Kritik am Haushaltsentwurf 2024 - „Nicht einmal im Ansatz eine Zeitenwende“

Bundesfinanzminister Christian Lindner stellt dem Bundestag diese Woche seinen Haushaltsentwurf vor. Für Mathias Middelberg (CDU) ist der Entwurf angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schieflage eine Enttäuschung.  

Rechentricks: Bundesfinanzminister Christian Lindner / picture alliance
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Mathias Middelberg ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er vertritt die Bereiche Haushalt und Finanzen. Der promovierte Jurist sitzt für den Wahlkreis Osnabrück seit 2009 im Bundestag. 

Herr Middelberg, bedeutet der Haushaltsentwurf, den Bundesfinanzminister Christian Lindner am Dienstag in den Deutschen Bundestag einbringen wird, eine finanzielle Zeitenwende hin zu einem wieder geregelten, vorausschauenden Wirtschaften?  

Nein, der Haushaltsentwurf ist nicht einmal im Ansatz eine Zeitenwende. Tatsächlich wirtschaftet diese Koalition weiter, als wäre nichts geschehen. Der längst überholte Koalitionsvertrag wird weiter abgearbeitet. Die neuen Herausforderungen – Ukrainekrieg und Energiepreise – werden nicht im Haushalt abgebildet, sondern in zwei Sonderhaushalte, das Sondervermögen Bundeswehr und den „Doppelwumms“, ausgelagert. Dabei ist klar, dass die Themen Verteidigung und Energiepreise uns noch lange begleiten werden. Auch sonst haben wir Zeitenwende – gerade in der Wirtschaft bei Themen wie Mobilität oder KI. Unsere Wirtschaft steht am Scheideweg. Deutschland fällt wirtschaftlich zurück, während die meisten anderen Länder weiter wachsen. Es müsste jetzt einen radikalen Umschwung geben.  

Ein Umschwung, inwiefern? Einerseits werfen einige Ökonomen dem Bundesfinanzminister vor, dass sein Haushaltsentwurf zu sehr auf Sparen ausgerichtet sei. Anderseits kündigt Lindner Investitionen in mehreren Bereichen an. Wie ist Ihre Einschätzung? 

Echtes Sparen findet kaum statt. Es werden insgesamt nur 3,5 Milliarden Euro gestrichen, nicht einmal ein Prozent des gesamten Haushaltsvolumens. Sonst gibt es nur Verschiebungen. Belastungen aus dem Haushalt werden in die Sozialkassen verschoben. Zudem rechnet der Finanzminister pauschal einfach 2 Milliarden Euro Mehreinnahmen und 6 Milliarden Euro Minderausgaben hinzu. Das sind Rechentricks. Die Ampel müsste jetzt einen Schwerpunkt auf Investitionen setzen, um Wachstum zu erzeugen und damit wieder Einnahmen zu generieren. 

Die von Ihnen geforderten Maßnahmen kosten auch Geld, würden also die Schulden ansteigen lassen. Sollten der nächsten Generation neue Schulden aufgebürdet werden?  

Mathias Middelberg (CDU) / Tobias Koch

Viele Maßnahmen würden gar nichts oder wenig kosten. Andere würden sich schnell amortisieren. Zum Beispiel die Digitalisierung. Mit mehr digitalisierten Verwaltungsleistungen könnte man viel Personal und damit Kosten sparen. Tatsächlich sehen wir null Fortschritt auf diesem Feld, obwohl die Ampelparteien im Wahlkampf noch alle ein eigenes „Digitalministerium“ gefordert hatten. Tatsächlich baut die Ampel permanent neue Bürokratie auf und stellt neue Beamte ein wie keine Regierung vor ihr. 1700 zusätzliche Beamte allein in den Ministerien. Die Anzahl der Staatssekretäre und Regierungsbeauftragten ist auf Rekordniveau.  

Schaut man sich die Ausgabenstruktur des Haushaltsentwurfs an, dann entfallen über 60% auf Sozialausgaben, Personal und Zinsen. Um mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen, müsste die Bundesregierung mehr Geld zur Verfügung stellen. Werden die Mittel also an falscher Stelle ausgegeben?  

Wie gesagt, es müsste mehr und zielgenau investiert werden. So will die Ampel jetzt ausgerechnet bei den Eingliederungsmitteln bei der Bundesagentur für Arbeit kürzen. Das ist genau die falsche Stelle. Im Gegenteil: Gerade bei der Arbeitsvermittlung müssten wir drauflegen. Nur 100.000 Menschen mehr in Arbeit statt im Bürgergeld würden den Bundeshaushalt um bis zu 3 Milliarden Euro entlasten. Und wir haben fast 4 Millionen Menschen im Bürgergeld, die erwerbsfähig sind. Da wäre also viel zu tun für jemanden, der sich „Arbeitsminister“ nennt. 

Zeigt sich denn irgendwo im Haushaltsentwurf, dass die Ampel die Herausforderungen der Zeitenwende erkannt hat und diese angehen will? 

Hier und da gibt es Mini-Ansätze, im Kern aber verweigert sich diese Regierung der Wahrheit. Die FDP sieht sie, kann sich in dieser Ampel aber nicht durchsetzen. Deshalb wird weiter ziellos gewurschtelt. Tatsächlich müsste die Regierung den Bürgern ehrlich sagen, was Sache ist. Wir erleben eine wirtschaftliche Wende. Massive technologische Veränderungen. Die lockeren Zeiten von Mini-Inflation und Nullzins sind vorbei. Wir werden uns alle wieder etwas mehr anstrengen müssen. Wohlstand gibt es nicht umsonst. Zu dieser Wahrheit aber hat diese Regierung keinen Mut. 

 

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Dann gibt es auch noch die vieldiskutierte Schuldenbremse. Minister Lindner möchte an ihr festhalten, doch viele Stimmen fordern mittlerweile ihre Lockerung beziehungsweise sogar ihre Aufhebung mit der Begründung, dass das Land dringend Investitionen benötigt. Sollte die Bundesregierung weiterhin an der Schuldenbremse festhalten?  

Wir sollten die Schuldenbremse beachten, selbst wenn sie nicht in der Verfassung stünde. Es ist einfach ein Gebot der Verantwortung. Man kann auf Dauer nur ausgeben, was man zuvor erwirtschaftet hat. Immer neue Schulden würden uns die Luft abdrehen. Schon auf den vorhandenen Schuldenberg zahlen wir immer höhere Zinsen. 2021 mussten wir für die gesamte Bundesschuld 4 Milliarden Euro Zinsen zahlen. In diesem Jahr sind es schon 40 Milliarden – wegen der gestiegenen Zinssätze. 36 Milliarden Euro Differenz, die für politische Gestaltung nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit neuen Schulden würden die Spielräume immer enger. 

Vonseiten der Wirtschaft wird vor einer Deindustrialisierung gewarnt. Die Regierung hat in Meseberg Beschlüsse zu Unterstützung der Wirtschaft gefasst. Gehen diese in die richtige Richtung? 

Das Wachstumschancengesetz ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber ein viel zu kleiner. Die Jahresentlastung soll 7 Milliarden Euro betragen. Gleichzeitig fördern wir die Ansiedlung eines einzigen Chipherstellers in Dresden mit 5 Milliarden Euro. Daran sehen Sie, dass 7 Milliarden Euro für die gesamte deutsche Wirtschaft zu kleinteilig sind.  

Der Haushaltsentwurf und die weiteren Pläne der Ampel stellen also nicht die Weichen dafür, die Bundesrepublik wieder auf eine wirtschaftliche Erfolgsspur zu bringen?  

Nein. Es fehlt der echte Umbau. Weg von Bürokratie, Personalabbau in der reinen Verwaltung, schnellere Digitalisierung, Energiepolitik ohne Ideologie, Menschen aus dem Bürgergeld und Zuwanderer schneller in Arbeit bringen. Und andererseits das Land wieder attraktiv machen für private Investitionen. Eine grundlegende Wachstumswende – das bräuchte es. Für diese Regierung leider ein Fremdwort. 

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger.

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