Generaldebatte im Bundestag - Viel Licht, viel Schatten

Für die Ampel-Koalition war es eine Premiere. Heute musste die neue Regierung ihre erste Generaldebatte im Bundestag bestehen. Doch es war alles anders als sonst. Weder Regierung noch Opposition gingen strahlend vom Platz.

Bundeskanzler Olaf Scholz muss sich der Debatte im Bundestag stellen. /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Das Budgetrecht gilt als Königsrecht des Parlaments. Also ist die Aussprache über den Haushalt dann sowas wie die Krönungsmesse der Demokratie. Heute stand die Generaldebatte über den Einzeletat des Bundeskanzleramtes auf der Tagesordnung. Der wichtigste Tag des Jahres für den Bundestag. Doch diesmal war alles anders. Es herrscht Krieg in Europa. Das traditionelle Schaulaufen von Regierung und Opposition war heute der Versuch von Normalität angesichts des Grauens in der Ukraine. Das Wetter half dabei. Draußen blauer Himmel, drinnen strahlt durch die Kuppel die Sonne fast senkrecht auf das Rednerpult. Der neue Unionsfraktionschef Friedrich Merz startet die Debatte mit einer fulminanten Rede, solche Reden haben sich die Merkel-Kritiker in der Union jahrelang erträumt. Nur haben CDU/CSU jetzt leider keine Mehrheit mehr. Bundeskanzler Olaf Scholz wiederum antwortet ganz merkel-like mit einer nüchternen abgelesenen Rede. Viel Pragmatismus, wenig sozialdemokratisches Herzblut, aber dafür stellt die SPD jetzt den Regierungschef. So ist das in der Demokratie, es gibt nie den absoluten Triumph.

Eigentlich sahen gestern alle schlecht aus. Die Regierung macht in weiten Teilen das Gegenteil von dem, was sie versprochen hat und muss sich dies zu Recht vorhalten lassen. Dietmar Bartsch von den Linken formuliert pointiert: „Ihr Haushalt verstößt gegen ihren eigenen Koalitionsvertrag.“ Eine scheinbar schlichte Feststellung, die inhaltlich kaum zu beanstanden ist. So steigen die Verteidigungsausgaben und die für Entwicklungspolitik sinken, genau anders hatte sich die Ampel-Koalition es sich vorgenommen. Tatsächlich offenbaren sich Risse im neuen Bündnis, die heute möglichst übertüncht wurden. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Matthias Middelberg, aber hielt sie der Ampel vor. Eigentlich sei die Regierung angesichts der nun in der Krise offenbar werdenden massiven inhaltlichen Differenzen „nicht handlungsfähig“.

Und die einstigen Kanzlerinnenparteien CDU und CSU fordern von der neuen Regierung in Sachen Militärausgaben das ein, was sie bis vor kurzem selbst aber nicht umgesetzt bekommen haben. Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge nannte die Rede von Merz dann auch „erschütternd“ und „unangemessen“. Es sei eben die Politik der Union gewesen, die uns in die heutige Lage gebracht habe.  „Warum hatten sie mehr Angst vor Wärmepumpen und Windkraftanlagen als vor der Abhängigkeit von russischem Gas?“, so Dröge. Nun verhalte sich die Union angesichts des Versagens in ihrer eigenen Regierungszeit „störrisch“. Und FDP-Fraktionschef Christian Dürr schreit fast ins Plenum des Hohen Hauses hinein und beklagt den „Historischen Fehler der Vernachlässigung der Bundeswehr“ unter der Kanzlerin Angela Merkel. Und zu Recht mahnt er, die Union könne die Verantwortung für ihre Versäumnisse  nun nicht auf die jeweiligen Koalitionspartner der zurückliegenden 16 Jahre auslagern. 

Die FDP traut Scholz solide Haushaltsführung zu

Der Versuch von Merz, auf seine eigene Abwesenheit in den zurückliegenden Legislaturperioden zu verweisen, verfing da kaum. Besonders schmerzhaft für die größte Oppositionspartei war die Hinwendung Dürrs zur SPD in Sachen Finanzpolitik. Bei der Frage der Schuldenbremse traue er Scholz mehr zu als der Union, sagte er. Und diese Volte von den einstigen Freunden der Union vor allem in Sachen solide Haushaltsführung tat weh. Die Generaldebatte war auch geprägt von diesen ungewohnten Konstellationen in der neuen Ampel-Zeit. Die eingeübte Bruchlinie im Parlament zwischen Grünen und FDP muss nur umgemodelt werden in die neue Freundschaft beziehungsweise wenigstens in eine Nicht-Gegnerschaft innerhalb der neuen Regierung. Meistens gelang es.

Angesichts der vom Bundeskanzler postulierten „Zeitenwende“, in die uns der russische Angriffskrieg auf die Ukraine gestürzt hat, gab es im Bundestag gestern keinen Sieger und keinen Besiegten. Von Durchmarsch und Aufbruchsstimmung keine Spur. Es waren gute und schlechte Reden, manche waren herausragend. Es gab plausible Argumente und auch gestanzte wie glänzende Plattitüden. Aber am Ende wurden jedem seine Lebenslügen und Verirrungen vorgehalten, die er nun aus dem Früher ins Morgen schleppt. „Man muss auch Entscheidungen neu bewerten können“, erklärte es Dröge lapidar. Aber das gilt dann eben für alle – und damit waren auch alle heute beschäftigt.

Diese unübersichtliche haushaltspolitische Generaldebatte, die erste auch in der Post-Merkel-Zeit, hatte dann auch Überraschungen parat. Ausgerechnet Alexander Gauland bedankte sich bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Ehrenvorsitzende der AfD, diesmal ohne typische Hundekrawatte, stattdessen mit Pulli, lobte nach seinen gewohnt recht weiten historischen Ausflügen (Bismarck, Zar Alexander I. ) den raschen Lernerfolg des Kanzlers. Allerdings drohe in Sachen Rüstungspolitik nach den Fehlern der Vergangenheit nun eine Art „Überkompensation“. Bei der eigenen Fehleranalyse haperte es dann aber bei ihm, immerhin sprach Gauland nun von einem „Irrtum Putins“ und verteidigte „Appeasement“ in Zeiten der Atomwaffen und verwies auf Egon Bahr. 

Mützenichs Bekenntnis zur Abrüstung 

Vielleicht war es für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich gestern eine seiner schwersten Reden überhaupt. Der Friedenspolitiker und ausgewiesene Abrüstungsexperte musste nun als Chef der Mehrheitsfraktion die Aufrüstungspolitik seines Bundeskanzlers verteidigen. Tatsächlich hat diese Konstellation historische Vorbilder. Mützenich argumentierte dann auch mit der Geschichte und postulierte die Sozialdemokratie werde immer stolz auf die Entspannungspolitik Willy Brandts sein, nur diese habe schließlich die friedliche Entwicklung in den 1980er Jahre ermöglicht. Mützenich stellte sich natürlich pflichtschuldig hinter die Regierungslinie, aber wie kaum ein zweiter hielt er die Fahne ziviler Konfliktlösung hoch. „Zur Kriegsverhinderung hilft es nicht, nur Militärausgaben anzuheben“, erklärte er. Es sei kein weltfremder Idealismus auf Abrüstung zu setzen, sagte er. Es gab Applaus von seiner Fraktion. Der Versuch von Normalität. 

In dieser Generaldebatte konnte sich keiner des strahlenden Sonnenlichts sicher sein, jedem wurden seine Schattenseiten vorgehalten. Und das eben ist Demokratie. Wer an die inszenierten Auftritte vor „Volkskongressen“ in Peking denkt oder parlamentarische Theaterstücke in Moskau, bei denen immer nur einer gut aussieht, bei dem immer es nur auf eine Wahrheitsdeutung herausläuft, da muss man sich vor Augen führen: das gibt es glücklicherweise bei uns nicht. Die Generaldebatte im Bundestag war heute in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Unklarheit eben ein Spiegelbild genau unserer Lage, Spiegelbild der Unsicherheit unserer Gesellschaft. So ist unsere Demokratie. So soll sie sein. 

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