die Corona-Maßnahmen gebeutelten Wirtschaftsstandort Deutschland wieder anzukurbeln, vor allem, was die kleinen und mittelständischen Unternehmen betrifft. Das dürfte denn auch die erste große Herausforderung des neuen Finanzministers Christian Lindner sein. Keine leichte Aufgabe, aber ganz sicher nicht unlösbar. Also alles gut bei der FDP? Alles im sonnengelben Bereich? Nicht ganz.

Denn eine zentrale Frage tut sich nun, Anfang Dezember, auf; eine, die bis tief in die liberale Seele wirkt: Wie hältst du’s wirklich mit der Freiheit, FDP? „Eine Impfpflicht wäre nicht verhältnismäßig“, sagte Christian Lindner noch am 6. September 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Nun, wenige Wochen nach der Bundestagswahl, klingt das anders. „Eine Impfpflicht ist ein scharfes Schwert, aber ich glaube, sie ist verhältnismäßig“, sagte Lindner am 2. Dezember. Wenn das mal keine Kehrtwende ist.

Ein Mann, ein fundamentaler Widerspruch also, der zwar dafür sorgen mag, dass sich die Ampel-Regierung nicht schon halb zerlegt, bevor sie offiziell gestartet ist. Aber eben auch ein Widerspruch, der einen Schatten wirft auf die FDP, der lang und kalt ist und viele Menschen wohl an einen Ausspruch erinnert, der – wenn auch zu Unrecht, weil nicht belegbar – Konrad Adenauer zugeschrieben wird: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“, lautet er. Dabei hatte sich die FDP die vergangenen Jahre doch so redlich bemüht, den schlechten Ruf von der Partei der Opportunisten abzuschütteln. Und nun das.

In der Natur der Sache

Abstriche machen, Positionen korrigieren, Kompromisse eingehen, all das ist freilich Teil einer Regierungskoalition. Die Grünen werden in den kommenden vier Jahren Schwierigkeiten haben, all die Kompromisse beim Klima- und Umweltschutz, die sie als Regierungspartei werden eingehen müssen, an das eigene Milieu zu kommunizieren und obendrein Realos und Fundis in der Partei beisammen zu halten. Und auch FDP und SPD werden es schwer haben, sich selbst immer treu zu bleiben. Das liegt in der Natur der demokratischen Sache. Das ist nicht verwerflich.

Der Sinneswandel eines Christian Lindners bei der gesetzlichen Impfpflicht allerdings, ob frei von Ampel-Zwängen oder nicht, ist etwas fundamental anderes als die Diskussion bei den Grünen, wie sehr man auf Wasserstoff besteht, der grün ist, oder bei der SPD, wie man das angekündigte „Bürgergeld“ ausgestalten mag, um wirklich behaupten zu können, Hartz IV sei Geschichte. Wasserstoff und Bürgergeld sind Detailfragen, die viel Ermessens- und Gestaltungsspielräume lassen. Die Debatte um die gesetzliche Impfpflicht aber ist eine Grundsatzdiskussion, weil sie mit Werten und Überzeugungen zu tun hat, damit, wie die Freiheit des Einzelnen definiert wird: Sollte ein demokratischer Rechtsstaat seine Bürger zu diesem medizinischen Eingriff verpflichten dürfen? Ja oder nein?

Ein Impfstoff bleibt im Körper

„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“, das ist so ein Satz, den man derzeit häufiger liest und hört, auch immer lauter und aggressiver. Man wird ihn auch bald in Dauerschleife von der FDP hören, wie es aussieht. Denn gemeint ist in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in der Regel, dass die Freiheit des Ungeimpften dort ende, wo die Freiheit des Geimpften beginnt. Dabei ist das andersherum ebenso richtig. Auch die Freiheit des Geimpften hat dort zu enden, wo die Freiheit des Ungeimpften beginnt. Und das ist allerspätestens bei dessen Körper. Denn Freiheit ist kein Exklusivrecht. Entweder sie gilt, oder sie gilt halt nicht.

So wenig Staat wie möglich, das war bisher FDP-Grundkonsens. Der Markt etwa soll sich selbst regulieren und der Staat nur den ordnungspolitischen Rahmen vorgeben. Gleiches galt bei der FDP bisher für das Individuum. In der Corona-Debatte wäre dieser ordnungspolitische Rahmen wohl vergleichbar mit einer 3G-Regelung oder der punktuellen Ermessensentscheidungen, bei einer Inzidenz von über 400 keine Fußballstadien zu füllen. Da geht es um Risikoabwägung für die Gesamtgesellschaft, deshalb ist derlei auch legitim, wenn die juristische Basis stimmt.

Keine Partei der Freiheit

In einem Punkt unterscheiden sich solche Maßnahmen aber ganz grundlegend von einer gesetzlichen Impfpflicht: Sie lassen sich einführen und wieder rückgängig machen; sie sind temporär und für den Einzelnen im Prinzip folgenlos. Ein Impfstoff allerdings, der in einen Körper injiziert wird, bleibt da auch drin. Entweder man findet also, dass Menschen die Freiheit haben müssen, selbst entscheiden zu dürfen, was ihrem Körper getan wird. Oder man sieht das halt anders, kollektivistischer. Dann ist man aber keine Partei, die für Freiheit steht. Kann man gar nicht.

Genau das schreibt sich die FDP aber auf die Fahnen, und genau damit ging die Partei im Bundestagswahlkampf auf Wählerfang. Nicht wenige Menschen dürften ihr Kreuz genau deshalb bei den Liberalen gemacht haben; weil sich die Partei als Stimme einer moderaten, einer pragmatischen Corona-Politik inszenierte, und viele Menschen eben die Schnauze voll hatten und haben von einer Politik, die ihre Grenzen der Pandemie-Bekämpfung wegen nicht mehr zu kennen scheint. Hier ein Gegengewicht zu bilden, das wäre in der Corona-Debatte der Kernauftrag einer Partei, die sich freiheitlich nennt. Der Kernauftrag der FDP.

Vier Jahre Bedeutungslosigkeit

Zurück im Oktober 2013: Das Wahldesaster der FDP hatte dereinst weitreichende Konsequenzen für Partei und Mitarbeiter. Der damalige FDP-Chef und Vizekanzler Philipp Rösler, heute übrigens unter anderem Honorarkonsul für Vietnam in der Schweiz, kündigte bald darauf seinen Rückzug von der Parteispitze an, 600 Menschen verloren ihre Jobs und die FDP stürzte von der Regierungsbank in eine vier Jahre dauernde Bedeutungslosigkeit in der Bundespolitik. Depression inklusive.

Wie das so ist bei Wahlniederlagen, begannen bald aber auch die Analysen, woran dieses Wahldesaster wohl gelegen haben mag. Wie es sein konnte, dass man im Jahr 2009 noch mit 14,6 Prozent in eine Regierungskoalition mit der Union gegangen war – und nur vier Jahre später unter die Fünf-Prozent-Hürde stürzte. Eine Erklärung ist diese: Die Wähler wussten nicht, für welchen Gesellschaftsentwurf die FPD eigentlich steht.

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