Bündnis Sahra Wagenknecht - Was nicht ausgeschlossen ist, ist möglich

Mit der neuen Partei der ehemaligen Linken-Ikone Sahra Wagenknecht haben Frust-Wähler eine weitere Alternative. Doch für CDU, SPD, Grüne und FDP werden Regierungsbildungen noch schwieriger – besonders in den neuen Ländern.

Sahra Wagenknecht / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich kürzlich recht herablassend über das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ geäußert. Eine Koalition mit dem BSW „übersteigt meine Fantasie“, gab der SPD-Politiker zu Protokoll. Aus Sicht des Kanzlers spricht überhaupt nichts für das BSW als Partner in den Landesregierungen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo im September gewählt wird. Die Partei habe keinerlei Vorschläge für eine bessere Zukunft in den Ländern. „Deshalb verbieten sich solche Gedankenspiele.“

Ähnlich herablassend äußerte sich Oppositionsführer Friedrich Merz. „Diese Mischung aus Sozialismus und Nationalismus braucht in diesem Land niemand“, sagte der CDU-Vorsitzende. Aber vielleicht könnte sein Parteifreund Mario Voigt die Wagenknecht-Truppe ganz gut gebrauchen, um neuer Regierungschef in Thüringen zu werden. Voigt jedenfalls schloss kürzlich eine Zusammenarbeit mit dem BSW nicht kategorisch aus: „Das kann ich jetzt noch nicht handfest beantworten. Wir müssen erstmal schauen, was da eigentlich entsteht, mit welchem Programm und welchen Personen BSW hier in Thüringen antritt. Stand jetzt wissen wir im Prinzip gar nichts.“

Die Fantasie des Kanzlers

Nun darf man nicht auf die Goldwaage legen, was Politiker vor Wahlen über die Zeit danach sagen. Die SPD jedenfalls hatte schon 1994, knapp fünf Jahre nach dem Mauerfall, keine Bedenken, sich in Sachsen-Anhalt – gemeinsam mit den Grünen – zum Zweck des Machtwechsels von der in PDS umbenannten SED tolerieren zu lassen – allen Unvereinbarkeits-Schwüren zum Trotz. Schon bald nahm die SPD die PDS (seit 2007 „Die Linke“) gern in den Kreis der demokratischen Parteien auf. Erst in den ostdeutschen Ländern, dann in westdeutschen Kommunen und schließlich in alten Bundesländern wurde die Linke für SPD und Grüne zum gern gesehenen Mehrheitsbeschaffer. Bei der Frage, ob mit der CDU oder der Linken, fiel die Entscheidung häufig zugunsten der umbenannten SED aus.

Wie immer es um die Fantasie des Kanzlers bestellt sein mag: Es spricht aus Sicht von SPD und Grünen wenig gegen die Einbeziehung der Wagenknecht-Partei in künftige Koalitionen. Schließlich ist das BSW „Fleisch vom Fleisch“ der Linkspartei. Gegner der Nato und „Putin-Versteher“ sind in beiden Gruppierungen vertreten. Dass das Wagenknecht-Bündnis nach noch höheren Sozialleistungen als die Linke ruft, kann ja kaum Grundlage für einen Unvereinbarkeitsbeschluss auf Seiten der SPD sein.

In allen drei Ländern, in denen im Herbst Landtagswahlen stattfinden, liegt die AfD in Umfragen auf dem ersten Platz. Gleichwohl könnte es in Brandenburg nach aktuellem Stand für eine Fortsetzung der SPD/CDU/Grüne-Koalition reichen. Anders sieht es in Thüringen und Sachsen aus. Da die Parteien der demokratischen Mitte eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließen, könnte die CDU als zweitstärkste Partei allenfalls dann den Regierungschef stellen, wenn sie sich von der Linken tolerieren ließe oder mit dem BSW kooperierte. In Thüringen liegt das BSW derzeit bei 13 bis 15 Prozent, in Sachsen bei 11 Prozent.

Kein kategorisches Nein

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hielt sich bisher bedeckt. Mit Blick auf das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ äußerte er sich so: Wer möchte, dass eine bürgerliche, konservative Kraft in diesem Land Verantwortung trägt, der werde feststellen müssen, dass es durch das Zersplittern der Parteien nichts werde. Das war freilich kein kategorisches Nein.

Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen scheint da offener zu sein. Im ZDF sagte Voigt kürzlich zum BSW: „Alles, was ich da von Migrationspolitik oder Wirtschaftspolitik höre (...), da habe ich den Eindruck, da ist mehr Realitätssinn drin als bei den Linken oder manchen Teilen der Grünen. Und deswegen gucke ich mir erstmal an, was die programmatisch wollen. Also ausschließen tue ich das nicht.“ Auch im TV-Duell mit dem AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke legte sich Voigt in Bezug auf das BSW nicht fest.

Parteigründerin Wagenknecht selbst hat Spekulationen über eine mögliche Zusammenarbeit mit der CDU befeuert. Dem Spiegel sagte sie, es sei doch besser, „wenn die CDU in Sachsen unter Ministerpräsident Michael Kretschmer mit uns regiert als mit der AfD“. Dagegen sei Friedrich Merz „nicht koalitionsfähig“, ebenso wenig „wie die heutigen Protagonisten der Grünen“. Letzteres bezog sich offensichtlich auf den Bund.

Existentielle Krise der Linkspartei

Wagenknecht hat mit ihrer Abspaltung zunächst einmal die existentielle Krise der Linkspartei vergrößert. In Thüringen ist diese hinter AfD und CDU auf Platz drei zurückgefallen, in Brandenburg schafft sie es gerade noch auf 6 Prozent, in Sachsen auf 5 Prozent. Und im Bund kommt sie in keiner Umfrage auf mehr als 4 Prozent.

Das Bündnis bringt die CDU ebenfalls in Bedrängnis. Denn je mehr Parteien vom linken oder rechten Rand in den Parlamenten vertreten sind, desto schwieriger werden Regierungsbildungen. Die Haltung der Bundespartei ist eindeutig: keine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken. Beim „Bündnis Sahra Wagenknecht“ kann es hingegen noch gar keinen Abgrenzungsbeschluss geben. Schließlich hat die erst im Januar gegründete Partei noch nicht einmal ein ausformuliertes Parteiprogramm.
 

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In den ostdeutschen CDU-Verbänden gibt es bisweilen Tendenzen, zumindest in den Kommunen und auf Landesebene gegenüber AfD und Linkspartei etwas flexibler zu sein. Zudem hat die Bundespartei hingenommen, dass die CDU in Thüringen das rot-grün-rote Bündnis unter Bodo Ramelow (Linke) faktisch toleriert, auch wenn die CDU das Ganze als „Stabilitätsmechanismus“ bezeichnet. Voigt konnte nach dem Desaster mit dem dank der AfD ins Amt gekommenen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) in Berlin auch „mildernde Umstände“ geltend machen. Würde die CDU in Thüringen oder Sachsen jedoch in aller Form mit der Linkspartei koalieren, würden die westdeutschen Verbände auf die Barrikaden gehen.

Noch viel ausgabefreudiger

Für das BSW gilt: Was nicht ausgeschlossen ist, ist möglich. Es bedarf allerdings einiger Fantasie, dass ausgerechnet Wagenknecht als einstige Vorsitzende der „Kommunistischen Plattform“ in der Linken mit bürgerlich-konservativen CDU-Politikern eine tragfähige gemeinsame Basis findet. Das wäre beim Thema Gendern zweifellos möglich, hingegen kaum in der Sozialpolitik, wo Wagenknecht noch viel ausgabefreudiger ist etwa Hubertus Heil (SPD), oder in der Finanzpolitik, wo aus Sicht des BSW die Steuern für die „Reichen“ nicht hoch genug sein können. Beim Kampf gegen illegale Migration wären sich CDU und BSW dagegen relativ schnell einig.

Das BSW ist nach den Maßstäben der politischen Gesäßgeographie schwer einzuordnen. Wirtschafts- und sozialpolitisch ist es links anzusiedeln. Allerdings gibt es in der Außen- und Sicherheitspolitik ziemlich große Übereinstimmungen zwischen AfD und BSW. In beiden Parteien geben „Putin-Versteher“ den Ton an. Deshalb plädieren beide für einen schnellen Waffenstillstand zum Nachteil der Ukraine, wollen Kiew keine Waffen mehr liefern und sprechen sich für die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland aus. Auch herrscht beim BSW wie in der AfD eine antiamerikanische Grundhaltung. Zudem würden beide Parteien die europäische Integration in vielen Bereichen rückgängig machen. Das Ziel lautet übereinstimmend: Europa souveräner Staaten.    

Keinen Einfluss auf Waffenlieferungen

Da das BSW derzeit allenfalls als landespolitischer Partner der CDU vorstellbar ist, ließe sich natürlich argumentieren, die Landesregierungen in Erfurt oder Dresden hätten ohnehin keinen Einfluss auf Waffenlieferungen an die Ukraine oder Beschlüsse in Brüssel. Warum dann also nicht ganz pragmatisch in der Sozialpolitik oder dem Ausbau der Infrastruktur zusammenarbeiten? Genau das aber fordern bisweilen CDU-Kommunalpolitiker mit Blick auf die AfD. Motto: Bei der notwendigen Sanierung einer maroden Schule hat Parteipolitik keine Rolle zu spielen.

Das könnte die CDU nach den Landtagswahlen vor eine grundsätzliche Frage stellen: Kann man mit einer Partei pragmatisch zusammenarbeiten, obwohl man deren zentralen Werte und Prinzipen ablehnt oder gar verabscheut? Mit Blick auf die AfD verneinen das alle Parteien der demokratischen Mitte, CDU/CSU und FDP zudem gegenüber der Linken. Für den BSW stehen die Antworten noch aus. Sie werden umso schwieriger zu finden, je besser das BSW im September abschneidet.
 

Klaus-Rüdiger Mai im Gespräch mit Ben Krischke
Cicero Podcast Gesellschaft: „Sahra Wagenknechts Denken hat viel mit Hegels Philosophie zu tun“
  

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