Fällt Faeser über Schönbohm? - „Sie war unzufrieden und fand die Dinge zu dünn“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser versuchte viel, um belastende Belege gegen den ehemaligen BSI-Chef Arne Schönbohm finden zu lassen. Am Ende fand sich nichts, aber Schönbohm war seinen Posten los. Was trieb die Ministerin dazu?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Immerhin: Abhören ließ sie Arne Schönbohm jedenfalls nach Aktenlage nicht, und auch von der Beobachtung durch Agenten ist keine Rede. Sonst aber setzte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor einem Jahr alle Hebel in Bewegung, um belastendes Material gegen ihren Cyber-Abwehrchef Arne Schönbohm in die Hand zu bekommen, den sie partout loswerden wollte – aus Gründen, über die sie bis heute nicht spricht. Spekulation: Er galt ihr als konservativ und als CDU-nah. Dieses Bild ergibt sich, nachdem seit heute eine hausinterne E-Mail kursiert, die nach Recherchen der Bild-Zeitung von Ministerialdirigent Jörg Eickelpasch stammen soll, Leiter der Unterabteilung Z 1 im Bundesinnenministerium (BMI) und damit Personalchef des Hauses.

Deren Echtheit wird zur Stunde offiziell weder bestätigt noch bestritten. Die Nachricht hat es in sich, beweist sie – sofern authentisch, was ins bisherige Bild passen würde – doch, mit welcher Verbissenheit Faeser die Zentralabteilung ihres Ministerium sowie weitere ihr unterstehende Behörden nach Gründen fahnden ließ, um Schönbohm loszuwerden.   

Das Datum besagter E-Mail ist auf der Kopie, die heute am Rande einer Sitzung an die Öffentlichkeit geriet, nicht erkennbar. Damit ist auch unsicher, ob sie vor oder nach jener ZDF-Sendung vom 7. Oktober 2022 geschrieben wurde, die bislang als Auslöser des Skandals um Schönbohm und seine Entlassung galt. Wortlaut:

Disziplinarverfahren Schönbohm: sie [Faeser] unterzeichnet unsere Vorlage derzeit nicht und war sichtlich unzufrieden. Sie fand die Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu „dünn“ – wir sollten nochmals BfV [Bundesamt für Verfassungsschutz] abfragen und alle Geheimunterlagen zusammentragen.

Ich habe ihr gesagt, dass wir alle relevanten Behörden und Abteilungen bereits beteiligt hätten und es schlicht nicht mehr gäbe. Auch habe ich ihr gesagt, dass sie ein Substrat erhalten habe und dass der größere Vermerk überzeugender sei. Sie möchte sich diese größere Unterlage selbst ansehen. Ich habe zusagt [sic], ihr diese Unterlage außerhalb des Dienstweges zukommen zu lassen.

ZI2: bitte die Version des Langvermerks, den Sie mir im Entwurf vorgelegt hatten, als Ausdruck schicken. Ich gebe das dann als Papierversion nach oben.

Außerdem bat sie um folgende Nacherhebungen (sofern dies nicht bereits erfolgt ist): wir sollen im Vereinsregister prüfen, ob Schönbohm tatsächlich nicht mehr registriert ist und wir sollen anhand des Handelsregister prüfen, ob er tatsächlich seine Firma verkauft hat. Zu letzterem meine ich, dass Schönbohm mir die entsprechenden Nachweise über den Verkauf übersandt hatte – diese bitte dem Ausdruck beifügen.

Verdacht: Faeser benutzte das ZDF

Abgezeichnet wurde die Mail von einem vorgesetzten Adressaten im BMI augenscheinlich neben der Paraphe mit „6/9“, das wäre der 6. September 2022, also einen Monat vor der ZDF-Sendung, zusammen mit dem Vermerk „Danke. Habe ich der Ministerin unmittelbar z. K. [zur Kenntnis] gegeben.“ Das wiederum würde bedeuten: Faeser feuerte Schönbohm sechs Wochen nach dieser Mail, obwohl sie wusste, dass partout keine Belastungsmomente gegen ihn vorlagen.

Die hier skizzierte zeitliche Abfolge würde weiterhin heikler noch den Verdacht erhärten, die Bundesinnenministerin habe eben in Kenntnis dieser Tatsache unmittelbar anschließend, also noch im September 2022, nach anderen Wegen gesucht, Schönbohm zu diskreditieren zum Beispiel über Bande, zum Beispiel durch die Instrumentalisierung des ZDF und dessen Sendung „Magazin Royale“, und in Jan Böhmermann einen willigen Abnehmer und Vollstrecker gefunden. Böhmermann leistete dann aber wie von ihm gewohnt nur miserable Recherchearbeit und beschuldigte Arne Schönbohm in, wie sich bald herausstellen sollte, völlig unhaltbarer und verleumderischer Weise, was bereits Stunden später aufflog.

Gab es ein Disziplinarverfahren?

Andererseits ist in der Mail ausdrücklich vom „Disziplinarverfahren Schönbohm“ die Rede. Sollte ein solches bereits Anfang September 2022 im Gange gewesen sein, ließe das den gesamten Vorgang „Faeser-Schönbohm“ in einem neuen Licht erscheinen. Bisher gingen die Öffentlichkeit und auch Schönbohm selbst davon aus, dass ein Disziplinarverfahren mangels konkreter Anhaltspunkte für dienstliche Verfehlungen zu keinem Zeitpunkt stattfand, obwohl Schönbohm es gegen sich selbst beantragt hatte, damit seine Unschuld bewiesen werde. Ganz oben rechts wird demgegenüber ein „Abschluss der Vorermittlungen“ erwähnt, was wiederum ein anderes Stadium beschriebe. Mehr Sinn ergäbe die handschriftliche Ergänzung, sollte statt 6/9 das Datum „6/3“ gemeint sein, also 6. März 2023 das passte auch besser in die bisher bekannten Abläufe und hieße, Faeser hätte bis ins Frühjahr verbissen, aber vergebens versucht, Schönbohm nachträglich am Zeug zu flicken. Es ist jedenfalls durch und durch merkwürdig.

Entstand besagte E-Mail erst nach Ausstrahlung der ZDF-Sendung, wäre das für Verfassungsministerin Faeser allerdings genauso ungünstig, bedeutete es doch, dass sie Schönbohm am 18. Oktober 2022 seines Amtes enthob, obwohl sie bereits zu diesem Zeitpunkt genau wusste, dass ihm trotz intensivster Bemühungen, sogar trotz eines hinter seinem Rücken in Gang gesetzten Disziplinarverfahrens plus Einschaltung des Verfassungsschutzes nichts vorzuwerfen war, augenscheinlich nicht einmal eine falsche Reisekostenabrechnung oder ein unziemlicher Blick auf ein Dekolleté, geschweige denn die Nähe zu einem Cyberverein mit angeblichen Kontakten zu russischen Geheimdiensten.

Erinnerung an Kießling-Affäre

Immer vorausgesetzt, besagte E-Mail ist echt, was nach Angaben aus dem Innenausschuss des Bundestags – weil angeblich vom Ministerium bestätigt – der Fall ist, hätte es die Bundesrepublik nunmehr endgültig mit dem größten Verleumdungsskandal seit der Affäre um den Vier-Sterne-General Günter Kießling zu tun, der vor 40 Jahren seinen Posten bei der Bundeswehr wegen angeblicher Homosexualität räumen musste. Nach intensiven Recherchen von Journalisten wurde er einige Monate später aber auf Drängen von Bundeskanzler Helmut Kohl vollständig rehabilitiert, weil nur so Verteidigungsminister Manfred Wörner seine Entlassung knapp verhindern konnte.

Spätestens an dieser Stelle wird erkennbar, dass auch der aktuelle Vorgang das Potential hat, Nancy Faeser vier Wochen vor der hessischen Landtagswahl in maximale Schwierigkeiten zu bringen, sogar das Ministeramt zu kosten. Gleichzeitig könnte er auch das vorzeitige Ende der Amtszeit von ZDF-Intendant Norbert Himmler zur Folge haben, zumal der sich bis heute weigert, die notwendigen Konsequenzen aus der -zigfach als unsäglich dokumentierten Arbeitsweise seines Vorzeige-Satirikers Böhmermann zu ziehen, auch und gerade in der Causa Schönbohm.

Nicht einmal eine Untersuchung der Entstehung besagter Sendung vom 7. Oktober hielt Himmler bisher für erforderlich; alle diesbezüglichen Beschwerden wurden, wie es die Regel ist im ZDF-Fernsehrat, en bloc abgeschmettert. Dass sich Böhmermann ebenfalls einen neuen Job suchen müsste, verstünde sich in diesem Szenario hoffentlich von selbst.

Ministerin krank, SPD-Kandidatin munter

Nancy Faeser selbst entzog sich heute morgen einer eigens für sie anberaumten Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages, in der die offenen Fragen geklärt werden sollten, und nannte gesundheitliche Gründe. Die von ihr stellvertretend entsandte Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter sprach nach Teilnehmerangaben von „Corona“.

 

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Die Abwesenheit der Ministerin in Berlin und ihre Begründung warfen umgehend weitere Fragen auf, denn Faeser hatte sich am 27. August auf Twitter-X mit einer Corona-Infektion krank gemeldet, am Wochenende aber wieder mehrere Wahlkampftermine im heimischen Hessen absolviert – so am Montag in einem Frankfurter Café zwecks Vorstellung einer SPD-Plakatreihe, umgeben von vielen Menschen –, und sie gab nach Darstellung des CDU-Abgeordneten Marc Henrichmann heute morgen zwischen 11:00 und 11:45 Uhr der Deutschen Presseagentur in Wiesbaden vis-á-vis ein Interview, also just zur Zeit der Sondersitzung in Berlin.

Während die Bundesinnenministerin Faeser an Corona leidet und Kontakte meiden muss, so der Eindruck von Beobachtern, ist die SPD-Wahlkämpferin Faeser putzmunter. Henrichmann zu Cicero: „Das ist ein handfester Skandal.“    

ZDF soll 100.000 Euro zahlen

Unterdessen lässt es das ZDF auf eine sechsstellige Schadenersatzklage ankommen, die derzeit von Schönbohms Berliner Presserechtsanwalt Markus Hennig formuliert wird. Hennig hatte das ZDF mit Frist bis heute abend abgemahnt, verleumderische Behauptungen gegen seinen Mandanten nicht zu wiederholen und 100.000 Euro Wiedergutmachung zu zahlen. Beides lehnte der Sender unverzüglich ab, sodass der Fall nun als Hauptsacheklage an ein noch auszuwählendes Gericht geht.

Gleichzeitig klagt Schönbohm vor dem Kölner Verwaltungsgericht nach langer Überlegung gegen das Bundesinnenministerium auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht, die Verschleppung der Vorermittlungen zu einem möglichen Disziplinarverfahren und wegen Mobbings. Neue Beweismittel liegen, wie zu sehen, seit heute vor. Eine Entscheidung, auch gegen Böhmermann vorzugehen, wurde noch nicht getroffen. Man wolle ihn nicht vorschnell zum Märtyrer machen, hieß es.

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