Corona-Expertenrat - Corona-Protokolle: Für die Zukunft nichts Gutes

Ein Frankfurter Allgemeinmediziner hat die Protokolle des Corona-Expertenrats freigeklagt. Sie belegen an vielen Stellen die fehlende Evidenz von Maßnahmen und geben für kommende Krisen wenig Hoffnung.

Mitglieder des Corona-Expertenrats der Regierung / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Knapp 16 Monate lang hat der Corona-Expertenrat die jetzige Bundesregierung beraten. Seit seinem ersten Zusammenkommen am 14.12.2021 hat es insgesamt 33 Sitzungen und unzählige Stellungnahmen gegeben. Und immer wieder ist in der Öffentlichkeit darüber diskutiert worden, wie es zu den einzelnen Einschätzungen der Infektionslage oder zu der Präferenz einzelner Maßnahmen gekommen sein könnte.

Doch letztlich war alles Gerede nur Spekulation; ein Stochern im Nebel. So sehr Juristen auch immer wieder moniert hatten, dass die Grundlagen der politischen Entscheidungsfindungen transparent gemacht werden müssten – zumal, wenn es um schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen gehe –, so sehr hielt der Expertenrat dicht.

Anders nämlich als etwa die Schweizer Covid-19-Science Task Force hatte man sich in Deutschland vollends auf verschlossene Türen geeinigt. Bereits im Protokoll der ersten Sitzung ist heute nachzulesen, dass sich die 19 Teilnehmer, darunter der Charité-Virologe Christian Drosten, die Erfurter Psychologin und Nudging-Expertin Cornelia Betsch oder der damalige RKI-Präsident Lothar Wieler auf „strikte Vertraulichkeit“ verständigt hatten.

Klage auf Einsicht

Und das wäre garantiert auch so geblieben, hätte nicht der Frankfurter Allgemeinmediziner Christian Haffner vor dem Verwaltungsgericht auf Einsicht in die Dokumente geklagt. Nach einem längeren Prozedere musste das Bundeskanzleramt nun nachgeben. So verfügte das Gericht bereits am 13. März, dass die Protokolle des Expertenrats durch das Kanzleramt dem Kläger zur Verfügung gestellt werden müssten. Nach längerer interner Überprüfung kam dieses dem Anspruch nun nach. 

Cicero liegen die Protokolle des Corona-Expertenrats vor – oder genauer gesagt: die Dokumente bis einschließlich Juli 2022. Denn obwohl die namhaft besetzte Gruppe noch bis in den April 2023 weiter tagte und – so ist es aus der Stellungnahme des Kanzleramts zu den gut fünfzig Protokollseiten zu entnehmen – sogar über ein „Nachfolgegremium“ spekuliert, machte die Bundesregierung nun zunächst nur jene Passagen öffentlich, die vor Eingang der Klage niedergeschrieben wurden. Eine Veröffentlichung der noch fehlenden Dokumente wird somit noch zu prüfen sein. Zumal es in den jetzigen Unterlagen auch zahlreiche Schwärzungen gibt, die vom Kanzleramt in der Regel mit einem Verweis auf nationale Sicherheitsinteressen, den Schutz von wirtschaftlichen Interessen oder den Schutz der diplomatischen Beziehungen zur Ukraine und zu China  gerechtfertigt werden.

Kein Geheimwissen

Wer nun aber erwartet, dass die nun zugänglichen Passagen einen wirklich freien Blick hinter den Spiegel der medialen Wahrnehmung gestatten, der wird schnell enttäuscht sein. In der Regel spiegeln sie nur jenen Debattenstand wider, der so oder ähnlich zum jeweiligen Zeitpunkt auch in der Öffentlichkeit bekannt war.

Das hat Gutes wie Schlechtes: Einerseits ist nur in wenigen Fällen davon auszugehen, dass die zum damaligen Zeitpunkt nicht gewährleistete Transparenz zu schwerwiegenden Diskursdissonanzen und zu Diskrepanzen zwischen politischem Binnendiskurs und konventionellem Mediengeraune geführt hat – es gab somit kein Herrschaftswissen, bei dem Nachgeborene aus dem Staunen nicht mehr herauskommen würden. 

 

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Andererseits ist aber vielleicht gerade dies auch das irgendwie Trostlose. Bedeutet es doch, dass all jene wohl recht gehabt haben, die immer schon hinterfragen wollten, auf welch löchriger Evidenz die Bewältigung der größten Gesundheitskrise der letzten Jahrzehnte beruht hat. Ein Neunmalklug ist unter manchen Umständen eben erst vollends klug.

Ein Gedankenaustausch

Mit handfester Wissenschaft jedenfalls hat die Diskussion zwischen den ausgewählten Kapazundern nur wenig gemein. Eher gleicht das wöchentliche Stelldichein im Kanzleramt einem Reihum-Rapport, an keiner Stelle aber einem Diskurs oder einem Ringen um unterschiedliche Hypothesen und Standpunkte. Sieht man einmal von jenen opaken Momenten ab, in denen das Protokoll lediglich vermerkt, dass „ein Gedankenaustausch“ stattgefunden habe, so scheint es während der Hochphase der Omikron-Welle nur wenig neue Gedankenverfertigung während des gemeinsamen Redens gegeben zu haben.

Betrachtet man es so, dann lesen sich die Protokolle weitestgehend wie eine Mischung aus Vereinsmeierei (Eintrag vom 21.12.2021: „Es besteht Einigkeit darin, dass der Name des Gremiums für die Zielrichtung und die öffentliche Wahrnehmung wichtig sind. Die Mitglieder sind aufgefordert, entsprechende Vorschläge an den Vorsitz zu übermitteln.“) und der Niederschrift einer daoistischen Selbsterfahrungsgruppe. Denn innen ist in diesem Gremium wie außen, und außen wie innen: Während damals nämlich auch in der Öffentlichkeit die Rufe nach besserer Datenerhebung immer lauter wurden, heißt es zur selben Zeit auch in der akademischen In-Group immer wieder „nicht validierbar“, „unzureichende Belastbarkeit“ oder schlicht „eine bessere Datenlage für Deutschland wurde als notwendig erachtet“.

19 Eminenzen stochern im Nebel

Kurz: Wer sich durch die trockenen fünfzig Protokollseiten hindurcharbeitet, der meint einem drögen Dokudrama über 19 Eminenzen beim gemeinsamen Nebelstochern beizuwohnen. Da werden kaum einmal wissenschaftliche Quellen angegeben, viele Meinungsbekundungen fußen auf ominösen Preprints, und immer wieder werden Kausalitäten beschworen, die man in jeder Proseminararbeit als „nicht ausreichend belegt“ ankreiden würde.

Und da, wo es interessant wird, wird leider immer wieder weggedimmt. So kommt es etwa in der Sitzung vom 15.03.2022 zu einem Gespräch über die „Evolution von SARS-COV-2“ und die „zoonotische Übertragung“. Eine folgende Passage über sieben Zeilen hinweg aber wurde vor der Herausgabe durch das Kanzleramt geschwärzt. In einem Schreiben teilt man lediglich mit, dass die Schwärzungen „Einschätzungen von Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Bekämpfung von Corona“ enthielten und eine Freigabe die diplomatischen Beziehungen zu China belasten würde.

China und Drosten

Man will eine solche Einschätzung natürlich gerne glauben. Doch unterstreichen solche Schwärzungen an brisanter Stelle nicht unbedingt das Vertrauen in die ohnehin intransparente Krisenpolitik – zumal dann nicht, wenn mit dem Virologen Christian Drosten auch jener Experte mit am Tisch saß, der gerade wegen seiner Rolle bei der Kommunikation der Zoonose-Hypothese in der öffentlichen Kritik stand.

Doch eines muss auch gesagt werden: Im Gegensatz zu anderen Corona-Dokumenten ist man bei den Protokollen aus dem Expertenrat mit Schwärzungen sehr zurückhaltend. Während etwa die Impfstoff-Verträge der Europäischen Kommission eher dem „Schwarzen Quadrat“ von Kasimir Malewitsch denn einem nachvollziehbaren Vertragsdokument gleichen (Mit dem EU-Impf-Deal beschäftigt sich auch die aktuelle Titelgeschichte von Cicero), sind die bis dato freigegebenen Protokolle von 27 Sitzungstagen des Gremiums weitestgehend nachvollziehbar.

Für die Zukunft nichts Gutes

Das mag vielleicht nur daran liegen, dass in den nun vorliegenden Dokumenten eben nur jenes Unwissen noch einmal reproduziert worden ist, das man als Bürger die ganze Corona-Zeit über ohnehin verspürt hat; es macht aber auch deutlich, wie viel Vertrauen durch die Politik zurückgewonnen werden könnte, wenn alle Institutionen endlich anfangen würde, mit offenen Karten zu spielen. Die Pandemie ist vorbei, und es gibt nichts mehr zu verlieren außer einem undemokratischen Gehabe.

Denn an einer Stelle der Protokolle wird es dann doch noch einmal interessant: Wenn das Bundeskanzleramt nämlich begründet, warum es auch die Namen der einzelnen Sprecher stets geschwärzt hat, heißt es fast treuherzig ehrlich und unangenehm verheißungsvoll: „Vor dem Hintergrund der Vorbereitung für ein Nachfolgegremium des Corona-ExpertInnenrats [wäre] eine Preisgabe einzelner Beiträge innerhalb des Corona-ExpertInnenrats auch der offenen Meinungsbildung in einem künftigen ExpertInnenrat und zwischen diesem und der Bundesregierung abträglich.“ Will heißen: In der nächsten Krise wird in Sachen wissenschaftlicher Politikberatung wieder genauso gemauert und gemauschelt wie jüngst. Na dann, Prost Mahlzeit!     

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