Carola Rackete bei der Linken - Lieber doch keine konsequente Aufarbeitung der SED-Vergangenheit

Kurz vor dem Linken-Parteitag hatte Carola Rackete, die Europa-Kandidatin der Linken, noch eine konsequente Distanzierung von der SED-Vergangenheit angemahnt. Auf dem Parteitag selbst ruderte sie dann zurück. Offenbar wurde sie einer Lektion in Kritik und Selbstkritik unterzogen.

Carola Rackete betritt auf dem Linken-Parteitag die Bühne / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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In einem Gerichtsverfahren um die verschwundenen Millionen der SED stellte der damalige Bundesschatzmeister der Linken Karl Holluba 2009 an Eides Statt fest: „Die Linke ist rechtsidentisch mit der Linkspartei.PDS, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“ In der Tat handelt es sich bei der Linken nicht, wie vielfach zu lesen ist, um die Nachfolgepartei der SED, sondern um die umbenannte DDR-Staatspartei. 

Nun ist die Linke von heute nicht mehr die SED; zweifellos hat sie ihren Frieden mit der Demokratie und dem Rechtsstaat gemacht. Doch reagieren viele Genossen allergisch, wenn man sie daran erinnert, dass die SED diktatorisch regiert hat und die Menschen obendrein unter ihrer Marx- und Murks-Wirtschaft zu leiden hatten. Eines dem Westen vergleichbaren Wohlstands konnte sich allenfalls die Nomenklatura erfreuen. 

Das hatte Carola Rackete nicht bedacht, als sie kurz vor dem Linken-Parteitag zu Protokoll gab, der Linken könnte es helfen, „sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten“. Außerdem könne der Erneuerungsprozess, den die Partei jetzt gerade beginne, „auch mit einer Umbenennung enden“.

Wer SED-Mitglied war, lässt sich nicht gern an die Vergangenheit erinnern

Die parteilose Klimaaktivistin und Seenotretterin Rackete soll auf Platz 2 der Linken-Liste zur Europawahl Wähler in den linken, urbanen Milieus für die Linke bringen. Doch ihren Ratschlag, die SED-Vergangenheit „wirklich aufzuarbeiten“, kam vor allem bei den älteren Genossen in den neuen Ländern nicht gut an. Wer SED-Mitglied war und manchen Errungenschaften des real existierenden Sozialismus noch immer nachtrauert, lässt sich nicht gern an die unvollständige Vergangenheitsbewältigung erinnern.

Ob Rackete selbst auf die Idee kam oder ob es ihr von der Parteitagsregie nahegelegt wurde: Sie begann ihre Bewerbungsrede mit einer Klarstellung in Bezug auf die SED-Vergangenheit: „Da habe ich Mist gemacht“, bekannte sie. Sie wisse, „dass ich damit viele Menschen verletzt habe und dass ich der Geschichte und der Gegenwart der Linken nicht gerecht geworden bin“. Das tue ihr leid. Und fügte hinzu: „Eine Linke für alle, davon möchte ich Teil sein.“  

 

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Die 430 Delegierten bedankten sich mit frenetischem Beifall und mit einer respektablen Zustimmung von 77,8 Prozent, nicht viel schlechter die 86,9 Prozent, mit denen der Parteivorsitzende Martin Schirdewan zum Spitzenkandidaten gekürt wurde. Kurz vor der Abstimmung hatte Stefan Hartmann, der Landesvorsitzende der Linken in Sachsen, das Wort ergriffen und Rackete gelobt: „Manchmal muss man sehr viel, sehr schnell, sehr hart lernen“. 

Rackete hat schnell gelernt, was in einer sozialistischen Partei gefragt ist

Sehr schnell und sehr hart lernen, das mussten die alten Genossen auch, als ihre Partei noch SED hieß. In der waren Kritik und Selbstkritik feste Bestandteile innerparteilicher Rituale. Dieses Verfahren sollte schon in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) die „Reinheit und Einheit der Partei“ sicherstellen. Auch in der SED hatten sich die Mitglieder regelmäßigen Parteiüberprüfungen zu unterwerfen. Ganz so brutal wie einst zu Stalins Zeiten ging es in der SED als „Partei neuen Typus“ nicht zu. Aber „sehr schnell und sehr hart zu lernen“, war für nicht ganz linientreue Genossen durchaus Teil der innerparteilichen Abläufe.

Die Kapitänin Rackete wollte eigentlich die Linke erneuern, um schon zwei Tage später in alte SED-Schemata zu verfallen. Wie schnell sie lernt, was in einer sozialistischen Partei gefragt ist, demonstrierte sie nach ihrer Nominierung auch gegenüber der taz: Linke Klimapolitik werde gebraucht wie nie zuvor. Und auch im sozialen Leben gebe es Kipppunkte: Die Rückkehr des Faschismus drohe.

Mit der Warnung vor dem drohenden Faschismus hatte schon die SED alles begründet, was die Freiheit der Menschen in der DDR eingeschränkt hat – bis hin zu Mauerbau und Schießbefehl. Wenn der Faschismus angeblich vor der Tür steht, dann bleibt für die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit natürlich keine Zeit. Die Flüchtlingsboot-Kapitänin hat schnell erkannt, was ihre neuen Genossen wünschen: nur keinen ehrlichen Blick zurück.

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