Debatte um Cannabislegalisierung - Ex-Cop im Interview: „Eine kluge Regulierung ist besser als ein Verbot“

Die Europäische Kommission prüft derzeit, ob die vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte für eine Cannabislegalisierung in Deutschland mit EU-Recht vereinbar sind. Kaum jemand kennt sich bei dem Thema so gut aus wie Lewis Koski. Der ehemalige US-Cop erklärt im Interview, warum er für eine Legalisierung ist, wie eine solche ausgestaltet werden muss und warum er glaubt, dass Deutschland hier eine Vorreiterrolle für Europa einnehmen könnte.

Vegetationsraum für Cannabis / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Lewis Koski ist ein ehemaliger US-Polizist und Chief Strategy Officer bei Metrc. Das Unternehmen bietet Softwarelösungen für den Cannabismarkt an. 

Herr Koski, Sie sind in diesem Jahr, erzählten Sie mir im Vorgespräch, bereits das sechste oder siebte Mal in unseren Breitengraden, um sich auch ein Bild zu machen über den Stand der Cannabislegalisierung in Deutschland und Europa. Wie sieht Ihr US-amerikanischer Blick darauf aus? 

Der europäische Markt ist eigentlich sehr groß, derzeit aber noch eher klein. Das Thema medizinisches Cannabis zum Beispiel steht erst seit wenigen Jahren auf der Agenda. Gleichzeitig sehe ich schon, dass das Thema in Europa immer mehr diskutiert wird, auch mit Blick auf die Legalisierung von Gennusscannabis. Unterm Strich dürfte sich hier in den kommenden Jahren sehr viel tun. Das zeigt ja auch das Vorhaben der deutschen Bundesregierung, Cannabis zu Genusszwecken legalisieren zu wollen. 

Sie sind Chief Strategy Officer beim US-Unternehmen Metrc. Was macht ihr Unternehmen? 

Im Grunde sind wir ein Software-Unternehmen, das Lösungen für die Verfolgung von Cannabis-Lieferketten anbietet. Unser System wird von Regierungsbehörden gekauft, in deren Ländern Track und Trace bei Cannabis vorgeschrieben ist, aber auch von jenen, die das System freiwillig nutzen, um den Cannabismarkt auf eine wirklich transparente Art und Weise zu überwachen. 

Wie funktioniert dieses System? 

Wir versehen Cannabispflanzen mit RFID-Tags. Wenn diese Pflanzen dann geerntet werden, werden alle Pakete, die aus dieser Cannabisernte hervorgehen, markiert, womit wir ihnen sozusagen ein Gesicht geben. Teile der Cannabisernte werden zum Beispiel an Hersteller weitergeleitet, die daraus Esswaren, Lotionen, Öle und anderes herstellen. Dank unseres Systems können wir entlang der gesamten Lieferkette Daten sammeln, auch bei Bewegungen innerhalb eines Unternehmens. Die Datensammlung beginnt also bei der Ernte und reicht bis zu allen Verkaufsdaten, die auf der Großhandelsebene und im Ladengeschäft anfallen. Diese Daten werden erfasst und Regierungen können sie in Echtzeit einsehen. In den vergangenen Jahren ist Metrc stark gewachsen. Derzeit sind wir noch vor allem in den USA aktiv, suchen aber gezielt Möglichkeiten für eine Expansion nach Europa. 

Vor Ihrer Zeit bei Metrc waren Sie Polizist in Colorado. Was war ihr Job? 

Angefangen habe ich als Polizeibeamter, der in bestimmten Gebieten der Stadt Streife fuhr. Ich war auch verantwortlich für die Entgegennahme von Anrufen und die Untersuchung von Verbrechen, die in meinen Einsatzgebieten passierten. Dazu gehörten natürlich auch Drogendelikte. Später war ich bei einer Behörde, die für die strafrechtliche und regulatorische Durchsetzung von Regeln in der Kasino-Glücksspielindustrie verantwortlich war.

Als in Colorado dann eine Behörde für die Lizenzierung und Regulierung des Cannabismarktes gegründet wurde, war ich der erste Kriminalbeamte, der dorthin gewechselt ist. Im Zuge dessen habe ich erkannt, dass es bessere Wege gibt die Strafverfolgung zu unterstützen: eine kluge Regulierung nämlich. Denn die strafrechtliche Durchsetzung mag in manchen Bereichen zwar sehr effektiv sein. Sie hilft aber nicht dabei, dem Konsumenten ein sicheres Produkt zu bieten, wie es kluge Regulierung kann. 

Eine gute Regulierung ist besser als ein Verbot? 

Ja. Ich würde sagen, dass viele US-Bundesstaaten bereits sehr erfolgreich sind bei der Umsetzung umfassender Regulierungsprogramme, die streng durchgesetzt werden können, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, und die gleichzeitig so gestaltet sind, dass funktionierende Geschäftsmodelle entstanden sind. Darunter beispielsweise Kalifornien, Colorado, Washington, Oregon und Alaska. Die Regulierungsprogramme sind natürlich individuell ausgearbeitet, weil es in den verschiedenen Bundesstaaten auch unterschiedliche Rahmenbedingungen gibt.
 

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Letztendlich geht es aber immer auch darum, den Verbraucher zu schützen. Dazu zählen zum Beispiel Lizenzierungsstrukturen für alle Cannabisunternehmen, die am Markt teilnehmen wollen. Womit wir wieder bei unserem System wären, das immer die individuellen staatlichen Anforderungen berücksichtigt. Zum Beispiel Daten zur Bewässerung der Pflanzen erfasst oder darüber, welche Pestizide vielleicht eingesetzt wurden, um einen Schädlingsbefall zu verhindern. 

Was sind die entscheidenden Punkte, auf die sich eine Regierung bei einem Legalisierungsvorhaben konzentrieren muss? 

Es wäre, glaube ich, erst einmal wichtig, dass die europäischen Regierungen, insbesondere auch die deutsche Bundesregierung, jene Verfahren kennen, die sich in anderen Ländern rund um den Globus bewährt haben. Im nächsten Schritt gilt es dann, jene Aspekte zu identifizieren, von denen man glaubt, dass sie auch zum Beispiel in Deutschland zielführend wären. Man muss das Rad also nicht neu erfinden, sondern die Regulierung nur an die individuellen Rahmenbedingungen anpassen. Ein Beispiel für eine Rahmenbedingung, die von Land zu Land variiert: der Cannabisanbau. Anders als viele andere Länder, in denen Cannabis bereits legal als Genussmittel konsumiert werden kann, wird Deutschland sein Cannabis zum großen Teil wohl importieren müssen. Dafür braucht es natürlich gewisse Regeln und Strukturen, die erst geschaffen werden müssen. 

Sie kennen sich am internationalen Cannabismarkt bestens aus. Von welchem Land könnte Deutschland denn besonders lernen? 

Ich würde sagen, dass es viele Märkte gibt, die teilweise Schnittmengen mit Deutschland aufweisen. Insbesondere auch in den USA. Aber kein Land, das Deutschland einfach kopieren könnte. Es gibt aber ganz unterschiedliche Ansätze, wo man sich die für die eigene Legalisierung und Regulierung entscheidenden Faktoren abschauen könnte. 

Ich formuliere es anders: Was muss Deutschland tun, damit wir nicht in einen Teufelskreis kommen, wie man ihn in den Niederlanden sieht? Die halbgare Regulierung hat dort dazu geführt, dass kriminelle Organisationen auf einem teilweise legalisierten Markt mitmischen. 

Ich würde bei Fehlern, die es zu vermeiden gilt, ungern mit dem Finger auf ein Land im Speziellen zeigen. 

Das ist aber ein bisschen sehr diplomatisch, oder? 

Lassen Sie es mich folgendermaßen formulieren: Probleme entstehen immer dann, wenn eine Regierung aus einer gewissen Unentschlossenheit heraus handelt. Oder wenn sie nicht weiß, was eigentlich die konkreten Ziele ihres Vorhabens sein sollen. Ein gut regulierter Markt braucht Gewissheit und Glaubwürdigkeit. Eine Sache, die ich zum Beispiel an unserem System mag, ist, dass es Konservativen gewisse Bedenken nimmt. Beispielsweise bei den Themen Produktsicherheit und zielgerichtete Strafverfolgung.

Ein Beispiel ist ein Polizeibeamter. Wenn er ein Gewächshaus in Colorado, Kalifornien oder Maryland betritt, sieht er auf den ersten Blick, dass es eine etablierte Kennzeichnung gibt, die von jedem in der Branche verwendet wird; dass es sich also um einen regulierten Anbau handelt. Wenn der gleiche Polizist ein anderes Gewächshaus betritt, wo es diese Kennzeichnungen nicht gibt, weiß er sofort, dass es sich nicht um einen regulierten Cannabisbetrieb handelt, sondern um einen, der kriminell ist oder aus einem illegalen Umfeld stammt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es das eine perfekte Konzept nicht gibt. Was für Kalifornien das Beste ist, muss nicht zwangsläufig auch für Deutschland der beste Ansatz sein. 

Das Thema Cannabislegalisierung hat in Deutschland selbstverständlich viele Facetten. Zu zwei konkreten Diskussionen würde ich mich aber über Ihre Meinung freuen. 

Gerne. 

Die erste Diskussion dreht sich um die Frage, woher der Endverbraucher sein Cannabis bezieht. Unterm Strich gibt es hier zwei Ansätze. Der erste ist, dass ausschließlich Apotheken Cannabis verkaufen, weil das Personal aufgrund seines medizinischen Wissens auch gut über Risiken und Nebenwirkungen informieren kann. Der zweite ist, den Markt zu öffnen und den Verkauf von Cannabis auch lizenzierten Geschäften zu ermöglichen, die keine Apotheken sind. Was halten Sie für zielführender? 

Beides hat seine Vor- und Nachteile. Ich würde sagen, wenn es sich um medizinisches Cannabis handelt, macht es Sinn, dieses in Apotheken zu verkaufen. Denn es geht ja darum, dass ein Patient mit einem konkreten Leiden kommt, das mit Cannabis gelindert werden soll. Wenn es aber darum geht, dass erwachsene Menschen Cannabis zu Genusszwecken konsumieren, scheint mir eine medizinische Beratung beim Kauf nicht unbedingt notwendig.

In den USA zum Beispiel gibt es lizenzierte Geschäfte, die Cannabis sowohl als Arzneimittel als auch zu Genusszwecken verkaufen. Die Verkäufer werden gut geschult, um insbesondere naive Cannabiskonsumenten besser zu informieren. Sie wissen, was die verschiedenen Vor- und Nachteile sowie die Herausforderungen bei der Verwendung bestimmter Produkte sind. Die entscheidende Frage ist auch hier: Welche Ziele verfolgt eine Regierung mit den Informationen, die sie dem Konsumenten am Verkaufsort zur Verfügung stellen will? Daraus ergibt sich dann auch eine Antwort auf die Frage, ob Cannabis nur in Apotheken verkauft wird, zu Genusszwecken auch in lizenzierten Geschäften oder ob eine stationäre Mischform aus Apotheke und lizenziertem Geschäft sinnvoll ist. 

Bleiben wir kurz bei den lizenzierten Geschäften. Sie sprachen gerade von den geschulten Mitarbeitern, die in den USA Cannabis an den Konsumenten verkaufen. Wie gut sind die denn in der Regel geschult? 

Das variiert ziemlich stark, aber nicht nur beim Cannabis. Nehmen wir das Beispiel Alkoholverkauf. Es gibt in den USA Schulungsprogramme für verantwortungsbewusste Verkäufer von Alkohol. Teil dieser Weiterbildung ist etwa, woran sich erkennen lässt, dass ein Käufer bereits betrunken ist, und inwiefern es Sinn macht, ihn beim Kauf deshalb zusätzlich aufzuklären.

Ein großer Teil dieses Konzepts wurde auch auf den Cannabis-Markt übertragen. Dazu gehört etwa, dass Läden bestimmte Anreize erhalten, um ihre Kunden pflichtbewusst aufzuklären. Am meisten Zeit sollte dabei immer auf das konkrete Produkt entfallen. Welche Produkte sind für welchen Zweck am besten geeignet? Oder bei Esswaren eine Aufklärung darüber, in welcher Form man sie am besten konsumiert, inklusive Erfahrungsberichten.  

Ex-Cop Lewis Koski / 

Eine andere Diskussion ist diese: In Deutschland gilt Alkohol weitgehend als Kulturgut. Er wird ganz selbstverständlich in der Gemeinschaft konsumiert oder während des Essens. Nun sagen die Konservativen mit Blick auf das Legalisierungsvorhaben der Ampelregierung: Wir haben bereits große Probleme mit Alkohol im Land. Wenn jetzt auch noch Cannabis legalisiert wird, haben wir sozusagen zwei Drogen im Umlauf, die zu einem verantwortungslosen Konsum und letztlich zur Abhängigkeit führen können. Was denken Sie darüber? 

Diese Diskussion gab es auch bei uns in Colorado damals. Viele Menschen – Konservative ebenso wie Strafverfolgungsbehörden – äußerten ähnliche Bedenken wie jene, die Sie gerade formuliert haben. Nicht nur mit Blick auf Alkohol, sondern auch auf Glücksspiel zum Beispiel. Also wurden nach der Legalisierung von Cannabis entsprechende Daten erhoben mit dem Ergebnis, dass es keinen signifikanten Anstieg gab beim Cannabiskonsum. In den ersten Jahren nach der Legalisierung war der Cannabiskonsum unter Jugendlichen in Colorado sogar rückläufig. Ich denke also nicht, dass der Cannabiskonsum zwangsläufig stark zunimmt, wenn Cannabis zu Genusszwecken legalisiert wird. 

Wann werden wir im Westen den Punkt erreicht haben, dass mit Cannabis genauso selbstverständlich umgegangen wird wie mit Alkohol?  

Hier eine Prognose zu treffen ist schwierig. Ich denke aber, dass es sehr interessant sein wird, was sich bei dem Thema in Deutschland tun wird in den nächsten Jahren. Als Unternehmen sind wir jedenfalls optimistisch, dass sich die Legalisierung von Cannabis auch in Europa verbreiten und sich letztlich durchsetzen wird. Gleichzeitig ist uns wichtig, dass die öffentliche Gesundheit und die öffentliche Sicherheit geschützt wird, was nur durch transparente und glaubwürdige Marktplätze für Cannabis gelingen kann. Ich glaube, Deutschland hat das Potenzial, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Wenn die Bundesrepublik legalisiert und auch die EU sich auf einen gemeinsamen Ansatz einigt, könnte es in den nächsten zehn Jahren zu einer umfassenden Legalisierung in Europa kommen.

Ein großer Vorteil könnte hierbei sein, dass deutsche Politiker kaum etwas so sehr lieben wie den Anspruch, Deutschland müsse irgendwie Vorreiter sein. 

Das Potenzial ist jedenfalls groß und soweit ich das überblicke, wird in Deutschland bereits hart an den politischen Rahmenbedingungen gearbeitet. Auch gemeinsam mit verschiedenen Interessenvertretern, um möglichst viele Meinungen und Perspektiven einzubeziehen. Deutschland könnte in dieser Hinsicht definitiv eine Vorreiterrolle einnehmen. 

Das Gespräch führte Ben Krischke
 

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