Folgen der Corona-Politik - Sowas kommt von sowas

Die Rechnung ist einfach: Wo die Politik die Sorgen der Bürger nicht ernstnimmt, regt sich Widerstand. Und wenn die Politik diesen Widerstand diskreditiert, wird er nur noch größer. Das Querdenker-Milieu ist genauso ein Erbe der Corona-Politik, wie die AfD ein Erbe Merkels ist.

Corona-Aufarbeitung bei Markus Lanz am Donnerstag / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Rumtata, rumtata, sag mir, wer marschiert denn da? Warum ein ernstes Thema nicht mal mit einem Reim beginnen? Schließlich wusste schon ein berühmter Kobold, dass gut ist, was sich reimt. Nun zur hier gestellten Frage: Was in Essen am 11.12.2022 marschiert, ist kein vorgezogener Karnevalszug, der vereinzelt mit Trommeln und Pfeifen auf die Straße geht. Auch wenn die Kleidung einzelner Teilnehmer anderes vermuten lässt (s. Bild unten).

Nein, es sind Demonstranten der Protestgruppe „NRW erwacht“, also einer Gruppierung, die sich dem zuordnen lässt, was sich in den täglichen Sprachgebrauch als „Querdenker“ eingeschlichen hat. Wissen Sie, wenn wir Fotos aus unserem Bildkanal übernehmen, dann sind da in der Regel auch Bildunterschriften dabei. Und im vorliegenden Fall werden die Demonstranten beschrieben als „eine Mischung aus Impfgegnern, Querdenkern, Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretikern, Nationalisten“.

Und das wiederum sagt schon ganz viel aus über den Umgang mit Menschen, die sich gewissen Narrativen verweigern, die von der Politik und bemerkenswert vielen Medien in der Corona-Pandemie formuliert respektive einfach übernommen wurden. Denn der Hinweis, dass auch unter den Demonstranten in Essen wohl ganz normale Leute waren, der fehlt. Dabei wäre es auf das eine Etikett mehr oder weniger in dem Zusammenhang auch nicht mehr angekommen. Doch sei’s drum. 

Schön war das nicht

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Selbstverständlich sind bei diesen „Querdenker“-Protesten auch seltsame Leute dabei, solche, mit denen auch ich nun wirklich nichts zu tun haben möchte. Aber erstens habe ich als Journalist auch mit sehr vielen Menschen gesprochen, die gegen die Corona-Politik der zwei Bundesregierungen auf die Straße gegangen sind, weil sie sehr berechtigte Anliegen hatten. Zweitens ist nicht jeder Maßnahmenkritiker gleich „Querdenker“, auch wenn diese simple Feststellung manche intellektuell zu überfordern scheint. Und drittens sind seltsame, auch extreme Geister bei fast allen Demonstrationen am Start.

Schauen Sie sich nur mal an, was da auch für Verrückte anreisen, wenn mal wieder irgendwelche Klimaaktivisten demonstrieren, oder damals Tausende gegen G20 in Hamburg im Jahr 2017. Bei letzterer Demo war ich vor Ort, habe mir das Ganze angesehen. Und ich darf versichern: Schön war das nicht. Aber zurück zu den sogenannten „Querdenkern“. Unter anderem über die wurde Donnerstagnacht bei Markus Lanz gesprochen. Mit dabei waren Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der Journalist und Jurist Heribert Prantl, den die meisten Leser als bekannte Stimme der Süddeutschen Zeitung kennen.
 

Demo in Essen im November 2022 / dpa

Gleichwohl gibt es hier einen interessanten Twist. Denn während man bei der Süddeutschen Zeitung selbst (in der Relation gesehen) seit 2020 vor allem die Narrative der Corona-Politiker übernommen hat, hat sich Prantl ebenso klug wie vehement schon sehr früh gegen allzu rigide Maßnahmen ausgesprochen, die konträr zum Grundgesetz standen. Das übrigens besonders ausführlich in seinem Buch „Not und Gebot“ (C.H. Beck), in dem er über die „Grundrechte in Quarantäne“ schreibt. 

Dieser Heribert Prantl traf am Donnerstag also auf Karl Lauterbach, der freilich nicht alleinverantwortlich war für die restriktive Corona-Politik der Bundesregierung, aber neben Christian Drosten und Lothar Wieler eben eines der Gesichter der vergangenen Pandemie. Und während Wieler beim RKI von Bord geht und Drosten sich wieder weitgehend in seine Berliner Charité zurückgezogen hat, ist für Lauterbach die Corona-Pandemie noch lange nicht vorbei und er bekanntermaßen immer noch fast täglich am Mahnen und Warnen. 

„Die Pandemie ist nicht vorbei“

„Herzlich willkommen in unserer Sendung, in der wir heute etwas vorhaben, was überfällig ist: nämlich eine Aufarbeitung der Corona-Jahre“, so Markus Lanz bei seiner Anmoderation am Donnerstag. Und weil dem so ist, legt sich Prantl – der den „Regulierungsexzess“ des Staates während der Corona-Pandemie als „unheimlich“ bezeichnete – im Laufe der Sendung selbstredend auch mit Karl Lauterbach an, dessen erster Satz in dieser Sendung lautete: „Die Pandemie ist nicht vorbei.“ Im Folgenden ein kurzer Auszug, was Prantl unter anderem in Richtung Lauterbach im Wortlaut sagte: 

„Da sind doch Sie mit dran schuld, dass es die Querdenker gab. Mit der Art und Weise, wie Sie Kritik abgebügelt haben, wie Sie Andersdenkende als Verschwörungstheoretiker bezeichnet haben. Wenn ich sage, das war nicht mein Staat, den ich hier erlebt habe, betrifft es auch die Art und Weise, wie ich mit anderen Meinungen, mit Andersdenkenden umgegangen bin. Und Sie haben letztendlich in der Art und Weise wie Sie  ich sags jetzt absichtlich, Herr Lauterbach wie Sie hysterisiert haben, haben Sie die Querdenkerei mit großgezogen. Die goutiere ich nicht, die Querdenkerei, aber die Querdenkerei ist auch eine Reaktion auf die Art und Weise, wie die Politik agiert hat.

Dass Lauterbach – in dessen Ministerium, erzählte er eingangs, immer noch Maskenpflicht herrscht, bis die „irgendwann“ aufgehoben wird – darüber nicht sonderlich glücklich war, den Vorwurf fix als „haltlos“ abtat, liegt auf der Hand. Nun soll an dieser Stelle nicht schon wieder näher auf die wenigen sinnvollen und die vielen unsinnigen Corona-Maßnahmen eingegangen werden, auch nicht auf die weitreichenden Folgen für Kinder und Jugendliche. Hierzu mehr an dieser Stelle

Ein Erbe der Corona-Politik

Stattdessen möchte ich lieber eingehen auf das, was Prantl richtigerweise feststellte und was sich gut beschreiben lässt mit dem alten Spruch „Sowas kommt von sowas“. Denn genauso wie die AfD ein Erbe Merkels ist, ist die „Querdenkerei“ – was auch immer damit dann ganz konkret gemeint sein soll – ein Erbe der deutschen Corona-Politik und des unsäglichen Umgangs der Politik mit Teilen der eigenen Bevölkerung.
 

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Von Schlagstock-Saskia bis „Die Unverletzbarkeit der Wohnung darf kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein“-Lauterbach. Von „Nein verdammt, es gibt keine Meinungsfreiheit zu Tatsachen“-Palmer bis „Jetzt kümmern wir uns um die Ungeimpfen“-Wüst. Schön ist auch ein Zitat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in dem Zusammenhang: „Der Impfstatus ist keine nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) geschützte Eigenschaft.“ Und nochmal Lauterbach in Richtung Demonstranten: „Das sind Menschen, die diese Achtung nicht verdienen, definitiv nicht.“ Ja, sowas kommt von sowas. 

Vier Phasen der Pandemie

Erinnern Sie sich noch an das „Heinsberg-Protokoll“ von Hendrik Streeck und die breite Kritik daran in der Anfangszeit der Pandemie, der Virologe habe mit selbigem Corona „politisiert“? Ich erinnere mich noch sehr gut daran. Und es ist nur eine von ganz vielen Pointen des medialen und politischen Umgangs mit einem Virus, dessen Ursprung bis heute nicht final geklärt ist, dass sich die Pandemie grob in vier Phasen einteilen lässt: die Verunsicherungs-Phase, die Erste-Reaktionen-Phase, die Politisierungs-Phase und die Diskreditierungs-Phase, wovon die beiden Letztgenannten die mit Abstand längsten waren. Jedenfalls nach meiner Wahrnehmung.

An dieser Stelle ein kleines Erlebnis, das ich im Februar 2022 in München hatte. Während friedliche „Spaziergänger“ am Marienplatz von Hundertschaften der Polizei eingekreist wurden, ließ der Münchner Stadtrat die Begriffe „Wissenschaft“, „Solidarität“, „Demokratie“ und „Zusammenhalt“ an die Fassade des Rathauses projizieren. Das war mein ganz persönlicher Orwell-Moment. Denn wer solche Szenen live erlebt hat, wer erleben musste, wie er von allen möglichen Seiten zum Menschen 2. Klasse degradiert wurde, ihm eine Schuld angedichtet wurde, die er nachweislich nie hatte, ja, der wird eine ganze Weile brauchen, um anderen „viel zu verzeihen“ (Jens Spahn). Das ist nur menschlich. 

Der ganze Wahnsinn

Wir schreiben das Jahr 2023, und die Pandemie ist längst in die endemische Phase übergangenen. Hier und da macht sich sogar die Erkenntnis breit, dass man es übertrieben hat mit der Virus-Bekämpfung, dass man irgendwann ein bisschen die Kontrolle verloren hat über das, was man tat und sagte und vor allem über wen. Dass dies keine Entschuldigung sein kann für antidemokratische Tendenzen in Teilen gewisser Milieus, bei den „Querdenkern“ etwa, liegt auf der Hand. Und wer der Regierung heute pauschal gar nichts mehr glaubt, weil er gewisse Erfahrungen in der Pandemie gemacht hat, ist irgendwann leider falsch abgebogen.

Aber es ist eben ein Leichtes, mit dem Finger auf Menschen zu zeigen, die bisweilen komische Sachen tun, denken und sagen, wenn man die eigene Rolle in der hysterischen Corona-Gemengelage einfach beiseite schiebt, so als wäre man gar nicht dabei gewesen, obwohl man sehr wohl mitgemacht hat bei einer politischen und medialen Treibjagd, an deren Folgen wir gesellschaftlich noch sehr, sehr lange werden laborieren müssen. Auch deshalb, weil bis heute partout niemand Verantwortung übernehmen will; oder wenn, dann nur halbherzig, wie jüngst in der Zeit. Meine Sorge ist diese: Bei der nächsten Pandemie geht der ganze Wahnsinn wieder von vorne los. Und hinterher will’s auch dann wieder keiner gewesen sein. Auch die Politiker nicht. 

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