Debatte um AKW-Laufzeitverlängerung - Vorstoß in Bayern: Kernkraftbetreiber drängt auf schnelle Entscheidung

Weil sich Deutschland unabhängiger machen will von russischem Öl und Gas, steht eine mögliche Laufzeitverlängerung verbliebener Atomkraftwerke im Raum. Der Freistaat Bayern geht bei dem Thema nun voran und trägt die Debatte in die Öffentlichkeit – mit einer Expertenanhörung im Landtag. Der Standortleiter des letzten noch laufenden bayrischen Kernkraftwerks mahnt zur Eile: Die Politik solle sich noch diesen Monat entscheiden.

Mit Volldampf bis Ende 2022 - oder länger? Das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 ist noch am Netz / dpa
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Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Der FDP-Landtagsabgeordnete Albert Duin brachte die deutsche Debatte um Atomkraft am Donnerstagvormittag wohl am besten auf den Punkt. Der Wirtschaftsausschuss des Bayerischen Landtags hatte zum zweistündigen Expertengespräch unter dem Titel „Kernenergie – mögliche Verlängerungen der Laufzeiten, Auswirkungen des Auslaufens auf die Netzstabilität“ in den Senatssaal im zweiten Stock geladen. Irgendwann war Duin mit seiner Wortmeldung an der Reihe, und sagte, sichtlich erregt, diesen Satz: „Da reden viele Blinde von der Farbe.“ Und damit dürfte Duin durchaus Recht haben. 

Denn das Diskussionthema Kernenergie besteht im Prinzip aus zwei Aspekten, die sich schwer miteinander vereinbaren lassen: eine fachliche – und eine emotionale Komponente, die immer wieder auch mit halbseidenen Vergleichen und Vorstellungen von der Gewinnung von Kernenergie einhergeht, die sich nur teilweise decken mit der deutschen Atomkraft-Realität. Eines der größten Reizwörter in dieser Diskussion ist „Fukushima“, jene japanische Stadt also, in der sich im März 2011 infolge von Sicherheitsmängeln und einer Verkettung unglücklicher Umstände eine Nuklearkatastrophe ereignete, die bald darauf auch zum – vom Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossenen – geplanten Atomausstieg bis Ende 2022 geführt hat.
 

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Heute, ein gutes halbes Jahr vor dem viel zitierten „Point of no return“, steht der endgültige Abschied von der Kernenergie allerdings insofern zur Disposition, dass plötzlich über eine Laufzeitverlängerung von drei bis fünf Jahren für manche der restlichen, noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke diskutiert wird. Nicht etwa, weil man bahnbrechende neue Erkenntnisse bei der Kernenergie zu bieten hätte. Sondern deshalb, weil der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar diesen Jahres die Ukraine überfallen hat – und sich die Bundesrepublik nun unabhängiger machen soll und will von russischem Öl und Gas. Das Problem: Vor allem Letzteres, die russischen Gaslieferungen, waren allerdings fix eingeplant für die hiesige Energiewende. Solange wenigstens, bis sich Deutschland nicht allein aus Erneuerbaren versorgen kann; was noch eine ganze Weile dauern dürfte.

Ganz oben auf der energiepolitischen Agenda

Weil dem so ist und weil Bayern einen Landesvater Markus Söder hat, der auf sich drehende Stimmungen in der Bevölkerung zu reagieren weiß wie kein zweiter Landeschef in der Bundesrepublik, steht die Debatte um eine mögliche Laufzeitverlängerung der verbliebenen Atomkraftwerke nun offenbar ganz oben auf der energiepolitischen Agenda im Freistaat. Die CSU, das wurde während des Expertengesprächs am Donnerstag deutlich, scheint klar dafür zu sein. Auch die Freien Wähler, Juniorpartner in der Landesregierung, plädieren für eine Laufzeitverlängerung, ebenso Vertreter der FDP und auch der AfD.

Auf der anderen Seite stehen die bayerischen Grünen, die überwiegend dagegen scheinen – was auf andere grüne Parteien außerhalb Deutschlands übrigens nicht unbedingt zutrifft – und auch die Bayern-SPD. Deren energiepolitische Sprecherin in der Landtagsfraktion, Annette Karl, feilte noch während des Termins mit ihren Mitarbeiterinnen an einer Pressemitteilung, die kurz darauf verschickt wurde. Darin wirft Karl der CSU und den Freien Wählern vor, die Gefahr durch Kernkraft zu ignorieren und die Umstellung auf erneuerbare Energien „jahrelang verschleppt“ zu haben. Karl glaubt: „Eine Atomkraft-Laufzeitverlängerung schafft mehr Probleme, als dass sie Lösungen verspricht.“ Das sehen andere Akteure freilich anders, auch unter den geladenen Fachleuten.

Kraftwerke in hervorragendem Zustand

Als Experten mit von der Partie waren im Bayerischen Landtag Johannes Kemper von der Bundesnetzagentur, Carsten Müller vom Energiekonzern und Atomkraftwerksbetreiber Preussen Elektra, Gerrit Niehaus, Abteilungsleiter Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Bundesumweltministerium, Björn Peters, Leiter des von ihm gegründeten energiepolitischen Forschungs- und Beratungsinstituts Peters Coll., sowie Andreas Schieder vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT TSO. Jeder Experte hatte eingangs gut drei Minuten, die meist ein bisschen überzogen wurden, um kurz seine grundsätzliche Position zur Frage zu erläutern, ob eine Laufzeitverlängerung eine gute Idee ist.

Laut Niehaus vom Bundesumweltministerium könne man eine Laufzeitverlängerung „aus Sicherheitsgründen“, wie er sagte, „nicht empfehlen“: „Ab dem Zeitpunkt, wo diese zugestandenen Fristen abgelaufen sind, ist das Risiko nicht mehr hinnehmbar“, so Niehaus. Also Ende diesen Jahres. Klar auf der anderen Seite der Debatte positionierte sich Berater Peters. Er sagte: „Es gibt keine technischen, wirtschaftlichen, betrieblichen Gründe, die das (eine Laufzeitverlängerung; Anm. d. Red.) verhindern würden.“ Auch Sicherheitsgründe will Peters nicht als Argument gegen eine Laufzeitverlängerung gelten lassen. Er sagte: „Auch der TÜV hat bestätigt: Die Kraftwerke sind in einem hervorragenden sicherheitstechnischen Zustand.“

Machbar, aber eine Entscheidung muss her

Zwischen diesen beiden Positionen, also jener des Bundesumweltministeriums auf der einen und der von Peters auf der anderen Seite, bewegten sich die der weiteren Experten und anschließend auch die Fragen der Landtagsabgeordneten an die Fachleute sowie die ein oder andere kleinere Diskussion zum Thema. Etwa zur Frage, wie ideologisch geprägt die Einschätzung des Bundesumweltministeriums womöglich sei – oder wie wichtig eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke tatsächlich ist, um die Stromversorgung in Deutschland sicher zu stellen? Oder ob Kohle nicht vorübergehend die bessere Resource sei, weil die – das warf Kemper von der Bundesnetzagentur in die Debatte ein – immerhin in Deutschland vorhanden sei und nicht, wie Uran, erst importiert werden müsste?

Unterm Strich, das wurde während dieser gut zwei Stunden deutlich, wäre eine Laufzeitverlängerung nicht aller, aber mancher deutscher Atomkraftwerke, die derzeit noch am Netz sind, technisch machbar. In Bayern etwa des Kernkraftwerks Isar 2, das rund 15 Kilometer flussabwärts der niederbayerischen Stadt Landshut steht und nach wie vor und eben mindestens bis Ende des Jahres mit voller Kraft Strom erzeugt. Ob Isar 2 und andere Meiler über das Jahr 2022 hinaus weiterlaufen dürfen, das hat gleichwohl kein Landesparlament, auch nicht das bayerische, zu entscheiden, sondern der Bundestag. Der müsste dafür das im Jahr 2011 beschlossene Atomausstiegsgesetz ändern. Und zwar bald, wie Carsten Müller von Preussen Elektra deutlich machte.

Auf die Frage der Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses, der CSU-Politikerin Kerstin Schreyer, bis wann der Bundestag über eine Laufzeitverlängerung über das Jahr 2022 hinaus entscheiden sollte, antwortete Müller: „Ende Mai können wir nicht mehr umsteuern.“ Schließlich müssten Atomwerksbetreiber wie Preussen Elektra für das Herunterfahren der Kraftwerke und den Rückbau selbiger entsprechende Vorbereitungen treffen, wenn der geplante Atomausstieg bis Ende 2022, wie derzeit gesetzlich vorgesehen, erfolgen soll. Müller sagte: „Die Bereitschaft der Belegschaft, weiter zu machen, ist da.“ Er sagte aber auch: „Wir werden uns an Gesetz und Recht halten.“ Heißt konkret: Entscheidet sich der Bundestag, folgt man Müller, nicht zeitnah für eine Laufzeitverlängerung, hat sich das Thema wohl schon bald von selbst erledigt.

Kernenergie für einen kurz begrenzten Zeitraum

Einer, der das zu wissen scheint, ist eingangs erwähnter bayerischer Ministerpräsident Markus Söder. Der hatte sich nach Medienberichten bereits Anfang März am Rande einer Kabinettsitzung in München für einen längeren Betrieb verbliebener Atomkraftwerke in Deutschland ausgesprochen. Für einen „kurz begrenzten“ Zeitraum, so Söder damals, könne das „sehr helfen“. Der CSU-Chef zieht Kernenergie der Kohlenergie vor, etwa mit Blick auf die CO2-Bilanz.

Direkter formulierte es Duin von der Bayern-FDP am Donnerstag: „Wir brauchen die Kernkraftwerke, weil niemand kann mir garantieren, dass es am Ende des Jahres noch genug Gas gibt für Gaskraftwerke, die uns mit Strom versorgen. Und Wind und Sonne, bis wir das ausgebaut haben, das dauert noch mindestens 20 Jahre.“ Ob dem so ist, das sei einmal dahingestellt. Klar ist allerdings: Die Bundespolitik muss bald eine Antwort auf jene Diskussion liefern, die am Donnerstag in München geführt wurde. Darauf nämlich, wie es mit den deutschen Atomkraftwerken nun weitergeht, mit Isar 2 und den anderen. Denn die Zeit drängt.

 

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