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(picture alliance) Boris Palmer: Um Freiheit kämpfen und Grenzen anerkennen.

Boris Palmer antwortet - Die Grünen? Liberal, nicht konservativ!

Die Grünen seien keine Liberalen, sie stünden für einen rigorosen Konservatismus, warf Alexander Grau der Partei in einem Essay vor, der bei CICERO ONLINE erschien. Nun antwortet Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen. Er seziert Graus Denkfehler und erklärt, warum sich die Grünen als liberale Partei verstehen dürfen.

Für Liberale gilt allein das Recht des „Pursuit of Happiness“, der grüne Konservative ist hingegen vor allem von der Überzeugung getragen, es gäbe zeitlose, allgemein gültige Werte, die es unbedingt durchzusetzen gilt, meint Alexander Grau.

Wenn das die Alternative ist, dann will ich auf keinen Fall ein Liberaler sein, sondern aus ganzem Herzen ein grüner Konservativer. Eine Gesellschaft, in der jeder nur an sein eigenes Glück denkt, ist dysfunktional. Sie endet in Anarchie oder Krieg. Und die Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen ist wie die französische Revolution und die Verfassung der USA von genau diesem Gedanken durchdrungen: Dass es zeitlose, allgemeingültige Werte gibt, die es durchzusetzen gilt.

Vermutlich wird auch Alexander Grau zugeben, dass die Menschenrechte sogar für Liberale gelten. Aber wie ist das mit weniger fundamentalen Werten? Ich will tatsächlich, dass die Gesellschaft kinderfreundlich, ökologisch, sozial und verantwortungsvoll ist. Und ich will einen Staat, der die Gesellschaft in der Entwicklung dieser Werte unterstützt. Bin ich deshalb kleingeistig, engstirnig und am Ende stockkonservativ?

Alexander Grau versucht, genau das zu beweisen. Doch ruht die These auf dem brüchigen Fundament einer falschen Definition des Liberalismus. Für Liberale gebe es keine universelle Moral, die den Menschen in seinem Handeln anleitet. Liberal sei es, jedem das Recht zuzugestehen, verantwortungslos und egoistisch zu handeln. Das ist Unsinn, denn natürlich ist das Töten und Stehlen auch für Liberale nicht nur durch den Staat, sondern aus moralischen Gründen verboten. Es waren gerade die bürgerlichen Liberalen, die den Fürsten und Mächtigen Verfassungen abtrotzten, die allen Menschen Rechte zusprachen und Verantwortlichkeit zum Prinzip machten.

Die Freiheit des Einzelnen endet, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt. Schon John Locke hat dies formuliert und dieser einfache Satz muss immer wieder neu interpretiert werden. Man kann darüber streiten, ob ein Auto mit hohem Benzinverbrauch die Freiheit von Afrikanern zur Nahrungsmittelproduktion einschränkt, weil sie kein Öl für Maschinen abbekommen. Wer die Frage bejaht, bleibt aber in bester Übereinstimmung mit liberalem Gedankengut, wenn er Verbrauchsgrenzen für Autos fordert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die von Grau verwandte Definition des Liberalismus eng und falsch ist.

Kurz und gut: Die von Grau verwandte Definition des Liberalismus ist so eng und falsch, dass sich überhaupt kein denkender Mensch als Liberaler bezeichnen könnte, wenn man ihr folgte. Mit dieser Definition gelingt es naturgemäß leicht, den Nachweis einer antiliberalen Haltung zu führen. Doch selbst in dieser Beweisführung sind Fehler der rote Faden:

Es ist kein Indiz für antiliberales Zwangsdenken, wenn die Grünen die Gewerbesteuer auf Freiberufler anwenden wollen, es sei denn, man hielte Steuern insgesamt für antiliberal. Dasselbe gilt für eine Bürgerversicherung, es sei denn man wollte die Pflichtmitgliedschaft in Sozialversicherungen insgesamt abschaffen. Liberalextremisten, die weder Steuern noch Sozialversicherungen akzeptieren, mag es zwar geben, aber sie haben nicht mal in der FDP eine Vertretung. Die so genannte Einheitsschule gibt es in fast allen Staaten der Welt, denn das dreigliedrige Schulsystem ist gerade keine liberale Errungenschaft, sondern ein Relikt der Ständegesellschaft. Die Pflicht zur Wärmedämmung wurde 1984 mit der FDP in der Regierung eingeführt und Tempolimits gibt es überall auf der Erde, weil Rasen das Leben anderer Menschen bedroht. Nicht ein einziges Beispiel taugt als Beleg für antiliberales Denken.

Gleichermaßen fehlerhaft sind die Belege für Angst als gemeinsame emotionale Basis von alten und neuen Konservativen. Man kann ja noch darüber streiten, ob wir Panik oder viel eher unfassbare Sorglosigkeit gegenüber Klimakatastrophe und atomarem GAU dominieren lassen. Nicht bestreiten kann man aber, dass der Bau von Atomkraftwerken und die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre keine Objekte der individuellen Selbstbestimmung sind, sondern gesellschaftliche Entscheidungen erfordern, für oder gegen Atomkraft, für oder gegen fossile Brennstoffe. Weil das so ist, kann man sich als Liberaler für oder gegen Atomkraft, für oder gegen Öl- und Kohleförderung einsetzen. Und zwar nicht aus Angst, sondern aus Berechnung. Hier ist kein individuelles Freiheitsrecht berührt, sondern eine kollektive Entscheidung über die Energieversorgung letztlich der ganzen Welt erforderlich.

Solch grundlegende Entscheidungen haben natürlich Auswirkungen auf individuelle Lebensstile. Und hier liegt das letzte gedankliche Missverständnis. Denn Graus Liberalismus könnte - wenn überhaupt - nur in einer Welt ohne Grenzen gedeihen. Da es aber eine Vielzahl natürlicher Grenzen gibt, die wir unglücklicherweise als Menschheit bereits überschreiten, gibt es die Option, gar nicht, einfach das zu tun, was uns Spaß macht. Wir können nicht mehr Öl verbrennen, als sich fördern lässt,  wir können nicht mehr Fische fangen, als in den Meeren schwimmen, wir können nicht mehr Äcker bebauen, als es Land gibt. Die Politik hat die schwierige Aufgabe, diese kollektiven Grenzen in Regeln für das Individuum zu übersetzen.

Das löst bei manchen Zeitgenossen Aversionen aus. Sie bestreiten die Existenz des Problems, erregen sich über stockkonservative grüne Tugendapostel oder sprechen dem Staat das Recht zu solchen Eingriffen ab. Doch letztlich verschließen sie die Augen vor der Tatsache, dass Grenzen, die uns von der Natur gemeinsam gesetzt sind, auch Grenzen für das Individuum zur Folge haben. Diese Auseinandersetzung wird in vielen Staaten der Welt geführt. Die Tea-Party in den USA ist ein besonders abschreckendes Beispiel der Sehnsucht nach grenzenloser Freiheit, die es in einer begrenzten Welt nicht geben kann. Mit Liberalismus hat das aber alles nichts zu tun. Und deshalb dürfen sich die Grünen auch weiterhin als liberale Partei verstehen. Eine Partei eben, die für Selbstbestimmung und Freiheit kämpft, aber deren Grenzen erkennt, zum Wohle aller beachtet und in vernünftiges Handeln übersetzt, statt sie zu negieren.

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Sandra Fischer | Mo., 17. Juli 2017 - 20:11

Nein, die Grünen sind - leider - nicht konservativ. Obwohl die Natur es nötig hätte, konservativ mit ihr umzugehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein zu liberaler Umgang mit Ressourcen, mit Flora und Fauna ist gefährlich. Das Gleiche betrifft die Völker, die eine Geschichte, eine Identität haben, die man achten sollte, denn es handelt sich um etwas lange Gewachsenes, mitsamt ihrer Kultur, ihrer Sprache und Eigenheit. Es ist KEIN Fortschritt, Sozialkassen zu plündern, die Bevölkerung zu überfremden, kriminelle Schleuser zu unterstützen und Terroristen aufzunehmen, und der Begriff Weltoffenheit ist leer wie ein Stück Papier, er steht für ein Fass ohne Boden. Solche Politik ist keine mehr, sondern unrealistischer Wahnsinn.